mich betrifft, so bin ich stolz auf diese Bezeichnung, steht sie doch auch fur ein tapferes Herz und fur ein tiefes Vertrauen in die Vorsehung. Und wenn manch ein beruhmter Krosus, dem heute das Volk zu Fu?en liegt, und manch ein heuchlerischer, konjunkturreitender, wortklaubender Politiker langst der Vergessenheit anheimgefallen sein wird, dann werden die Namen jener mutigen, weltoffenen alten Abenteurer, die England zu dem gemacht haben, was es heute ist, weiterleben in den Gedanken des Volkes, und mit Liebe und mit Stolz wird man von ihnen den Kindern erzahlen, deren ungeformte Seelen noch im Scho?e ferner Jahrhunderte schlummern. Nicht, da? wir drei erwarten konnen, einst in einem Atemzug mit jenen genannt zu werden; aber dennoch haben wir etwas vollbracht -genug vielleicht, um einen Mantel uber die Nacktheit unserer Dummheit zu werfen.
Als wir an jenem Abend auf der Veranda sa?en, um vor dem Schlafengehen noch eine Pfeife zu rauchen, klopfte es plotzlich an der Tur, und vor uns stand niemand anderes als Alphonse, der mit einer tiefen Verbeugung ankundigte, da? er um eine Unterredung mit uns bitten wollte. Als wir ihn hoflich, aber bestimmt aufforderten, >sich davonzumachen<, eroff-nete er uns mit weitschweifigen Worten, da? er darauf brenne, sich unserer Expedition anzuschlie?en. Ich war daruber nicht schlecht erstaunt, wu?te ich doch, was fur ein Feigling der kleine Mann war. Seine Grunde blieben uns jedoch nicht lange verborgen: Mr. Mackenzie wollte zur Kuste hinunter und von dort aus weiter nach England. Und nun war Alphonse uberzeugt, da? man ihn, sobald er an der Kuste auftauchte, ergreifen und nach Frankreich ausweisen wurde, wo er ins Zuchthaus kame. Dieser Gedanke suchte ihn hartnackig heim, genauso wie der Kopf von Konig Charles Mr. Dick heimsuchte, und er hatte solange daruber nachgebrutet, bis sich die Gefahr in seiner Phantasie verzehnfacht hatte. In Wirklichkeit war sein Versto? gegen die Gesetze seines Landes aller Wahrscheinlichkeit nach langst vergessen, und au?er in Frankreich hatte er sich wohl uberall auf der Welt unbehelligt bewegen konnen. Aber wir kriegten ihn beim besten Willen nicht dazu, das einzusehen. Als der geborene Feigling der er nun einmal war, zog der kleine Franzose es hundertmal eher vor, die Risiken, Gefahren und Strapazen, die eine solche Expedition mit sich brachte, auf sich zu nehmen, als sich - ungeachtet seiner gro?en Sehnsucht nach seinem Heimatland - den moglichen Verhoren eines Polizeibeamten auszusetzen, was am Ende nur ein weiteres Beispiel fur die Richtigkeit der Behauptung ist, da? fur die Mehrzahl der Menschen eine weit entfernte Gefahr, so verschwommen und unrealistisch sie auch sein mag, ein weit starkeres Angstgefuhl auslost als der ernsteste momentane Notstand. Nachdem wir Alphonse zu Ende angehort hatten, beratschlagten wir, was wir tun sollten, und schlie?lich erklarten wir uns damit einverstanden, mit Mr. Mackenzies Zustimmung, das Angebot des kleinen Franzosen anzunehmen. Der Entschlu? fiel uns nicht leicht; aber zum einen brauchten wir dringend noch einen Mann, und Alphonse war ein quicklebendiger, flinker Bursche, der ein Handchen fur viele Dinge besa?, insbesondere furs Kochen - ah, und wie er das konnte! Ich bin uberzeugt, er hatte sogar noch aus den Gamaschen seines heroischen Gro?vaters, uber die er so gerne sprach, eine schmackhafte Mahlzeit gezaubert. Zum anderen war er stets gutgelaunt, immer zu Spa?en aufgelegt und nicht zuletzt eine gutmutige Seele, und sein pomposes, prahlerisches Gerede war uns eine Quelle ununterbrochenen Spa?es. Und was noch viel wichtiger ist: er war nie hinterhaltig oder boshaft. Naturlich war die Tatsache, da? er so ein ausgesprochener Feigling war, ein gro?er Minuspunkt fur ihn, aber da wir diese Schwache bei ihm ja nun zur Genuge kannten, konnten wir uns mehr oder weniger darauf einstellen. Nachdem wir ihn also noch einmal eindringlich auf die moglichen Gefahren hingewiesen hatten, denen er sich aussetzte, wenn er mit uns ging, erklarten wir ihm, da? wir sein Angebot unter der Bedingung annehmen wollten, wenn er verspreche, allen unseren Anweisungen strikt Folge zu leisten. Wir versprachen ihm au?erdem, ihn fur seine Dienste mit zehn Pfund pro Monat zu entlohnen, falls er je wieder in zivilisierte Gegenden kommen wurde, um sie noch empfangen zu konnen. Erfreut stimmte er allen unseren Vorschlagen und Bedingungen zu. Dann zog er sich zuruck, um seiner Annette einen Brief zu schreiben. Mr. Mackenzie hatte ihm versprochen, den Brief zu besorgen, sobald er die Kuste erreicht hatte. Als er mit dem Brief fertig war, las er ihn uns vor. Sir Henry ubersetzte ihn uns. Es war eine wundervolle Komposition. Ich bin sicher, die Tiefe seiner Zuneigung, seine gluhende Verehrung und die Schilderungen seiner Leiden in der barbarischen Fremde - »weit, so weit von dir, o Annette, welche zu erringen ich solche Pein auf mich nehme ...« - hatten auch das Herz des hartherzigsten Madchens zum Schmelzen gebracht.
Der Morgen unserer Abreise kam, und gegen sieben Uhr waren alle Esel bepackt. Nun war es an der Zeit, Lebewohl zu sagen. Es war eine traurige Angelegenheit, insbesondere der Abschied von der kleinen Flossie. Sie und ich waren dicke Freunde geworden, und unsere zahlreichen Gesprache waren uns eine liebe Gewohnheit gewesen. Aber ihre Nerven hatten sich nie von dem Schock erholt, den sie in jener Nacht erlitten hatte, als sie, im sicheren Gefuhl des Todes, hilflos den blutrunstigen Masai ausgeliefert war.
»Oh, Mr. Quatermain!« rief sie mit tranenerstickter Stimme und schlang ihre Arme um meinen Hals. »Es ist so schrecklich, da? ich Ihnen Lebewohl sagen mu?! Ob wir uns wohl einmal wiedersehen?«
»Ich wei? nicht, mein liebes kleines Madchen«, gab ich zur Antwort. »Ich bin am einen Ende des Lebens, und du bist am anderen. Ich habe nur noch eine kurze Zeit vor mir, wenn ich Gluck habe, und das meiste liegt schon in der Vergangenheit. Aber ich hoffe, da? vor dir noch viele lange, gluckliche Jahre liegen. Du hast deine Zukunft noch vor dir. Mit der Zeit wirst du zu einer wunderschonen Frau heranwachsen, Flossie, und dieses wilde Leben hier wird dir nur noch wie ein langst vergangener, weit entfernter Traum vorkommen. Aber ich hoffe, da? du, auch wenn wir uns niemals wiedersehen sollten, manchmal an deinen alten Freund zuruckdenken und dich seiner Worte erinnern wirst. Bemuhe dich immer, gut zu sein, mein liebes Kind, und strebe stets danach, das zu tun, was richtig ist, und nicht nur das, was dir angenehm erscheint; denn am Ende wird sich zeigen, da? das Gute auch immer das ist, was dich wirklich glucklich macht, auch wenn manch einer spottisch daruber lacheln mag. Sei uneigennutzig und hilf, wann immer du kannst, deinem Nachsten - die Welt ist voll von Leid; es zu lindern, ist unser nobelstes Ziel. Wenn du das tust, dann wirst du eine gutige und gottesfurchtige Frau werden, und du wirst ein wenig Licht in das Leben vieler Menschen bringen, und am Ende wirst du nicht, wie so viele andere, umsonst gelebt haben. Nun habe ich dir eine Menge altmodischer Ratschlage mit auf den Weg gegeben, aber ich will dir auch etwas geben, womit du sie dir ein wenig versu?en kannst. Du siehst dieses kleine Blatt Papier; man nennt so etwas einen Scheck. Wenn wir fort sind, gib ihn deinem Vater zusammen mit diesem Brief - aber erst, wenn wir fort sind, horst du! Du wirst eines Tages heiraten, meine liebe kleine Flossie, und mit diesem Scheck sollst du dir ein Hochzeitsgeschenk kaufen, das du immer bei dir tragen sollst, und nach dir deine Tochter, wenn du eine haben solltest - zur Erinnerung an den alten Jager Quatermain.«
Die arme, kleine Flossie weinte ganz schrecklich und schenkte mir eine Locke von ihrem hellglanzenden Haar, die ich noch heute bei mir trage. Der Scheck, den ich ihr gab, belief sich uber tausend Pfund (die ich nun, da es mir finanziell gut geht und ich keine Verpflichtungen als solche karitativer Natur habe, leicht verschmerzen kann). In dem Brief wies ich ihren Vater an, diese Summe in Regierungspapieren anzulegen und ihr, sobald sie heiratete oder in heiratsfahiges Alter kam, das beste Diamantenkollier zu kaufen, das er fur das Geld und die daraus erwachsenen Zinsen bekommen konnte. Ich wahlte Diamanten aus dem Grund, weil ich glaube, da? nun, da die Minen des Konigs Salomo der Welt fur immer verlorengegangen sind, der Preis fur Diamanten nie-mals wieder unter den jetzigen sinken wird, so da? Flossie, sollte sie spater einmal in finanzielle Schwierigkeiten geraten, keine Probleme haben durfte, die Steine zu Geld zu machen.
Nach vielem Handeschutteln, Huteschwenken und auch uberschwenglichen Abschiedsgru?en seitens der Eingeborenen brachen wir schlie?lich auf. Alphonse vergo? wahre Bache von Tranen (er ist ein warmherziger Mann), als er sich von den Mackenzies verabschiedete. Ich selbst brachte die Sache so schnell wie moglich hinter mich; ich hasse Abschiedsszenen. Was mich vielleicht am meisten ruhrte, war der offensichtliche Kummer, den Umslopogaas die Trennung von der kleinen Flossie bereitete. Der grimmige alte Krieger hatte eine tiefe Zuneigung zu dem kleinen Madchen entwickelt. Er sagte ihr immer wieder, da? sie so schon anzuschauen sei wie der einzige Stern an einem dunklen Nachthimmel, und er wurde nicht mude, sich laut zu begluckwunschen, da? er den Lygonani getotet hatte, der damit gedroht hatte, das Madchen zu ermorden. Und das war das letzte, was wir von dem schonen Missionshaus - einer wahren Oase in der Wuste - und der europaischen Zivilisation uberhaupt sahen. Aber oft noch denke ich zuruck an die Mackenzies und frage mich, ob sie es geschafft haben, zur Kuste zu kommen, und ob sie wohl nun sicher und wohlbehalten in England sind und jemals diese Zeilen lesen konnen. Arme kleine Flossie! Ich frage mich, wie sie wohl zurechtkommt in Gefilden, in denen es keine schwarzen Diener gibt, die ihren gebieterischen Wunschen auf der Stelle nachkommen, und keinen himmelhohen, schneebedeckten Mount Kenia, den sie betrachten kann, wenn sie des Morgens aufsteht. Leb wohl, kleine Flossie!
Nachdem die Missionsstation unseren Blicken entschwunden war, zogen wir unbehelligt am Fu?e des Mount