werde ich furwahr tot sein. So ist es mit uns allen. Wie viele Millionen haben schon so dagelegen wie ich und haben diese Gedanken auch gehabt und sind der Vergessenheit anheimgefallen! Vor Tausenden und Abertausenden von Jahren schon haben sie dieselben Gedanken gehabt, jene langst vergessenen Sterbenden aus grauer Vorzeit; und in Tausenden und Abertausenden von Jahren werden ihre Nachkommen dieselben Gedanken denken, und auch sie werden ihrerseits vergessen werden. »Wie der Atem des Ochsen im Winter, wie die Sternschnuppe, die uber den Himmel jagt, wie ein kleiner Schatten, der sich beim Sonnenuntergang verliert«, so horte ich einst einen Zulu namens Ignosi sagen, »so ist der Lauf des Lebens, jener Lauf, der nur ach so schnell vorbei ist.«

Nun, die Welt, die ich nun bald verlassen werde, ist keine gute Welt - niemand kann das behaupten, au?er vielleicht jene, die ihre Augen wissentlich vor den Tatsachen verschlie?en. Wie kann eine Welt gut sein, in der der Mammon die alles bewegende Kraft und in der die Selbstsucht der Leitstern ist? Was einem so verwunderlich erscheint, ist nicht die Tatsache, da? sie so schlecht ist, sondern da? es uberhaupt noch welche auf ihr gibt, die gut sind.

Und doch - nun, da mein Leben zu Ende ist, kann ich ruhigen Gewissens sagen, da? ich froh bin, gelebt zu haben; da? ich froh bin, den warmen Atem der Liebe einer Frau gespurt zu haben und jene wahre Freundschaft, die oft sogar starker ist als die Liebe zwischen Mann und Frau. Ich bin froh, das Lachen kleiner Kinder gehort zu haben, die Sonne, den Mond und die Sterne gesehen zu haben, den Ku? der salzigen See auf meinem Gesicht gespurt und das Wild beobachtet zu haben, wie es des Nachts beim Schein des Mondes zum Wasser zieht. Doch mochte ich trotz alledem nicht noch einmal leben!

Wie anders doch alles um mich herum jetzt zu werden scheint! Die Dunkelheit ruckt immer naher, und das Licht schwindet. Und doch scheint es mir, als konne ich durch den grauen Schleier der Finsternis schon manch ein langst vergessen geglaubtes Gesicht erkennen, das mich willkommen hei?t. Ich sehe Harry; auch viele andere kann ich erkennen; doch alle Gesichter werden uberstrahlt von dem der einen, jener meiner Meinung nach su?esten und vollkommensten Frau, die je auf dieser grauen Erde gewandelt ist. Doch uber sie habe ich schon an anderer Stelle genug geschrieben; warum also nun uber sie sprechen? Warum uber sie sprechen nach dieser unendlich langen Stille, nun, da sie mir wieder so nahe ist, nun, da ich den Weg gehen werde, den sie schon lange vor mir gegangen ist?

Die untergehende Sonne verwandelt die goldene Kuppel des gro?en Tempels in eine hell lodernde Flamme, und meine Hand erlahmt.

Und so reiche ich nun allen, die mich gekannt haben, und all jenen, die ich gekannt habe, all jenen, die einen freundlichen Gedanken fur den alten Jager in ihrem Herzen haben, von dem fernen Ufer die Hand

und sage ihnen Lebewohl.

Und nun befehle ich meinen Geist in die Hande des allmachtigen Gottes, der ihn einst sandte.

»Ich habe gesprochen«, wie die Zulu sagen.

24

Von einer anderen Feder

Ein Jahr ist vergangen, seit unser teurer Freund Allan Quatermain die Worte >Ich habe gesprochen schrieb, die am Ende seines Berichtes uber unsere gemeinsamen Abenteuer stehen. Ich hatte niemals gewagt, diese Niederschrift mit irgendwelchen Erganzungen zu versehen, hatte sich nicht ganz plotzlich durch einen hochst merkwurdigen Zufall die Moglichkeit ergeben, diese Aufzeichnungen nach England gelangen zu lassen. Die Chance ist nur sehr gering; aber da es sehr unwahrscheinlich ist, da? sich zu unseren Lebzeiten noch einmal eine solche eroffnet, haben Good und ich beschlossen, sie zu nutzen. Wahrend der vergangenen sechs Monate haben diverse Grenzkommissionen die verschiedenen Grenzen von Zu-Vendis eingehend inspiziert, um herauszufinden, ob irgendwelche Moglichkeiten existieren, aus dem Land herauszukommen oder es zu betreten. Das Resultat war, da? sie einen Verbindungskanal zur Au?enwelt entdeckten, der bisher ganzlich ubersehen worden war. Dieser Verbindungsweg ist offensichtlich der einzige, der existiert. (Ich habe herausgefunden, da? uber ihn der Eingeborene, der schlie?lich Mr. Mackenzies Missionsstation erreichte, in das Land gekommen war. Sein Auftauchen in Zu-Vendis wurde ebenso wie seine Vertreibung - er erreichte das Land tatsachlich drei Jahre vor uns - aus unerfindlichen Grunden von den Priestern, zu denen man ihn brachte, strikt geheimgehalten.) Er soll nun ein fur allemal geschlossen werden. Doch bevor dies geschieht, wird ein Bote mit diesem Manuskript das Land verlassen. Daruber hinaus wird er ein oder zwei Briefe mitnehmen, die Good an seine Freunde geschrieben hat, sowie einen Brief von mir an meinen Bruder George. Der Gedanke, da? ich ihn niemals wiedersehen werde, stimmt mich sehr traurig. Ich habe ihm in diesem Brief geschrieben, da? er als mein direkter Erbe frei uber mein Vermogen, das ich in England zuruckgelassen habe, verfugen darf, sofern das Hinterlegungsgericht seine Zustimmung dazu gibt, denn Good und ich haben uns dazu entschlossen, nie mehr nach Europa zuruckzukehren. Selbst wenn wir tatsachlich den Wunsch hatten, konnten wir ohnehin Zu-Vendis nie wieder verlassen.

Der Bote, den wir losschicken wollen - und ich wunsche ihm von Herzen alles Gute fur die Reise -, ist Alphonse. Seit langer Zeit schon langweilen ihn Zu-Vendis und seine Einwohner zu Tode. »Oh, oui, c'est beau«, pflegt er mit einem bezeichnenden Achselzucken zu sagen, wenn man ihn fragt, wie es ihm in Zu-Vendis gefallt; »mais je m'ennuie; ce n'est pas chic.« Standig beklagt er sich schrecklich daruber, da? es keine Cafes und keine Theater gibt, und dann jammert er pausenlos uber seine verlorene Annette. Er behauptet, dreimal die Woche von ihr zu traumen. Ich glaube indessen, der tiefere Grund fur seine Abscheu gegen das Land liegt - einmal abgesehen von dem Heimweh, das wohl jeden Franzosen in der Fremde plagt - darin, da? die Leute hier schrecklich uber sein Verhalten, das er wahrend der gro?en Schlacht am Pa? an den Tag legte, lachen. Die Geschichte, wie er sich unter einem Banner in Sorais' Zelt versteckte, um nicht in den Kampf geschickt zu werden (was, wie er sagt, gegen sein Gewissen gegangen ware), ist noch heute, achtzehn Monate nach jenem denkwurdigen Ereignis, in aller Munde. Selbst die kleinen Jungen auf der Stra?e rufen ihm spottisch nach. Ich kann verstehen, da? das seinen Stolz zutiefst verletzt und ihm das Leben hier unertraglich macht. Nun, jedenfalls hat er sich dazu entschlossen, die Strapazen und Gefahren einer abenteuerlichen Reise auf sich zu nehmen, die an Beschwerlichkeit und Fahrnissen wohl ihresgleichen sucht. Er ist sogar gewillt, Gefahr zu laufen, der franzosischen Polizei in die Hande zu fallen und sich fur eine kleine Unbesonnenheit (von der ich im ubrigen glaube, da? es sich um keine besonders schwerwiegende Angelegenheit handelt), zu der er sich vor Jahren hat hinrei?en lassen, zu verantworten. Jedenfalls ist ihm das lieber, als hierzubleiben, in ce triste pays.

Der arme Alphonse! Die Trennung von ihm wird uns nicht leichtfallen; moge er, um seinetwillen, und um dieser Geschichte willen, die es meiner Meinung nach wert ist, da? sie in die Au?enwelt gelangt, heil und sicher Europa erreichen! Sollte ihm das gelingen, und sollte er es schaffen, den Schatz, den wir ihm in Form massiver Goldbarren mitgegeben haben, unbeschadet nach Europa zu bringen, dann wird er fur sein Leben ausgesorgt haben und sehr wohl in der Lage sein, seine Annette zu heiraten, falls sie noch unter den Lebenden weilt und gewillt ist, ihren Alphonse zum Manne zu nehmen.

So, und nun will ich die Gelegenheit nutzen und der Erzahlung des guten alten Quatermain noch ein paar Worte hinzufugen.

Er starb im Morgengrauen jenes Tages, an dessen Vorabend er die letzten Worte des Kapitels geschrieben hatte. Nylephta, Good und ich waren zugegen, und ich mu? sagen, es war eine zutiefst ergreifende und doch auf ihre Art schone Szene. Eine Stunde vor Tagesanbruch wurde es uns zur Gewi?heit, da? es mit ihm zu Ende ging. Wir waren zutiefst betrubt. Good brach bei dem Gedanken, da? unser lieber alter Freund bald von uns gehen wurde, in Tranen aus -was noch einmal einen letzten Funken von Humor in unserem sterbenden Freund aufflackern lie?. Selbst in seiner letzten Stunde hatte ihn sein Humor nicht verlassen. Als Good zu weinen begann, fiel ihm naturlich, da sich die Muskeln lockerten, sein Monokel aus dem gewohnten Sitz, und Quatermain, dem ja nie etwas entging, sah das.

»Endlich«, sagte er schweratmend und versuchte ein letztes Mal zu lacheln, »endlich habe ich Good einmal ohne sein Monokel gesehen!«

Danach schwieg er bis zum Anbruch des Tages, und dann bat er uns, ihn aufzurichten, damit er zum letztenmal die aufgehende Sonne sehen konnte.

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