vermutete daher, da? sie die Sache noch nicht vergessen hatte und sie sich fur einen spateren Zeitpunkt, an dem die beiden allein waren, aufsparen wollte.

Kurz nachdem Curtis gekommen war, kam der Offizier wieder zuruck und meldete, da? Sorais verschwunden sei. Der Vogel war also schon ausgeflogen! Sie hatte unter dem Vorwand, die Nacht in der Meditation vor dem Altar zu verbringen - was bei Damen der hoheren Gesellschaft in Zu-Vendis nicht unublich war -, ihre Gemacher verlassen und war in den Tempel gegangen. Wir tauschten alle miteinander verstandnisinnige Blicke aus. Sorais hatte in der Tat keine Zeit verloren.

Dann machten wir uns an die Arbeit.

Wir lie?en sofort alle Generale, denen man vertrauen konnte, aus ihren Quartieren zusammentrommeln. Wir informierten jeden einzelnen von ihnen uber die Lage der Dinge, soweit es uns wunschenswert erschien, und entlie?en sie dann mit der strikten Auflage, so schnell wie moglich alle ihre verfugbaren Krafte zusammenzuholen. Ahnlich verfuhren wir mit allen den einigerma?en machtigen Landesfursten, von denen Nylephta wu?te, da? sie sich auf sie verlassen konnte. Einige von ihnen verlie?en noch am selben Tag die Stadt, um in entlegenen Landesteilen ihre Lehnsmanner und Gefolgsleute zu den Waffen zu rufen. Und noch vor Einbruch der Nacht sandten wir etwa zwanzig Boten mit versiegelten Briefen aus, die alle an die Regenten weit abgelegener Stadte und Landstriche gerichtet waren. Wir befahlen den Boten, Tag und Nacht zu reiten, bis die Briefe in die Hande ihrer Adressanten gelangt waren. Desgleichen sandten wir zahlreiche Kundschafter aus. Wir schufteten den ganzen Nachmittag und Abend hindurch, assistiert von mehreren verla?lichen Schreibern. Die Energie und Uberlegenheit, mit der Nylephta dabei zu Werke ging, erweckte meine tiefste Hochachtung. Als wir schlie?lich zuruck in unsere Quartiere gingen, war es acht Uhr. Wir wurden sogleich von Alphonse, der im ubrigen zutiefst beleidigt war, da? wir ihm durch unser spates Erscheinen sein ganzes herrliches Dinner vermasselt hatten (er betatigte sich namlich inzwischen wieder als Koch), davon in Kenntnis gesetzt, da? Good von der Falkenjagd zuruckgekommen war und schon seinen Wachtdienst aufgenommen hatte. Und da wir schon den diensthabenden Offizier der au?ersten Palastwache beauftragt hatten, die Torwachen zu verdoppeln und somit keinen Grund fur unmittelbare Gefahr sahen, entschlossen wir uns, Good jetzt nicht aufzuscheuchen und ihm die ganze Sache zu erzahlen. Dies war ohnehin eine der delikaten Aufgaben, die man nur allzu gern auf einen spateren Zeitpunkt hinausschiebt. Wir schlangen also hastig unser Essen hinunter und begaben uns auf unsere Zimmer, um endlich unseren wohlverdienten Schlaf zu bekommen. Vorher jedoch bat Curtis noch den alten Umslopogaas, ein wenig die Umgebung von Nylephtas Privatgemachern im Auge zu behalten. Umslopogaas, der inzwischen uberall im Palast gut bekannt war, hatte von Nylephta die Erlaubnis erhalten, alle Wachen im Palast ungehindert zu passieren, wann immer er wollte. Er bediente sich dieses Sonderrechts sehr haufig und streifte mit Vorliebe zu den stillen Stunden der Nacht in dem riesigen Bauwerk herum. Da? er dabei die Nachtstunden bevorzugte, war nicht weiter verwunderlich; ist dies doch ein weit verbreiteter Brauch bei Schwarzen uberhaupt. Deshalb war nicht zu befurchten, da? seine Anwesenheit zu nachtlicher Stunde in den Gangen des Palastes Aufsehen erregen wurde. Der Zulu nahm kommentarlos seine Axt und machte sich auf den Weg, und wir begaben uns endlich ins Bett.

Ich hatte meinem Empfinden nach hochstens ein paar Minuten geschlafen, als ich mit einem seltsamen Gefuhl au?ersten Unbehagens aus den Kissen hochschreckte. Ich hatte das Gefuhl, als sei jemand im Zimmer und beobachte mich. Zu meiner gro?en Uberraschung graute schon der Morgen. Am Fu?e meines Bettes stand niemand anderes als Umslopo-gaas. In dem fahlen Licht sah er besonders durr und furchterregend aus.

»Wie lange stehst du schon hier?« fragte ich murrisch. Es ist namlich nicht angenehm, auf solche Weise geweckt zu werden.

»Vielleicht die Halfte einer Stunde, Macumazahn. Ich mu? dir etwas sagen.«

»Schie? los!« sagte ich. Ich war jetzt hellwach.

»Wie mir gehei?en war, ging ich in der letzten Nacht zu dem Orte der Wei?en Konigin und verbarg mich hinter einem Pfeiler in dem zweiten Vorraum, hinter dem sich die Schlummerstatte der Konigin befindet. Bougwan (Good) war allein in dem ersten Vorraum, und vor dem Vorhang dieses Raums stand ein Wachtposten. Ich aber wollte versuchen, ungesehen in den zweiten Vorraum zu kommen, und furwahr, es gelang mir; ich glitt an beiden vorbei. Ich hatte dort viele Stunden gewartet, als ich plotzlich eine dunkle Gestalt bemerkte, die heimlich in den Raum geschlichen kam, direkt auf mich zu. Es war die Gestalt einer Frau, und in der Hand hielt sie einen Dolch. Hinter jener Gestalt schlich eine weitere Gestalt, die jedoch von der Frau nicht bemerkt wurde.

Es war Bougwan, der ihr auf den Fersen war. Er hatte seine Schuhe ausgezogen, und fur einen so fetten Mann schlich er sehr gut. Die Frau kam an mir voruber, und das Licht der Sterne schien auf ihr Gesicht.«

»Wer war es denn?« fragte ich ungeduldig.

»Das Gesicht war das der >Herrin der Nacht<, und furwahr, der Name ist gut gewahlt.

Ich wartete, und Bougwan schlich ebenfalls an mir voruber. Dann folgte ich den beiden. Langsam und lautlos schlichen wir zu dritt durch das lange Zimmer. Zuerst die Frau, dann Bougwan, und dann ich; und die Frau sah Bougwan nicht, und Bougwan sah mich nicht. Dann kam die >Herrin der Nacht< an die Vorhange, die die Schlummerstatte der Wei?en Konigin verschlie?en, und streckte ihre Hand aus, um sie zu teilen. Sie schritt hindurch, und desgleichen tat Bougwan, und desgleichen tat ich. Am Ende des Raumes ist das Bett der Konigin, und sie lag darauf, in tiefem Schlafe. Ich konnte horen, wie sie atmete, und sehen, wie einer ihrer wei?en Arme auf der Decke lag, wie ein Streifen von Schnee auf trockenem Gras. Die >Herrin der Nacht< duckte sich - so, wie ich es jetzt mache, und mit erhobenem Messer kroch sie auf das Bett zu. Sie blickte so starr darauf, da? sie nie auf den Gedanken kam, sich umzuwenden. Als sie ganz dicht bei dem Bette war, beruhrte Bougwan sie am Arm. Sie holte tief Atem und schnellte herum, und ich sah, wie das Messer blitzte, und ich horte, wie es zustie?. Es war gut fur Bougwan, da? er seine Haut aus Eisen trug, sonst hatte die Klinge ihn durchbohrt. Und da sah er zum ersten Mal, wer die Frau war, und ohne ein Wort fuhr er erschrocken zuruck. Er hatte die Sprache verloren. Auch sie war erschrocken und sprach nicht, doch plotzlich legte sie ihren Finger auf ihre Lippe - so, wie ich es jetzt mache - und ging auf den Vorhang zu und durch ihn hindurch, und mit ihr ging Bougwan. So nah ging sie an mir vorbei, da? ihr Kleid mich beruhrte, und ich war nahe daran, sie zu toten, als sie ging. In dem ersten Vorraum sprach sie mit flusternder Stimme zu Bougwan, und sie rang die Hande - so, wie ich es jetzt mache - und flehte ihn an. Was sie jedoch sagte, wei? ich nicht. Und so gingen sie weiter in den zweiten Vorraum, sie flehte, und er schuttelte den Kopf und sagte immerzu >nein, nein, nein<. Und es schien mir, als ob er die Wache rufen wollte, als sie plotzlich zu flehen innehielt und ihn mit gro?en Augen anschaute. Und ich sah, da? er verhext war von ihrer Schonheit. Dann streckte sie die Hand aus, und er ku?te sie, worauf ich mich entschlo?, zu ihr zu gehen und sie zu ergreifen, denn ich sah, da? Bougwan nun auch eine Frau geworden war und nicht mehr wu?te, was gut war und was bose. Doch siehe da! Sie war fort.«

»Fort!« entfuhr es mir.

»Ja, fort, und da stand Bougwan und starrte an die Wand wie einer, der schlaft, und dann ging auch er, und ich wartete eine Weile, und dann ging auch ich.«

»Bist du sicher, Umslopogaas«, fragte ich, »da? du heute nacht nicht getraumt hast?«

Anstelle einer Antwort offnete er die linke Hand und zeigte mir ein etwa drei Zoll langes Bruchstuck einer Dolchklinge aus feinstem Stahl.

»Und wenn ich getraumt habe, Macumazahn, dann sieh, was der Traum mir hinterlassen hat. Das Messer zerbrach an Bougwans Busen, und als ich ging, hob ich dies in der Schlummerstatte der Wei?en Konigin auf.«

18

Krieg! Blutiger Krieg!

Ich bat Umslopogaas, zu warten, schlupfte in meine Kleider und ging mit ihm in Sir Henrys Gemach, wo der Zulu seine Geschichte Wort fur Wort wiederholte. Sie hatten Curtis' Gesicht sehen mussen, als er Ums-lopogaas zuhorte.

»Gro?er Gott!« rief er. »Da liege ich hier und schlafe, wahrend zur selben Stunde Nylephta fast ermordet wird - und alles auch noch meinetwegen! Diese Sorais mu? ja von Furien besessen sein! Es ware ihr ganz recht geschehen, wenn Umslopogaas sie dabei erschlagen hatte.«

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