Wasservogeln immer von der linken Seite her kamen, schlu?folgerten wir, da? sich dort irgendwo das Ufer befinden mu?te. Folglich steuerten wir das Kanu in die Richtung, aus der die Vogel kamen, und paddelten mit frischem Mut voran. Nach einer Weile kam eine steife Brise auf, die zum Gluck genau in die Richtung blies, die wir eingeschlagen hatten. Mit Hilfe der Stange und einer Decke machten wir uns ein behelfsma?iges Segel, das uns bald munter vorantrug. Nachdem wir dies besorgt hatten, vertilgten wir den Rest unseres Biltong, spulten es mit einem kraftigen Schluck des kostlichen Seewassers herunter, zundeten unsere Pfeifen an und harrten der Dinge, die da kommen sollten.
Als wir eine Stunde so dahingesegelt waren, rief Good, der die ganze Zeit uber den Horizont mit dem Fernglas beobachtete: »Land in Sicht!« Voller Freude blickten wir nach vorn. Good machte uns darauf aufmerksam, da? wir uns, wie die veranderte Farbe des Wassers verriet, der Mundung eines Flusses naherten. Ein paar Minuten spater erblickten wir in der Ferne eine gro?e goldene Kuppel, ahnlich der von St. Paul's Cathedral, die aus dem Morgendunst herausragte, und wahrend wir noch daruber ratselten, was in aller Welt das sein konnte, meldete Good eine weitere, noch viel wichtigere Entdeckung, namlich, da? sich ein kleines Segelschiff auf uns zubewegte. Diese Nachricht, von deren Richtigkeit wir uns bald darauf mit unseren eigenen Augen uberzeugen konnten, brachte uns machtig in Unruhe. Da? die Eingeborenen dieses unbekannten Sees die Kunst des Segelns beherrschten, lie? darauf schlie?en, da? sie einen gewissen Grad der Zivilisation erreicht hatten. Einige Minuten spater hatte uns der Insasse oder die Insassen des Bootes offenbar entdeckt. Einen Moment lang schien er unentschieden zu sein, doch dann kreuzte das Boot mit hoher Geschwindigkeit in unsere Richtung. Nach zehn Minuten war es nur noch etwa hundert Yards von uns entfernt, und wir konnten es uns naher betrachten. Es war ein hubsches kleines Boot - kein aus einem Baumstamm gehohltes Kanu, sondern eher nach europaischer Art gebaut; also aus Holzplanken. Es trug ein fur seine Gro?e ungeheuer gro?es Segel. Doch schon bald wurde unsere Aufmerksamkeit von dem Boot auf seine Insassen gelenkt. Es waren ein Mann und eine Frau. Sie waren fast so wei? wie wir.
Wir starrten uns gegenseitig verblufft an. Wir mu?ten uns geirrt haben. Aber nein, es gab nichts daran zu rutteln: es handelte sich um Wei?e. Sie waren nicht blond, aber die beiden Leute in dem Boot waren eindeutig der wei?en Rasse zuzuordnen, die sich in wesentlichen Merkmalen von der schwarzen unterscheidet. Sie hatten ungefahr das Au?ere von Spaniern oder Italienern. Es war eine ganz eindeutige Tatsache. So war es also doch wahr! Und wir hatten, gelenkt von einer Macht, die nicht die unsrige war, auf unerklarliche, geheimnisvolle Weise dieses mysteriose Volk entdeckt. Ich hatte vor Freude laut aufjauchzen konnen ob der Wunderbarkeit dieses Momentes. Wir schuttelten uns gegenseitig die Hande und begluckwunschten uns fur den unerwarteten und so plotzlich eingetretenen Erfolg unserer abenteuerlichen Suche. Mein ganzes Leben lang hatte ich Geruchte gehort von einem wei?en Volk, das im Hochland im Innern dieses riesigen Kontinents existieren sollte, und immer hatte ich davon getraumt, dieses Gerucht einmal zu beweisen. Und nun sah ich mit eigenen Augen, da? das Gerucht der Wahrheit entsprach. Ich war verblufft und sprachlos und vor Freude ganz benommen. Hier bewies der Spruch jenes alten Romers, den Sir Henry so gern zitierte, furwahr seine Gultigkeit. >Ex Africa semper aliquid novi<, was, wie Sir Henry sagt, bedeutet, da? aus Afrika immer etwas Neues kommt.
Der Mann in dem Boot war von guter, wenn auch nicht besonders feiner Physiognomie. Er hatte glattes schwarzes Haar, regelma?ige Zuge und besa? ein intelligentes Gesicht. Er trug ein braunes Hemd aus Tuch, vergleichbar etwa einem armellosen Flanellhemd, und einen unverwechselbaren Rock aus dem gleichen Material. Die Beine und Fu?e waren nackt. Um den rechten Arm und das linke Bein trug er dicke Ringe aus einem gelblich glanzenden Metall; vermutlich Gold. Die Frau hatte ein reizendes Gesicht, wild und scheu zugleich. Sie hatte gro?e, dunkle Augen und braunes, lockiges Haar. Ihr Kleid bestand aus demselben Material wie das des Mannes und bestand, wie wir spater entdeckten, aus einem leinenen Unterkleid, das ihr bis zum Knie ging, und dann aus einem einzigen langen Streifen Tuch, ungefahr vier Fu? breit und funfzehn Fu? lang, der in anmutigen Falten um den ganzen Korper geschlungen war und ganz zum Schlu? so uber die Schulter geworfen wurde, da? sein Ende, das je nach der sozialen Stellung des Tragers blau, purpurn, oder von irgendeiner anderen Farbe war, uber die Schulter frei nach vorn fiel. Der rechte Arm und die rechte Brust blieben jedoch unbedeckt. Ein passenderes, anmutigeres Kleid kann man sich, besonders, wenn wie in diesem Fall die Tragerin jung und hubsch war, kaum vorstellen. Good (der ein Auge fur so etwas hat) war sichtlich zutiefst davon beeindruckt, und ich mu? gestehen, da? ich es ebenfalls war. Ein ebenso schlichtes wie raffiniertes Kleidungsstuck.
So erstaunt wir uber die Erscheinung des Mannes und der Frau waren, sie waren es, wie wir deutlich erkennen konnten, jedenfalls nicht minder uber unser plotzliches Auftauchen. Was den Mann betraf, so schien er von Furcht und Erstaunen gleicherma?en uberwaltigt zu sein. Er umkreiste eine ganze Weile unser Kanu, wagte jedoch nicht, naher heranzukommen. Schlie?lich kam er jedoch auf Rufweite heran und rief uns etwas zu in einer Sprache, die sanft und melodisch klang, von der wir aber leider nicht ein Wort verstehen konnten. Wir antworteten auf englisch, franzosisch, lateinisch, griechisch, deutsch, zulu, niederlandisch, sisutu, kukuana und in ein paar anderen Eingeborenendialekten, die mir gelaufig sind, aber unser Besucher verstand offenbar keine dieser Sprachen. Im Gegenteil; sie schienen ihn betrachtlich zu verwirren. Was die Frau betraf, so war sie voll und ganz damit beschaftigt, uns aufmerksam zu beobachten. Good gab das Kompliment zuruck, indem er sie mit forschendem Blick durch sein Monokel anstarrte, was sie eher zu belustigen schien, als da? es ihr Angst einjagte. Schlie?lich wendete der Mann, der offensichtlich nicht wu?te, was er mit uns anfangen sollte, plotzlich das Boot und steuerte in Richtung Ufer. Sein kleines Boot flog vor dem Wind wie eine Schwalbe. Als es bei dem Wendemanover dicht vor unserem Bug vorbeisegelte, wandte sich der Mann fur einen Augenblick um, um nach dem Segel zu sehen. Good ergriff prompt die Gelegenheit beim Schopfe und warf der jungen Dame eine Ku?hand hinuber. Ich war entsetzt, einmal aus Grunden des Anstands, und zum zweiten, weil ich befurchtete, da? sie es als Beleidigung auffassen konnte. Aber zu meiner gro?en Erleichterung tat sie das nicht. Im Gegen-teil; sie warf einen kurzen Blick uber die Schulter, und als sie sah, da? ihr Mann oder ihr Bruder, oder wer auch immer er sein mochte, anderweitig beschaftigt war, warf sie ihm prompt eine Ku?hand zuruck.
»Aha!« sagte ich. »Es sieht ganz so aus, als ob wir nun doch eine Sprache gefunden hatten, die das Volk dieses Landes versteht.«
»Wenn das so ist«, frozzelte Sir Henry, »dann haben wir ja in Good einen unschatzbar wertvollen Dolmetscher.«
Ich runzelte die Stirn, denn ich billigte Goods Frivolitaten ganz und gar nicht. Das wei? er auch, und ich lenkte die Unterhaltung wieder auf ernstere Themen. »Es ist vollig klar«, sagte ich, »da? der Mann in Kurze mit einer ganzen Schar seiner Gefahrten zuruckkommen wird. Wir sollten uns Gedanken daruber machen, wie wir sie empfangen wollen.«
»Ich glaube, die Frage lautet eher: Wie werden sie uns empfangen?« wandte Sir Henry ein.
Was Good anbetraf, so sagte er uberhaupt nichts dazu. Statt dessen zog er einen kleinen, quadratischen Blechkoffer hervor, der uns schon wahrend unserer ganzen Wanderung, unter einem Haufen Gepack verborgen, begleitet hatte. Wir hatten uns schon oft mit Good wegen dieses Blechkoffers herumgezankt, insbesondere, weil er ziemlich sperrig war und uns standig beim Transport unseres Gepacks behindert hatte. Er hatte nie eine klare Antwort uber den Inhalt dieses Koffers gegeben. Er hatte jedoch immer darauf bestanden, ihn mitzunehmen, wobei er jedesmal geheimnisvoll angedeutet hatte, da? er sich eines Tages noch als au?erst nutzlich erweisen konne.
»Was in aller Welt tust du da, Good?« fragte Sir Henry.
»Was ich da tue? Ich ziehe mich naturlich um! Ihr glaubt doch nicht im Ernst, da? ich mich bei einem neuentdeckten Volk in diesen Klamotten vorstelle, oder?« Er deutete mit einer Geste auf seine schmutzigen, abgewetzten Kleider, die indessen, wie alle Kleidungsstucke von Good, au?erst ordentlich und an zerrissenen Stellen peinlich sauber geflickt waren.
Wir sagten nichts weiter, sondern verfolgten statt dessen sein Vorgehen mit atemlosem Interesse. Als erstes beauftragte er Alphonse, der in solchen Dingen au?erst kompetent war, sein Haar und seinen Bart nach der neuesten Mode zurechtzustutzen. Ich glaube, wenn er hei?es Wasser und ein Stuck Seife zur Hand gehabt hatte, dann hatte er gar den letzteren abrasiert; aber leider war das nicht der Fall. Als dies geschehen war, schlug er uns allen Ernstes vor, das Segel des Kanus zu reffen und ein Bad zu nehmen. Das taten wir auch, zum gro?en Erstaunen und Entsetzen von Alphonse, der die Hande uber dem Kopf zusammenschlug und feststellte, da? die Englander schon verruckte Leute waren. Umslopogaas, der wie die meisten Zulus von hoher Herkunft und guter Erziehung au?erst reinlich war, was seine Person anbetraf, hatte indessen keine Lust, im See herumzuschwimmen, und betrachtete das ganze Theater mit milder Belustigung. Erfrischt von dem kuhlen Na? kletterten wir wieder in das Kanu und setzten uns zum Trocknen in die Sonne. Wahrend Good seinen Blechkoffer