die Hohlung gro?er geworden war, so da? sich der Schall besser verlaufen konnte. Ich konnte Alphonses Gebrull jetzt viel klarer und deutlicher horen; seine Schreie waren eine kaum zu beschreibende Mischung aus inbrunstigem Flehen an den Allerhochsten und Beschworungen seiner geliebten Annette; kurz, sie waren, obwohl ihre aufrichtige Ernsthaftigkeit sie davor bewahrte, blo?e Fluche zu sein, hochst bemerkenswert - um es gelinde auszudruk-ken. Ich nahm ein Paddel und stupste ihm damit in die Rippengegend, was zur Folge hatte, da? er um so lauter brullte, weil er nun glaubte, das Ende sei gekommen. Langsam und mit au?erster Vorsicht erhob ich mich auf die Knie und reckte einen Arm hoch, konnte jedoch keinen Fels uber mir fuhlen. Als nachstes nahm ich das Paddel und hob es so hoch uber meinen Kopf, wie eben moglich; auch hier war das Resultat dasselbe. Dann schob ich es auf beiden Seiten uber den Rand des Kanus, aber auch hier beruhrte ich nichts. Da fiel mir ein, da? sich in dem Boot unter anderem eine Blendlaterne und eine Buchse Ol befanden. Ich kramte eine Weile auf dem Boden herum, bis ich die Sachen gefunden hatte. Ich nahm ein Streichholz und zundete die Laterne vorsichtig an.

Sobald sich der Docht entflammt hatte, leuchtete ich in das Boot. Wie es der Zufall wollte, war das erste, auf das der Lichtkegel fiel, das wei?e, angstverzerrte Gesicht von Alphonse. Der glaubte, nun sei das Ende endgultig gekommen und er sehe schon die ersten Vorboten des himmlischen Lichts anrucken. Er stie? einen gellenden Angstschrei aus, und ich konnte ihn nur mit Muhe und unter Zuhilfenahme des Paddels wieder auf den Boden der Wirklichkeit zuruckholen. Doch nun zu den anderen drei: Good lag platt auf dem Rucken. Sein Monokel sa? noch immer auf dem Auge, und er starrte besturzt nach oben in die Dunkelheit. Sir Henry hatte seinen Kopf auf die Duchten des Bootes gestutzt und hielt eine Hand ins Wasser, um die Geschwindigkeit der Stromung zu testen. Als der Lichtstrahl auf Umslopogaas fiel, mu?te ich fast laut loslachen. Ich glaube, ich erwahnte bereits, da? wir einen halben Wasserbuffel mitgenommen hatten. Und wie es der Zufall nun wollte, war Umslopogaas, als wir uns alle auf den Boden des Kanus geworfen hatten, um zu vermeiden, da? die Felskante uns heraushaute, mit seinem Kopf verfuhrerisch nahe bei dem kostlich duftenden Fleisch des Wasserbuffels zu liegen gekommen. Und kaum hatte er sich von dem ersten Schreck uber unsere vertrackte Situation erholt, als er einen machtigen Hunger verspurte. Kaltblutig hatte er sich mit Inkosi-kaas ein Stuck von dem Fleisch abgeschnitten, und nun war er dabei, es mit allen Anzeichen hochster Befriedigung zu verzehren. Wie er mir spater erklarte, hatte er gedacht, er wurde auf >eine lange Reise< gehen, und da hatte er es vorgezogen, diese Reise lieber mit vollem Bauch anzutreten. Es erinnerte mich an die Leute, die gehangt werden sollen, und von denen die englischen Tageszeitungen im allgemeinen schreiben, sie seien mit einem >exzellenten Fruhstuck< im Bauch zum Galgen geschritten.

Sobald die anderen bemerkt hatten, da? es mir gelungen war, die Laterne anzuzunden, packten wir Alphonse in das hintere Ende des Kanus und brachten ihn schnell mit der Drohung zum Verstummen, wir wurden ihn, wenn er uns weiterhin mit seinem schauerlichen Geheul heimsuche, sehr rasch aus seiner Spannung befreien, indem wir ihn dahin schickten, wo der Wakwafi jetzt ware; und in jener anderen Sphare konnte er dann in aller Ruhe auf seine Annette warten. Das beruhigte ihn ungemein.

Alsdann begannen wir, uber unsere Situation zu diskutieren. Vorher jedoch stellten wir auf Goods Vorschlag hin zwei Paddel hochkant im Bug des Kanus auf und befestigten sie, so gut wir konnten, um gleich gewarnt zu sein, wenn sich das Dach der Hohle wieder senken sollte. Es war uns mittlerweile klar geworden, da? wir uns in einem unterirdischen Flu? befanden, oder, wie Alphonse es definierte, in einem >'auptabflu?<, der das uberschussige Wasser des Sees ableitete. Es ist eine bekannte Tatsache, da? es solche Flusse in vielen Teilen der Welt gibt, jedoch sind wohl noch nicht allzu oft Forscher in die unheilvolle Lage gekommen, sie als Transportweg zu benutzen.

Der Flu? mu?te sehr breit sein; der Lichtstrahl der Laterne reichte jedenfalls nicht bis an die Ufer. Gelegentlich jedoch, wenn die Stromung uns nahe an eines der Ufer herantrieb, konnten wir fur einen Augenblick die Felswande des Tunnelgewolbes sehen.

Wir schatzten, da? es sich in etwa funfundzwanzig Fu? Hohe uber uns wolbte. Die Geschwindigkeit der Stromung betrug nach Goods Schatzung etwa acht Knoten; sie war zu unserem Gluck am starksten in der Mitte des Flusses, was ja auch gewohnlich der Fall ist. Das erste, wofur wir sorgten, war, da? immer einer von uns im Bug des Kanus mit der Laterne und einer Stange (die wir glucklicherweise im Boot hatten) bereitstand, um moglichst zu verhindern, da? wir an die Felswand oder einen hervorstehenden Stein trieben. Umslopogaas, der ja schon gegessen hatte, war als erster damit an der Reihe. Ein weiterer von uns postierte sich mit einem Paddel im Heck, um das Kanu einigerma?en auf Kurs in der Mitte des Flusses zu halten. Dies war alles, was wir im Moment fur unsere Sicherheit tun konnten. Nachdem wir diese Ma?nahmen ergriffen hatten, nahm jeder eine kleine Ration des kalten Buffelfleisches zu sich (wir wu?ten ja nicht, wie lange wir damit auskommen mu?ten), und danach fuhlten wir uns schon wieder weitaus besser. Ich vertrat die Ansicht, da? unsere Lage, so ernst sie auch sein mochte, nicht ganzlich hoffnungslos war, es sei denn, die Eingeborenen hatten doch recht und der Flu? ergo? sich direkt ins Erdinnere. Sollte das aber nicht der Fall sein, dann mu?te er zwangslaufig irgendwo wieder ans Tageslicht treten, vermutlich auf der anderen Seite des Gebirges. In dem Fall konnten wir nur eines tun: uns am Leben zu erhalten, bis wir dort ankamen - wo immer dieses >dort< auch war. Naturlich konnten wir, wie Good kummervoll bemerkte, auf dem Wege dorthin noch hundert anderen unbekannten Fahrnissen zum Opfer fallen - oder, was durchaus zu befurchten war, der Flu? versickerte irgendwo im Erdinnern, was in der Tat ein grauenvolles Ende fur uns bedeutet hatte.

»Nun dann, la?t uns auf das Beste hoffen und uns auf das Schlimmste vorbereiten«, sagte Sir Henry, der immer gleichmutig und guter Dinge ist - ein wahrer Turm der Starke in Zeiten der Not. »Wir sind gemeinsam schon aus so vielen Zwickmuhlen herausgekommen, da? ich fast sicher bin, wir kommen auch aus dieser heraus.«

Das war ein ausgezeichneter Ratschlag, und jeder von uns versuchte auf seine Weise, das Beste daraus zu machen - das hei?t, mit Ausnahme von Alphonse, der inzwischen in eine vollig Abgestumpftheit verfallen war. Good befand sich mit dem Paddel im Heck des Bootes, und Umslopogaas hielt seinen Posten im Bug inne, so da? Sir Henry und mir einstweilen nichts zu tun blieb, als im Boot zu liegen und nachzudenken. Es war eine seltsame, ja schon fast unheimlich anmutende Lage, in der wir da steckten -in einem Boot durch die Eingeweide der Erde zu schie?en, getragen von den Fluten eines Hollenflusses, wie die Seelen, die von Charon gefahren wurden, wie Curtis bemerkte. Und wie dunkel es war! Der dunne Strahl unserer kleinen Lampe machte uns die Dunkelheit erst so richtig bewu?t. Vorn im Bug sa? der gute alte Umslopogaas, wachsam und unermudlich, die Stange fest in der Hand, bereit, sofort einzugreifen, wenn Gefahr auftauchte; und hinten, schon im Dunkeln, sah ich die Umrisse von Captain Good, der angestrengt nach vorn in den Lichtkegel spahte, um rechtzeitig sehen zu konnen, wie er mit dem Paddel steuern mu?te, das er ab und zu kurz ins Wasser tauchte.

»Na schon«, dachte ich, »du wolltest Abenteuer erleben, alter Knabe, und nun hast du erreicht, was du wolltest. Und das in deinem Alter! Du solltest dich was schamen! Aber du tust es ja doch nicht. Und, so schrecklich die Sache im Moment auch aussieht, vielleicht kommst du ja durch; und wenn nicht - nun, dann kannst du es auch nicht andern. Und wenn alles gesagt und alles getan ist, dann ist ein unterirdischer Flu? auch keine schlechte Grabstatte.«

Ich will jedoch nicht verhehlen, da? die Spannung, die auf meinen Nerven lastete, sehr gro? war. Selbst der kaltblutigste und erfahrenste Mann wird nervos, wenn er uber Stunden hinweg daruber im Ungewissen ist, ob er nicht schon in den nachsten funf Minuten ein toter Mann ist; aber es gibt nichts auf der Welt, an das man sich nicht gewohnen konnte, und mit der Zeit gewohnten wir uns selbst an diesen Zustand. Schlie?lich und endlich war unsere Angst, auch wenn sie zweifellos naturlich war, genau besehen unlogisch, wenn man bedenkt, da? wir ja niemals wissen, was uns in der nachsten Minute zusto?en kann, selbst wenn wir in einem trockenen Haus sitzen, vor dessen Tur zwei Polizisten patrouillieren. Ebenfalls wissen wir nicht, wie lange wir noch zu leben haben. Wenn unsere Stunde geschlagen hat, meine Lieben, dann mussen wir eben abtreten. Was sollen wir uns also viel den Kopf zerbrechen und uns gramen?

Es war kurz vor Mittag gewesen, als wir in die Dunkelheit hineingetaucht waren, und wir hatten die erste Wache (Umslopogaas und Good) gegen zwei Uhr eingesetzt. Wir waren ubereingekommen, da? sie nach funf Stunden abgelost werden sollten. Daher waren um sieben Uhr Sir Henry und ich an der Reihe; Sir Henry am Bug und ich am Heck. Die anderen beiden legten sich schlafen. Drei Stunden lang lief alles ohne besondere Vorkommnisse ab; nur einmal mu?te Sir Henry eingreifen und uns mit der Stange ein wenig absto?en, als wir zu nahe ans Ufer geraten waren. Ich hatte sehr bald festgestellt, da? es nicht viel Arbeit mit dem Paddel erforderte, uns gerade zu halten; die starke Stromung bewirkte das schon ganz von allein. Nur gelegentlich neigte das Kanu dazu, sich querzulegen und seitwarts voranzutreiben, aber das konnte ich stets leicht wieder korrigieren. Was mir bei diesem unterirdischen Flu? am sonderbarsten erschien, war, da? die Luft immer frisch blieb. Sie war

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