Prinzip in der Natur. Unzweifelhaft ist Ayesha ein machtiges Symbol, und darin liegt die frappierende Wirkung und Faszination der Gestalt; als menschliche Personlichkeit aber ist sie hochst uninteressant, und je mehr sie von sich kundtut, desto uninteressanter wird sie.
Neben King Salomon's Mines und She ist Allan Quatermain (1887) Haggards vielleicht bekanntestes und bestes Buch und in gewisser Hinsicht sein folgenschwerstes. Es ist erneut eine Erzahlung von unerhorten Entdeckungen in Afrika, enthalt aber uberhaupt keine ubernaturlichen Elemente, sondern gehort zu einer Untergattung der Fantasy bzw. Science Fiction, die im englischen Sprachraum als >lost race< bezeichnet wird: eine Geschichte von einer im Verborgenen bluhenden, von der Umwelt abgeschnittenen menschlichen Gemeinschaft. In Allan Quatermain leben in einem ausgedehnten, von Felsen umschlossenen Hochtal im Herzen Afrikas Nachfahren der alten Perser. Die Abenteurer gelangen dorthin nach einer alptraumhaften Bootsfahrt durch einen unterirdischen Flu?lauf. Zu den bemerkenswertesten Ereignissen gehort eine aus dem Boden schie?ende Flammensaule aus Erdgas, ahnlich der in Sie (aber ohne okkulte Auswirkungen). In einer Felsenstadt mit gran-dioser Architektur und in den Landstrichen der Umgebung lebt ein hellhautiges, kriegerisches Volk mit einer machtigen Priesterkaste, regiert von zwei Koniginnen, der blonden Nylephta und ihrer Schwester, der dunkelhaarigen Sorais. Beide verlieben sich in Sir Henry Curtis, was zu Intrigen und kriegerischen Auseinandersetzungen fuhrt, zumal die Abenteurer unklugerweise gleich bei ihrer Ankunft eine Demonstration der Starke veranstalten, indem sie einige harmlose Flu?pferde erschie?en - was die Priesterkaste gegen sie aufbringt, denn diese Tiere sind heilig. Ein solcher Konflikt ist ein beliebtes Motiv vieler phantastischer Romane. Das alles fuhrt unweigerlich zu einer Entscheidungsschlacht, bei der der alte ZuluHaudegen Umslopogaas den Tod findet und Allan Quatermain schon im zweiten Roman des Zyklus todlich verwundet wird; die spateren Bucher, in der diese Gestalt auftritt, haben sodann seine Lebensgeschichte mit Abenteuern ausgefullt, ohne da? es eine widerspruchsfreie Chronologie gabe.
Die meisten von Haggards Buchern spielen in Afrika, das er am besten kannte, und einige glorifizieren die Zulus und ihre Kriegsorganisation. Sie sind voll vom Geschrei ansturmender Impis und erbitterten, blutigen Schlachten. Das beste der Bucher uber die Zulus, wenn auch eines der blutigsten und grausamsten, ist unzweifelhaft Nada the Lily (1912). Es ist ein Buch von kriegerischer Grandiositat, das sich zuweilen zu mythischer Erhabenheit aufschwingt. Es erzahlt die Geschichte Umslopogaas, des >Schlachters<, wie er in seiner Jugend mit den Wolfen (eigentlich Hyanen) jagte - Szenen, die Kipling stark beeinflu?t haben -, wie er zum Hauptling des Stammes der Axt aufstieg, wie er von seiner eigenen Frau verraten wurde, wie er sich rachte und zum Fluchtling wurde. Und diese dramatische Geschichte entfaltet sich vor dem historischen Hintergrund des Aufstiegs und Falles des Zulu-Napoleon Chaka, der zu Anfang des 19. Jahrhunderts die Militarmacht der Zulus erschuf und der in seiner kurzen, aber sturmischen Karriere den Tod von mehr als einer Million Menschen verursacht haben soll. Er fuhrte den Assegai als einheitliche Waffe ein, gliederte seine Armee in straff gefuhrte und fanatisch gehorchende Regimenter und machte aus ihr ein Prazisionsinstrument der Vernichtung, das fur letztlich sinnlose Eroberungen und Vernichtungsorgien eingesetzt wurde. Einmal hat er ein ganzes Regiment in eine Schlucht springen lassen, nur um den Gehorsam seiner Soldaten zu erproben. Cha-ka war ein genialer Stratege, aber ein vollig skrupelloser und krankhaft mi?trauischer Mensch, der schlie?lich von seinem Bruder Dingaan ermordet wurde - und Dingaan selbst wurde wiederum von Panda mit Hilfe einer Burenarmee gesturzt.
Man hat Haggard zuweilen Rassismus vorgeworfen, was kaum zutrifft. Er war naturlich ein typischer englischer Imperialist, das hei?t, es war fur ihn gar keine Frage, da? es die gottliche Bestimmung Englands sei, den afrikanischen Volkern die Segnungen seiner Regierung zu bringen, aber sein Werk ist frei von Verachtung oder Herablassung gegenuber den >Wilden<. Er interessierte sich fur ihre Kultur und verherrlichte selbst die grausamen Seiten ihrer Gebrauche. In Nada the Lily hat er einen Roman geschrieben, den man als die Nibelungensage der Zulus bezeichnen konnte und der die gleiche Uberzeugungskraft und Wurde hat wie ein genuiner Mythos. Und Umslopogaas, in dem das Blut Chakas flie?t, ist mindestens eine so interessante Gestalt wie Allan Quatermain selbst; mit seiner unfehlbar geschwungenen Streitaxt Inkosi-kaas ist er die Verkorperung des heldischen Zulus, der seine hochste Erfullung im Kampf um des Kampfes willen findet.
Haggards Vorbild sind viele Autoren gefolgt, man denke nur an die fantastischen Romane Abraham Merritts oder die Tarzan-Bucher des Edgar Rice Burroughs, in denen standig in Afrika neue verborgene Zivilisationen entdeckt werden. Diese Autoren schreiben aber alle viel primitiver. Einzig Talbot Mundy (1879-1940) verfa?te Abenteuerromane mit okkultem Einschlag, die denen Haggards nahekommen und sie in gewisser Hinsicht zuweilen sogar ubertreffen.
Insgesamt schrieb Haggard 58 Romane und Erzahlungsbande; daneben einige Bucher uber die Landwirtschaft und ahnliches, wofur er sich interessierte. Er arbeitete an verschiedenen Kommissionen mit, und seine Sachbucher erhielten die Anerkennung der Fachleute. Doch das, woran ihm am meisten lag, eine anerkannte Position im offentlichen Leben, wurde ihm nicht zuteil, wahrend er durch seine Romane, die ihm selbst nicht besonders wichtig waren, beruhmt wurde. Seine Bucher sind deshalb auch keine Meisterwerke der Prosa, sein Stil ist oft nachlassig, und die Fabeln wiederholen sich; aber er ist fast immer ein fabelhafter Geschichtenerzahler, der den Leser in seinen Bann zieht, ob er jetzt von Afrika schreibt oder von anderen exotischen Gegenden und fernen Zeiten: dem Mexiko zur Zeit des Cortes (Mon-tezuma's Daughter, 1893), dem 10. Jahrhundert der Wikinger (Eric Brighteyes, 1891), dem alten Agypten (Cleopatra, 1889) oder von Byzanz und dem Agypten Harun-al-Raschids (The Wanderer's Necklace, 1914). In den meisten seiner Geschichten gibt es ubernaturliche Elemente, und Haggard war der Uberzeugung nach Spiritualist. Doch sind seine okkulten Einschube gerade dann am langweiligsten, wenn er sie zu systematisieren suchte. Haggard war kaum ein philosophischer Kopf, der Glaube an ein Fortleben nach dem Tode und das spiritualistische Universum sind in seinem Werk sicher nicht zentral und die erzahlerischen Einzelheiten seiner Romane, die Ereignisse selbst, sind zumeist weit interessanter als die Gesamtbedeutung der Bucher. Die romantischen Liebesaffaren verblassen gegenuber den Schlachtszenen und Abenteuern, und seine verliebten Frauengestalten, ob jetzt Koniginnen oder gewohnliche Sterbliche, reden zumeist sehr papieren. Das Ubernaturliche ist weniger eine Uberzeugung als ein Element, das sich zwanglos aus den Vorstellungen und Ansichten der Wilden ergibt, die Haggard mit so viel Einfuhlungsvermogen und Anteilnahme schildert. Es verleiht den Abenteuern zusatzlich eine mythische Dimension und steigert das Wunderbare und Erstaunliche.
Merkwurdigerweise hat Henry Rider Haggard in Deutschland nie ein sonderliches Echo gefunden, nicht einmal bei jugendlichen Lesern. Von King Solomon's Mines gibt es immerhin drei deutsche Ausgaben, die vor einigen Jahren im Diogenes-Verlag erschienene Neuausgabe eingerechnet. Die erste Ubersetzung erschien schon wenige Jahre nach der englischen Ausgabe, namlich 1888 (Konig Salomo's Schatzkammer, Munchen: Th. Stroofer). Eine Neuausgabe erschien 1910 im selben Verlag unter dem Titel Diamantminen von Afrika. Dreimal herausgekommen ist auch She, zuerst als Sie (Jena: H. Costenoble, 1911), dann erneut als Die Herrin des Todes (Berlin: Verlag Die Brucke, 1926); jetzt gibt es ein Diogenes Taschenbuch (Sie, 1976). Drei Ausgaben sind fur so erfolgreiche Bucher recht wenig. Abgesehen von vier nichtphantastischen Romanen, namlich Eine neue Judith (1887; loss), Oberst Quaritch (1891; Colonel Quaritch), Beatrice (1892; Beatrice), Die schone Margarete (1912; Fair Margaret), erschienen noch folgende phantastische Bucher in deutscher Ubersetzung, die alle sehr selten sind: The Ivory Child (Das Elfenbeinkind, Berlin: Safari-Verlag, 1925; Berlin: J. Singer, 1927), Cleopatra (zuerst unter dem Titel Kleopatra, Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt; erneut 1897 als Harmachis, der letzte gottliche Pharao als Verrater seines Volkes, Leipzig: Buchhandlung Gebr. Fandrich, 1925), The Holy Flower (Die heilige Blume, Berlin: Safari-Verlag, 1925; Berlin: J. Singer, 1927), The Heart of the World (Das Herz der Welt, Berlin: Vita-Verlag, 1898), Heu-Heu; or the Monster (Heu- Heu, Wien, Leipzig, Lubeck: Stein Verlag, 1925), Allan's Wife (Der Zauberer im Sululande, Freiburg i. Br.: Fehsenfeld, 1897; Berlin: Ullstein, 1930) und schlie?lich Allan Quatermain (Das unerforschte Land, Freiburg i. Breisgau: Fehsenfeld, 1896, 1912 und 1927). Es ist zu hoffen, da? vorliegende Neuausgabe von Allan Qua- termain das Interesse an Henry Rider Haggard beleben wird.