und anschlie?end Aldershot gekommen war. Den ganzen Weg nach Guildford und wieder zuruck mit dem Rad zu fahren, war kein sehr verlockender Gedanke. Und er war nicht sicher, ob das an einem Tag zu schaffen war. Einmal abgesehen davon, dass er auch noch einen Experten finden musste, der sich sowohl mit Giften als auch mit Seuchen auskannte.
Er seufzte. »Vergiss es«, sagte er. »War nur eine blode Idee.«
»Nicht unbedingt«, antwortete Matty. »Es gibt andere Wege, nach Guildford zu kommen.«
»Ich kann nicht reiten, und ein Pferd habe ich auch nicht.«
»Und was ist mit dem Zug?«
»Ich wurde die Aktion lieber unbemerkt durchziehen, ohne dass jemand davon erfahrt. MrsEglantine scheint den Stationsvorsteher zu kennen, und ich will nicht, dass sie wei?, was ich die ganze Zeit uber so mache.«
»Es gibt noch einen Weg«, sagte Matty zogernd.
»Und zwar?«
»Auf dem
»Auf dem was?«
»Auf dem
Sherlock dachte einen Augenblick uber den Vorschlag nach. »Wir wurden ein Boot brauchen.« Dann fugte er, bevor Matty noch etwas sagen konnte, hinzu: »Und du hast eines, zumindest ein kleines Kanalboot.«
»Und ein Pferd, um es zu ziehen.«
»Wie lange wurden wir brauchen?«
Matty uberlegte einen Moment. »Vermutlich genauso lange wie mit dem Rad. Aber es ist sehr viel bequemer. Heute schaffen wir es wahrscheinlich nicht mehr. Wir konnten uns morgen bei Sonnenaufgang treffen. Wir waren allerdings die meiste Zeit auf dem Wasser unterwegs. In Guildford wirst du nicht sehr viel Zeit haben.«
»Wie war’s dann, wenn wir noch vor Sonnenaufgang losfahren?«, fragte Sherlock.
Matty blickte ihn skeptisch an. »Werden sich deine Tante und dein Onkel keine Sorgen machen?«
In Sherlocks Kopf surrte es wie in einer Standuhr, die kurz vor dem Schlagen war. »Nachher beim Abendessen werde ich erzahlen, dass ich gleich ins Bett gehe. Wenn es spater dunkel ist und alle schlafen gegangen sind, kann ich mich aus dem Haus schleichen. Ich bin sicher, dass das klappt. Nach mir hat noch nie jemand gesehen. Und ich kann eine Nachricht im Speisezimmer hinterlassen, in der ich mitteile, dass ich schon vor dem Fruhstuck aufgestanden bin, um mit Amyus Crowe rauszugehen. Die Botschaft werden sie erst am Morgen finden. Das funktioniert garantiert!«
»Der Fluss flie?t dicht am Haus deines Onkels vorbei«, sagte Matty. »Ich kann dir eine Karte zeichnen und dich dann dort abholen. Wir konnen schon morgens in Guildford und noch vor Sonnenuntergang wieder zuruck sein.«
Matty nahm einen spitzen Stein vom Boden auf und ritzte damit rasch eine Karte auf ein Holzstuckchen, das er aus seiner Sitzgelegenheit herausgebrochen hatte. Sherlocks Vermutung nach konnte der Junge weder lesen noch schreiben, aber seine Karte war perfekt und so gut wie ma?stabsgetreu. Sherlock konnte sich genau vorstellen, wo sie sich treffen wurden.
»Ich brauche dich, damit du was erledigst«, sagte Sherlock.
»Was?«
»Hor dich mal um. Sieh, ob du was uber den toten Mann rausfinden kannst. Der, vor dessen Haus du gestanden hast. Krieg raus, was er so gemacht hat.«
»Wie meinst du das?«
»Was er beruflich gemacht hat. Womit er sein Geld verdient hat. Ich hab das Gefuhl, das konnte wichtig sein.«
Matty nickte. »Ich werd tun, was ich kann«, erwiderte er. »Aber normalerweise erzahlt man Kindern nichts.«
Danach ging alles reibungslos uber die Buhne. Sherlock fuhr zuruck nach Holmes Manor und kam gerade an, als sich die Familie zum Mittagessen versammelte. Er versuchte, seinen Plan in Gedanken noch einmal grundlich durchzugehen. Er prufte, inwieweit jede Phase auch unvorhergesehenen Ereignissen standhalten wurde, und klopfte die Details nach Schwachstellen ab. Aber unversehens ertappte er sich immer wieder dabei, wie seine Gedanken zu Virginia Crowe abschweiften. Allerdings wollte es ihm nicht so richtig gelingen, sich die Konturen ihres Gesichtes und die Form ihres wallenden Haares ins Gedachtnis zu rufen.
Amyus Crowe traf nach dem Mittagessen ein. Anschlie?end gingen die beiden gleich hinaus auf die Veranda, wo Crowe Sherlocks Denkvermogen einige Stunden lang mit Puzzles und Denkspielen auf die Probe stellte. Vor allem eines blieb Sherlock im Gedachtnis haften.
»Also, stellen wir uns mal Folgendes vor: Drei Burschen beschlie?en, sich die Kosten fur ein Hotelzimmer zu teilen«, sagte Crowe. »Das Zimmer kostet drei?ig Schilling die Nacht, einschlie?lich Abendessen und Fruhstuck. Offensichtlich haben wir es hier mit einem noblen Haus zu tun. Also zahlt jeder der drei dem Geschaftsfuhrer zehn Schilling. Soweit alles klar?«
Sherlock nickte.
»Gut. Am nachsten Morgen stellt der Geschaftsfuhrer fest, dass er einen gravierenden Fehler gemacht hat. Wegen Umbauarbeiten im Hotel wird das Zimmer eigentlich zu einem Spezialtarif angeboten. Also schickt er einen Pagen zu ihnen aufs Zimmer, um ihnen funf Schillinge zuruckzugeben. Die drei sind so angetan, dass sie beschlie?en, dem Pagen zwei Schillinge Trinkgeld zu geben, wahrend jeder einen Schilling fur sich behalt. Also bezahlt am Ende jeder neun, anstatt zehn Schillinge, und der Page hat zwei Schillinge bekommen. Richtig?«
Wieder nickte Sherlock, aber sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren, um noch mitzukommen. »Moment. Wenn jeder am Ende neun Schillinge zahlt, macht das insgesamt siebenundzwanzig Schillinge. Zahlt man die beiden Schillinge, die der Page bekommen hat, hinzu, kommt man auf neunundzwanzig Schillinge. Ein Schilling fehlt.«
»Das ist richtig«, sagte Crowe. »Sag mir, wo er geblieben ist.«
Die nachsten zwanzig Minuten verbrachte Sherlock damit, auf die Losung zu kommen. Zunachst probierte er es im Kopf, dann auf Papier. Doch schlie?lich musste er eingestehen, dass er geschlagen war. »Ich komm’ einfach nicht drauf«, sagte er. »Der Geschaftsfuhrer hat funf Schillinge zuruckgezahlt und damit hat er ihn nicht mehr. Der Page hat zwei Schillinge bekommen, somit hat er ihn auch nicht erhalten. Und die drei haben jeder einen Schilling zuruckbekommen, und folglich haben sie ihn auch nicht.«
»Das Problem liegt in der Betrachtungsweise«, erklarte Crowe. »In der Tat, drei mal neun Schillinge macht siebenundzwanzig Schillinge. Aber darin ist das Trinkgeld bereits enthalten. Es macht keinen Sinn, das Trinkgeld zu dieser Summe hinzuzurechnen, um so auf neunundzwanzig Schillinge zu kommen. Wenn du das Problem restrukturierst, wird dir klar, dass die drei Manner funfundzwanzig Schillinge fur das Zimmer und zwei Schillinge fur das Trinkgeld gezahlt haben. Dann haben sie jeder einen Schilling zuruckbekommen, wodurch wir insgesamt wieder auf drei?ig Schillinge kommen. Und somit lautet das Fazit also …?«
Sherlock nickte. »Lass nicht zu, dass jemand anderes das Problem fur dich formuliert, weil er dich auf den Holzweg fuhren konnte. Nimm die Fakten, die man dir zur Verfugung stellt, sieh sie dir in aller Ruhe an, und formuliere das Problem dann in einer logischen Weise, die dich in die Lage versetzt, die Losung zu finden.«
Amyus Crowe ging vor dem Abendessen, und Sherlock kehrte in sein Zimmer zuruck, um daruber nachzudenken, was er gelernt hatte. Zum Abendessen begab er sich wieder hinunter und a? schweigend, wahrend sein Onkel las und seine Tante vor sich hinredete. MrsEglantine stand wieder etwas abseits im Raum und beaugte ihn argwohnisch. Er mied jedoch einfach ihren Blick. Nur ein einziges Mal kam so etwas wie eine Konversation auf, als sein Onkel von seinem Buch aufsah und sich an die Hauswirtschafterin wandte. »MrsEglantine, was bieten die Garten von Holmes Manor so an Lebensmittelvorraten?«
»Was Gemuse anbelangt, so bauen wir genug fur unsere eigenen Bedurfnisse an«, sagte sie mit verkniffenem Mund. »Bei Geflugel und Eiern sieht es genauso aus. Was Fleisch und Fisch betrifft, kommen wir vermutlich ein paar Wochen zurecht, wenn wir sparsam haushalten.«
Onkel Sherrinford nickte. »Ich denke, wir sollten mit dem Schlimmsten rechnen. Treffen Sie Vorkehrungen zum Rauchern oder machen Sie auf andere Weise so viel Fleisch wie moglich haltbar. Legen Sie Vorrate von allen Grundnahrungsmitteln an. Wenn sich die Pest in Farnham ausbreitet, werden wir vielleicht einige Zeit isoliert sein. Ich wei?, dass Amyus Crowe zu Ruhe und Geduld rat, aber wir sollten Vorkehrungen treffen.« Er wandte sich Sherlock zu. »Apropos MrCrowe … dein Lehrer teilte mir mit, dass du noch nicht viel Zeit in deine Griechisch- und