»In ein paar Minuten«, sagte er, unverwandt mit ernstem Gesicht in die aufgehende Sonne starrend, »werde ich jene goldene Pforte durchschreiten.«
Zehn Minuten spater richtete er sich noch einmal auf und schaute jeden von uns lange an.
»Ich gehe nun auf eine lange Reise, die seltsamer ist als alle die, die wir zusammen unternommen haben, meine Freunde. Verge?t mich nicht; denkt ab und zu mal an mich«, murmelte er. »Gott segne euch. Ich werde auf euch warten.« Dann sank er mit einem tiefen Seufzen tot in seine Kissen.
Und so ging ein Mensch von uns, den ich als einen betrachte, der wohl nahezu vollkommen war, mehr als jeder andere, dem ich je begegnet bin. Ich schatze mich glucklich, ihn gekannt zu haben.
Er hatte ein unsagbar gutes Herz, verfugte uber einen prachtigen Humor und besa? viele der Qualitaten, die einen Poeten ausmachen. Unerreicht war er als ein Mann der Tat und als ein wahrer Weltburger. Ich kenne niemanden, der mit so treffender Sicherheit wie er die Menschen und ihre Motive beurteilen konnte. »Ich habe die menschliche Natur mein ganzes Leben lang studiert«, pflegte er manchmal zu sagen, »und ich glaube, ich kenne sie ein wenig.« Und wie er sie kannte! Er hatte nur zwei Schwachen - die eine war seine ubertriebene Bescheidenheit, die andere seine Neigung, die Personen, auf die er seine Zuneigung konzentrierte, eifersuchtig zu bewachen. Was den ersten Punkt betrifft, so wird jeder, der diese Erzahlung liest, in der Lage sein, sich sein eigenes Urteil daruber zu bilden. Ich mochte mir jedoch erlauben, noch ein letztes Beispiel hinzuzufugen.
Der Leser wird zweifellos bemerkt haben, da? er keine Gelegenheit ausla?t, sich als einen furchtsamen Menschen hinzustellen. In Wirklichkeit jedoch besa? er, obgleich er sehr vorsichtig war, einen hochst unerschrockenen Mut, und was noch viel wichtiger ist: Er verlor niemals den Kopf. Liest man zum Beispiel seine Beschreibung von der gro?en Schlacht am Pa?, in der er sich die Verwundung zuzog, die ihn schlie?lich das Leben kostete, so konnte man meinen, wenn man dem Eindruck folgt, den er zu erwecken trachtet, da? es blo? ein zufalliger Hieb war, der ihn inmitten des Kampfgetummels traf. Tatsache war jedoch, da? er sich die Verwundung bei dem hochst tapferen und erfolgreichen Versuch, Goods Leben zu retten, zuzog, auf die Gefahr hin, sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen, und tatsachlich sollte ihn diese beispiellose Tat ja auch das Leben kosten. Good lag am Boden, und einer von Nastas Hochlandern war gerade im Begriff, ihm den entscheidenden Sto? zu versetzen, als Quatermain sich uber Goods Korper warf und der Hieb ihn selbst traf. Schwer verwundet richtete er sich auf und totete den Soldaten.
Was seine Eifersucht betrifft, so mag ein einziges Beispiel, das ich anfuhren mochte, um Nylephta und mir Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, genugen. Der Leser erinnert sich vielleicht daran, da? er an ein oder zwei Stellen den Eindruck zu erwecken versucht, als hatte mich Nylephta ganzlich mit Beschlag belegt, und als hatten wir beide ihn mehr oder weniger links liegengelassen. Nun, Nylephta ist sicherlich nicht perfekt; keine Frau ist das, und vielleicht ist sie bisweilen auch ein wenig
Zum Beispiel jene Stelle, an der er sich bitter daruber beklagt, da? ich ihn nicht besuchen komme, als er krank ist: Es war so, da? die Arzte mir den Besuch trotz meines Drangens schlichtweg untersagten. Solche und ahnliche kleinen Sticheleien tun mir sehr weh, wenn ich sie lese, denn ich liebte Quatermain wie einen Vater, und es ware mir nicht im Traum eingefallen, zuzulassen, da? diese meine Zuneigung zu ihm unter meiner Heirat gelitten hatte. Doch reden wir nicht langer daruber; es ist, wie schon gesagt, wirklich nur eine kleine Schwache, die bei all den liebenswerten Tugenden, die ihn auszeichneten, nicht ins Gewicht fallt.
Nun, so starb er denn, und Good las in Anwesenheit von Nylephta und mir die Trauerrede. Mit Rucksicht auf die Stimme des Volkes, die sturmisch eine Bestattung in gro?em Pomp forderte, wurden seine sterblichen Uberreste im Rahmen einer gro?en, offentlichen Trauerfeier beigesetzt, oder vielmehr, verbrannt. Wahrend ich an der Spitze des endlosen Trauerzuges zum Tempel schritt, mu?te ich daran denken, wie sehr ihm dieser ganze Aufwand zuwider gewesen ware, wenn er selbst dabeigewesen und Zeuge der Feier geworden ware; denn nichts verabscheute er so sehr wie prunkvolle Zurschaustellung.
Und so legte man ihn am dritten Tage nach seinem Tode wenige Minuten vor Sonnenuntergang auf die messingne Platte vor dem Hauptaltar.
Bald fiel der letzte Strahl der untergehenden Sonne wie ein goldener Pfeil auf sein bleiches Antlitz und tauchte es wie in einen goldenen Heiligenschein. Dann erklangen die Fanfaren, die Platte senkte sich, und die sterbliche Hulle unseres geliebten Freundes sturzte in den Flammenofen.
Nie wieder werden wir einen solchen Mann sehen, und wenn wir hundert Jahre alt werden. Er war der fahigste Mann, der vollkommenste Gentleman, der treueste Freund, der anstandigste Kerl und, ich glaube, der treffsicherste Schutze in ganz Afrika.
Und so endete das so bemerkenswerte und abenteuerliche Leben des Jagers Quatermain.
Seither haben sich die Dinge sehr gut fur uns entwik-kelt. Good ist seit einiger Zeit voll damit beschaftigt, eine Marine auf dem Milosis-See und einem anderen der gro?en Seen aufzubauen, mit deren Hilfe wir hoffen, Handel und Gewerbe entscheidend entwickeln zu konnen und daruberhinaus einige aufruhrerische und kriegerische Bevolkerungsgruppen, die an den Seeufern leben, zur Raison bringen zu konnen.
Der arme Kerl! Es gelingt ihm allmahlich, uber den tragischen Tod jener fehlgeleiteten und doch so schonen Frau, Sorais, hinwegzukommen. Es war wirklich ein schwerer Schlag fur ihn, denn er liebte sie von ganzem Herzen. Ich hoffe jedoch, da? er uber kurz oder lang eine geeignete Frau findet, die er heiraten kann, und da? uber dieses tragische Ereignis allmahlich Gras wachst. Nylephta hat schon ein oder zwei junge Damen ins Auge gefa?t, darunter eine von Na-stas Tochtern (er selbst war Witwer), ein prachtiges, stattliches Geschopf. Fur meinen Geschmack hat sie jedoch zuviel von dem intriganten und gleichzeitig hochmutigen Charakter ihres Vaters an sich.
Was mich betrifft, so wei? ich kaum, wo ich anfangen soll, wenn ich all das beschreiben will, worum ich mich tagtaglich kummern mu?. Also ist es das Beste, ich fange gar nicht erst damit an, sondern begnuge mich damit, zu sagen, da? ich im gro?en und ganzen recht gut mit meiner seltsamen Stellung als Prinzgemahl zurechtkomme - besser jedenfalls, als ich von Rechts wegen hatte erwarten konnen. Aber naturlich ist nicht alles eitel Sonnenschein, und manchmal druckt mich die Last der Verantwortung recht schwer. Dennoch bin ich guter Hoffnung, in meinem Leben noch einiges Gute zustande zu bringen. Zwei gro?en Zielen will ich mich in erster Linie widmen: namlich zum einen der Konsolidierung der zahlreichen Sippen, aus denen sich das Volk von Zu-Vendis zusammensetzt; und zwar unter einer starken Zentralregierung. Zum zweiten habe ich mir vorgenommen, die Macht der Priesterschaft zu brechen. Die erste dieser Reformen wird, wenn sie erfolgreich durchgefuhrt werden kann, endlich mit dem Ubel der schrecklichen Burgerkriege, die jahrhundertelang das Land verheerten, aufraumen. Die zweite wird, abgesehen davon, da? sie eine stetige Quelle politischer Unruhen zum Versiegen bringt, den Weg fur die Einfuhrung einer echten Religion ebnen, die diesen absurden Sonnenkult ersetzen soll. Ich hoffe, da? ich noch zu meinen Lebzeiten das Kreuz Christi auf der hochsten Zinne des Tempels sehen kann; und wenn nicht, dann sollen es meine Nachfahren konnen.
Und noch etwas habe ich mir geschworen: Zu-Vendis von jeglichen Auslandern reinzuhalten. Es ist zwar kaum zu erwarten, da? nach der Schlie?ung des letzten Verbindungsweges uberhaupt noch einmal ein Fremder dieses Land betritt, aber sollte dies dennoch einmal der Fall sein, dann will ich ihn jetzt schon in aller Hoflichkeit darauf hinweisen, da? er aus dem Land gewiesen werden wird, und zwar auf dem kurzesten Wege. Ich sage dies beileibe nicht aus einem etwaigen Gefuhl der Ungastlichkeit heraus, sondern einzig aus dem Grunde, weil ich von meiner heiligen Pflicht uberzeugt bin, da? ich diesem im gro?en und ganzen rechtschaffenen und warmherzigen Volke die Segnungen seiner relativen Unzivili-siertheit und Ursprunglichkeit erhalten mu?. Was konnte meine tapfere Armee schon ausrichten, wenn irgendein blutrunstiger Abenteurer auf die Idee kame, uns mit Feldhaubitzen und Martini-Henrys anzugreifen? Ich kann nicht feststellen, da? das Schie?pulver, der Telegraf, die Dampfmaschine, die Tageszeitungen, das allgemeine Wahlrecht usw., usf. die Menschheit auch nur um einen Deut glucklicher gemacht haben, als sie es vorher war, und ich bin sicher, da? all diese Dinge viel Boses mit sich gebracht haben. Ich bin nicht gewillt, dieses herrliche Land in die gierigen Hande von Spekulanten, Touristen, Politikern und Professoren fallen zu lassen, deren Sprache die Sprache von Babylon ist, und die sich um jeden Fu?breit Land gegenseitig in Fetzen rei?en wurden wie jene schrecklichen Kreaturen im Tal des unterirdischen Flusses, die sich um den Kadaver des wilden Schwans gegenseitig zerrissen und zerstuckelten. Ich werde alles tun, um zu verhindern, da? Geldgier, Trunksucht, neue Krankheiten, Schie?pulver und jene allgemeine Demoralisierung sich im Lande breit machen, die das Hauptmerkmal fur das Vordringen der Zivilisation in unzivilisierte Volker darstellen. Sollte es jedoch der Vorsehung gefallen, Zu-Vendis zu gegebener Zeit fur die Welt zu offnen, dann ist das etwas anderes; ich selbst jedoch werde diese Verantwortung nicht ubernehmen, und ich darf hinzufugen, da? Good mit dieser meiner Entscheidung voll und ganz einverstanden ist. Und nun sage ich