Bestimmt furchten sie sich, in der Dunkelheit jenen Ort zu passieren, an dem der Held seine letzte Ruhe gefunden hat.

Und seltsamerweise ist eine neue Legende oder Prophezeiung im Lande entstanden, auf jene unerklarliche Weise, in der so etwas eben bei ungebildeten, halbzivilisierten Volkern aufzutauchen pflegt; niemand wei?, wo es seinen Ausgang genommen hat, und plotzlich ist es einfach da. Diese Legende besagt, da?, solange der alte Zulu dort hockt und auf die Treppe herunterschaut, die er als Lebender verteidigte, solange auch wird die neue Dynastie der Treppe, die entstanden ist aus der Vereinigung des Englanders mit Nylephta, Bestand haben und bluhen; doch wenn er einstmals von dort fortgenommen wird, oder wenn, Generationen spater, seine Knochen schlie?lich zu Staub zerfallen, dann wird auch die Dynastie zerfallen, und die gro?e Treppe wird zusammensturzen, und die Nation der Zu-Vendi wird aufhoren, eine Nation zu sein.

23

Ich habe gesprochen

Etwa eine Woche nach Nylephtas Besuch - ich hatte gerade damit begonnen, taglich um die Mittagszeit ein wenig im Zimmer auf- und abzugehen - wurde mir eine Botschaft von Sir Henry uberbracht. Man wollte Sorais zur Mittagsstunde im ersten Vorzimmer der koniglichen Schlafgemacher vor Nylephta und Sir Henry fuhren, und Sir Henry bat mich, falls es mir moglich ware, dabeizusein. Von der Neugier getrieben, diese ungluckliche Frau noch einmal zu sehen, machte ich mich sofort auf den Weg. Der freundliche kleine Alphonse, der mir zu einer unentbehrlichen Stutze geworden ist, und ein weiterer Diener halfen mir, das Vorzimmer zu erreichen. Ich war noch vor den anderen da; au?er mir befanden sich nur einige der hoheren Offiziellen des Hofes, um deren Anwesenheit man ebenfalls gebeten hatte, in dem Zimmer. Ich hatte kaum Platz genommen, als auch schon Sorais von der Wache hereingefuhrt wurde. Sie war so schon wie eh und je, und in ihren Zugen lag derselbe herausfordernde Trotz, den sie schon zur Schau getragen hatte, als ich sie das letzte Mal sah. Doch sie wirkte mude und abgekampft. Sie trug wie gewohnlich ihren koniglichen >Kaf<, der mit dem Sonnenemblem bestickt war, und in der rechten Hand hielt sie noch immer den kleinen silbernen Speer. Ein Stich ging mir durchs Herz, gleicherma?en aus Bewunderung und aus Mitleid. Ich erhob mich muhsam und machte eine tiefe Verbeugung vor ihr. Gleichzeitig gab ich ihr mein Bedauern zum Ausdruck, da? ich aufgrund meines schlimmen Zustandes nicht aufrecht vor ihr stehenbleiben konnte.

Sie errotete ein wenig und sagte mit einem bitteren Lacheln: »Du vergi?t, Macumazahn, ich bin keine Konigin mehr, au?er vom Geblute her; ich bin eine Ausgesto?ene und eine Gefangene, eine, die von allen verachtet werden mu? und der man keine Ehrerbietungen mehr erweisen darf.«

»Schlie?lich bist du immer noch eine Dame«, erwiderte ich, »und daher geziemt es sich immer noch, dir Achtung und Respekt zu zollen, umso mehr, als du dich in einer schlimmen Lage befindest.«

»Vergi? nicht«, gab sie mit einem Lacheln zur Antwort, »da? ich dich in Blatter aus Gold einwickeln und an der Fanfare des Engels an der hochsten Zinne des Tempels aufhangen wollte.«

»Nein«, antwortete ich, »ich versichere dir, da? ich das nicht vergessen habe; im Gegenteil: oft habe ich daran gedacht, dann, wenn es mir schien, da? sich das Kriegsgluck bei der Schlacht am Pa? gegen uns wendete. Aber die Fanfare ist dort, und ich bin noch immer hier, wenn auch wohl nicht mehr lange. Warum also jetzt gro?e Worte daruber verlieren?«

»Ah«, rief sie, »diese Schlacht! Diese Schlacht! Oh, ich wunschte, ich konnte noch einmal Konigin sein, und wenn es nur fur eine einzige Stunde ware! Welch furchterliche Rache ich nehmen wurde an jenen verfluchten Schakalen, die mich in der hochsten Not im Stich lie?en! Diese Weiber! Diese Bastarde mit dem Herzen einer Taube, die vor lauter Angst, besiegt zu werden, vergingen!« Und sie erstickte fast an ihrer grimmigen Wut.

»Ah, und jene feige Memme dort an deiner Seite«, fuhr sie fort und zeigte mit dem kleinen silbernen Speer auf Alphonse, worauf dieser erschreckt zusammenfuhr und ein au?erst unbehagliches Gesicht machte; »er entkam und verriet meine Plane. Ich versuchte, einen General aus ihm zu machen und ihm Tapferkeit einzuprugeln. Den Soldaten erzahlte ich, es ware Bougwan.« Alphonse zitterte vor Angst, als diese unangenehme Erinnerung wieder in ihm aufgeruhrt wurde. »Aber es half nichts. Er verbarg sich unter einem Banner in meinem Zelt und horte so alle meine Plane mit. Ich wunschte, ich hatte ihn getotet, doch leider beherrschte ich mich.

Und du, Macumazahn, ich horte, was du getan hast; du bist tapfer, und du hast ein redliches Herz. Und der Schwarze, ah, das war ein wahrer Mann. Nur zu gern ware ich zugegen gewesen, als er Nasta von der Treppe hinunterschleuderte!«

»Du bist eine wunderliche Frau, Sorais«, sagte ich; »ich bitte dich instandig, flehe Nylephta an, auf da? sie Gnade gegen dich walten lasse!«

Sie lachte schallend. »Ich soll um Gnade winseln!« Im selben Moment trat die Konigin in das Zimmer, begleitet von Sir Henry und Good, und nahm Platz. Ihr Gesicht verriet keinerlei Bewegung. Der arme Good machte ein au?erst unbehagliches Gesicht.

»Sei gegru?t, Sorais!« sagte Nylephta nach einem kurzen Moment des Schweigens. »Du hast das Konigreich zerrissen wie einen Fetzen Stoff, du hast Tausende von Menschen um ihr Leben gebracht, du hast zweimal niedertrachtige Verschworungen angezettelt, mit dem Ziel, mein Leben durch Mord zu vernichten, du hast geschworen, meinen Gemahl und seine Gefahrten zu toten und mich von der gro?en Treppe zu werfen. Was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen? Sprich, Sorais!«

»Mich dunkt, meine konigliche Schwester verga?, den Hauptpunkt der Anklage zu erwahnen«, antwortete Sorais in ihrer ruhigen, melodischen Stimme. »Er lautet so: >Du warst bestrebt, die Liebe meines Herrn Incubu fur dich zu gewinnen.< Und fur dieses Verbrechen will meine Schwester mich doch zum Tode verurteilen, und nicht, weil ich Krieg gegen sie gefuhrt habe. Vielleicht war es dein Gluck, Nylephta, da? ich zu spat versuchte, seine Liebe zu erringen.

Hore«, fuhr sie fort und hob ihre Stimme. »Ich habe nichts weiter zu sagen, au?er, da? ich wunschte, ich hatte gewonnen, statt zu verlieren. Mach mit mir, was du willst, o Konigin, und la? meinen Herrn, den Konig ...« - sie zeigte dabei auf Sir Henry - »denn von nun an wird er der Konig sein, das Urteil verkunden, wie es sich geziemt, denn er ist der Anfang allen Ubels, und so la? ihn auch das Ende sein.« Und sie reckte sich stolz empor, warf ihm einen kurzen, wutenden Blick aus ihren tiefen, dunklen Augen zu und begann, mit ihrem Speer zu tandeln.

Sir Henry beugte sich zu Nylephta hinuber und flusterte ihr etwas ins Ohr, und dann sprach Nyle-phta.

»Sorais, ich bin dir immer eine gute Schwester gewesen. Als unser Vater starb und die Meinungen im Lande weit auseinandergingen, ob du mit mir auf dem Throne sitzen solltest oder nicht, war ich doch die Altere von uns beiden, da erhob ich meine Stimme fur dich und sagte: >Nein, la?t sie den Thron mit mir teilen. Sie ist meine Zwillingsschwester; wir erblickten bei derselben Geburt das Licht der Welt; warum also sollte die eine den Vorzug vor der anderen erhalten?< Und so war es immer zwischen dir und mir, Schwester. Und so hast du es mir also zuruckgezahlt. Aber ich habe obsiegt, und du hast dein Leben verwirkt, Sorais. Und doch bist du meine Schwester; du bist zugleich mit mir geboren, und wir spielten zusammen, als wir klein waren, und wir liebten uns uber alle Ma?en, und nachts schliefen wir zusammen in demselben Bette und hielten einander fest umschlungen, und darum fuhlt sich mein Herz auch jetzt noch mit dir verbunden, Sorais.

Doch nicht aus diesem Grunde will ich dir das Leben schenken, denn zu schlimm war deine Schandtat; so schwer war dein Vergehen, da? es die weiten Schwingen meiner Gnade schier bis auf den Boden hinunterdruckt. Und ich wei?, solange du lebst, wird das Land keinen Frieden haben.

Und doch sollst du nicht sterben, Sorais, denn mein geliebter Gemahl bat mich, Gnade walten zu lassen; und so will ich ihm denn dein Leben als mein Hochzeitsgeschenk zu Fu?en legen; mag er daruber verfugen, wie ihm beliebt; denn ich wei?, Sorais, auch wenn du ihn liebst, so erwidert er doch nicht deine Liebe, trotz all deiner Schonheit. Und obwohl du so lieblich bist wie die Nacht im Glanze ihrer Sterne, o Sorais, Herrin der Nacht, so bin doch ich es, seine Frau, die er mit all seinem Herzen liebt, und nicht du. Und darum lege ich ihm dein Leben zu Fu?en.«

Sorais errotete heftig und sagte nichts. Ich glaube nicht, da? ich jemals einen Mann unbehaglicher habe

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