M'arstuna, und bei sich hatte er nicht weniger als funfundzwanzigtausend seiner Hochlander, die zu den gefurchtetsten Soldaten in ganz Zu-Vendis gehorten. Ein anderer machtiger Furst mit Namen Belusha, der in der gro?en Pferdezuchtregion beheimatet war, war mit zwolftausend Mann Kavallerie bei ihr eingetroffen; und so uberschlugen sich die Meldungen uber gewaltige Truppenbewegungen in Richtung von Sorais' Sammelstellen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie eine gutausgerustete Armee von nahezu hunderttausend Mann zusammenhaben wurde.
Als nachstes uberraschte uns die Nachricht, da? Sorais beabsichtigte, ihr Lager abzubrechen und direkt auf die finster blickende Stadt zuzumarschieren und alles Land auf ihrem Wege zu verwusten. So warf sich die Frage auf, was wir unternehmen sollten; entweder erwarteten wir sie in Milosis, oder wir verlie?en den Schutz der Stadt und stellten uns ihr zur Schlacht. Als unser Rat zu dem Problem gefragt wurde, stimmten Good und ich ohne zu zogern fur die zweite Moglichkeit. Denn wenn wir uns in der Stadt verschanzten und auf den Angriff warteten, dann bestand die Gefahr, da? man unsere abwartende Haltung als Furcht auslegte. Es ist von gro?ter Wichtigkeit, besonders in einem derartigen Fall, wo schon das kleinste Ereignis bewirken kann, da? die Stimmung der Manner ins Gegenteil umschlagt, da? man aktiv ist und etwas unternimmt. Der gluhende Eifer, mit dem man fur eine Sache eintritt, lost sich sehr schnell in Luft auf, wenn die Truppe nicht in Bewegung ist, sondern zur Untatigkeit verdammt auf den Angriff des Feindes warten mu?. Aus diesem Grunde traten Good und ich sofort dafur ein, loszumarschieren und die offene Feldschlacht zu suchen, statt herumzusitzen und zu warten, bis wir endlich aus unseren Mauern getrieben wurden wie ein Dachs aus seinem Loch.
Sir Henry war auch unserer Meinung, und ebenso Nylephta, die gleichsam wie ein Feuerstein immer dazu bereit war, Funken zu spruhen. Man brachte eine gro?e Landkarte und breitete sie vor ihr aus. Etwa drei?ig Meilen sudlich von M'arstuna, wo Sorais sich bekanntlich aufhielt, und somit etwas mehr als neunzig Meilen nordlich von Milosis verlief die Stra?e uber einen Pa? von etwa zweieinhalb Meilen Breite. Er wurde an dieser Stelle auf beiden Seiten von bewaldeten Hugeln flankiert. Diese waren, wenn man gleichzeitig die Stra?e blockierte, auch wenn sie nicht besonders hoch waren, fur eine gro?e Armee mit schwerem Tro? unpassierbar. Nylephta schaute mit ernstem Gesichtsausdruck auf die Karte, und plotzlich, mit einem verbluffend schnellen Wahrnehmungsvermogen, wie es bei manchen Frauen schon fast an Instinkt grenzt, tippte sie mit dem Finger auf eben jenen Pa?. Dann wandte sie sich zu ihrem Gemahl um, warf ihre goldene Haarpracht in den Nak-ken und sagte mit stolzer, zuversichtlicher Miene: »Hier sollst du Sorais' Armee stellen. Ich kenne den Flecken, hier sollst du sie stellen, und du sollst sie vor dir hertreiben wie der Sturm den Staub!«
Sir Henry schaute duster drein und sagte nichts.
20
Es war am Morgen des dritten Tages nach dieser kleinen Szene mit der Landkarte, als Sir Henry und ich aufbrachen. Mit Ausnahme einer kleinen Wachmannschaft war die Hauptmasse des Heeres schon in der Nacht losmarschiert. Nun lag die finster blickende Stadt fast leer und totenstill da. Wir hatten es uns einfach nicht leisten konnen, irgendeine gro?ere Besatzung zuruckzulassen au?er der personlichen Leibwache Nylephtas und ungefahr tausend Mann, die wegen Krankheit oder aus sonstigen Grunden nicht mit in den Kampf ziehen konnten; aber da Milosis praktisch uneinnehmbar war, und da unser Feind sich vor uns befand und nicht in unserem Rucken, war das nicht so schlimm.
Good und Umslopogaas waren schon mit dem Heer vorausgeeilt, und so begleitete uns Nylephta allein zum Stadttor. Sie ritt einen herrlichen Schimmel, der als das schnellste und ausdauerndste Pferd in ganz Zu-Vendis galt. Ich konnte sehen, da? sie geweint hatte; doch in diesem Moment waren keine Tranen mehr in ihren Augen. Ich mu? sagen, sie verhielt sich wirklich bewundernswert tapfer angesichts dieser fur sie so schweren Schicksalsprufung. Am Stadttor angekommen zugelte sie ihr Pferd und sagte uns Lebewohl.
Am Tage zuvor hatte sie noch die Parade abgehalten und eine Rede an die Offiziere des gro?en Heeres gehalten. Sie hatte in solch erhabenen, bewegten Worten zu ihnen gesprochen und dabei so uberzeugend ihr Vertrauen in ihren Heldenmut und ihren Sieg zum Ausdruck gebracht, da? sie wahrlich ihrer aller Herzen im Sturm erobert hatte, und als sie von Linie zu Linie geritten war, hatten ihr die Manner zu-gejubelt, da? der Boden schier erbebte. Und heute, in diesem Augenblick, schien sie wieder von derselben Glut beseelt zu sein.
»Leb wohl, Macumazahn!« rief sie mir zu. »Und vergi? nicht, ich vertraue darauf, da? es deinem Ver- stande, der wie eine Nadel ist zu einem Speergriff im Vergleiche zu dem meines Volkes, gelingen wird, uns vor Sorais zu bewahren. Ich wei?, da? du deine Pflicht tun wirst.«
Ich verbeugte mich und erklarte ihr, welche Angst ich vor dem Kampfe hatte und da? ich befurchtete, meinen Kopf zu verlieren. Aber sie lachelte nur sanft und wandte sich Curtis zu.
»Leb wohl, mein Geliebter! Kehre als stolzer Sieger und als Konig zuruck - oder auf den Speeren deiner Krieger[15].«
Sir Henry sagte nichts, sondern wendete sein Pferd, um loszureiten.
»Hier, an diesem Tor«, fugte Nylephta hinzu, »werde ich dich empfangen, wenn du im Triumphzug zuruckkehrst. Und nun, zum letzten Male: Lebt wohl!«
Dann ritten wir los. Als wir uns etwa hundert Yards vom Tor entfernt hatten, blickten wir uns um und sahen, da? sie noch immer an derselben Stelle auf ihrem Pferd sa? und uns unter dem Schutz ihrer Hand, die sie wie einen Schirm uber die Augen gelegt hatte, nachblickte. Und bald war sie au?er Sichtweite.
Wir waren jedoch kaum eine Meile geritten, als wir hinter uns das Galoppieren von Hufen horten. Wir schauten uns um und erblickten einen berittenen Soldaten, der rasch naher kam. Am Zugel fuhrte er Nylephtas unvergleichliches Ro? -
»Die Konigin sendet ihrem Gebieter Incubu den wei?en Hengst als Abschiedsgeschenk, und sie gab mir den Auftrag, ihrem Gebieter zu sagen, da? es das schnellste und ausdauerndste Pferd im ganzen Lande ist«, sagte der Soldat und verbeugte sich vor uns bis zum Sattelbogen.
Zuerst wollte Sir Henry das Pferd nicht annehmen, mit der Begrundung, es sei zu schade fur eine so rauhe Arbeit, wie sie uns bevorstand. Es gelang mir jedoch schlie?lich, ihn zu uberzeugen. Ich war sicher, Nylephta wurde gekrankt sein, wenn er es ablehnte. Zu jenem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung, welch unbezahlbaren Dienst uns dieses edle Pferd noch in unserer schlimmsten Not erweisen sollte. Es ist merkwurdig, wenn man manchmal zuruckschaut und sieht, von welch trivialen und offensichtlich rein zufalligen Umstanden Ereignisse von hochster Bedeutsamkeit so manches Mal abhangen. Nun, wir nahmen also das Pferd, ein wirklich wunderschones Tier - es war ein Vergnugen, seinen anmutigen und doch so kraftvollen Bewegungen zuzuschauen -, Curtis gab dem Manne seine Gru?e und seinen Dank mit auf den Weg, und dann ritten wir weiter.
Gegen Mittag holten wir die Nachhut der gro?en Armee ein, und Sir Henry ubernahm nun offiziell das Kommando. Es war eine schwere Verantwortung, und sie bedruckte ihn sehr, aber in diesem Punkte hatte es fur Nylephta nicht die geringste Diskussion gegeben. Curtis begann sich allmahlich daruber bewu?t zu werden, da? Gro?e und Wichtigkeit nicht nur Ruhm, sondern auch ein geruttelt Ma? an Verantwortung mit sich bringen.
Wir marschierten weiter, ohne auf irgendwelchen Widerstand zu treffen. Nur selten sahen wir einmal Menschen; die Bevolkerung, die in den Stadten und Dorfern langs unserer Marschroute lebte, war schon zum gro?ten Teil geflohen, aus Furcht, zwischen die beiden Armeen zu geraten und dort zu Pulver zerrieben zu werden wie das Korn zwischen den Muhlsteinen.
Am Abend des vierten Tages - das Vorankommen einer solch gro?en Menschenmenge war naturgema? sehr langsam - schlugen wir unser Lager etwa zwei Meilen vor dem Pa? auf, von dem ich schon berichtete. Unsere Spaher uberbrachten uns alsbald die Nachricht, da? sich Sorais mit ihrer ganzen gewaltigen Streitmacht auf uns zubewegte. Sie hatte ihr Lager etwa zehn Meilen vor dem Pa?, auf der anderen Seite desselben, aufgeschlagen.
Wir sandten daher noch vor Morgengrauen funfzehnhundert Mann Kavallerie aus, um die Position zu besetzen. Kaum hatten sie jedoch die Stellung erreicht, als sie auch schon von einem etwa gleichstarken Trupp von Sorais' Reiterei angegriffen wurden. Und sogleich entbrannte ein flottes kleines Kavalleriescharmutzel, im Verlaufe dessen wir ungefahr drei?ig Mann verloren. Als jedoch von unserer Seite her Verstarkung eintraf, machte Sorais' Truppe schnell einen Ruckzug; ihre Toten und Verwundeten nahmen sie mit.
Das Gros des Heeres erreichte den Pa? etwa gegen Mittag. Ich mu? sagen, Nylephta hatte nicht zuviel