Beispiel so etwas wie trockene Hautschuppen. Etwas, das den Krankheitserreger in sich getragen und weiterverbreitet hatte. Er war so versessen darauf gewesen, das Puzzle zu losen, dass er daran gar nicht gedacht hatte.

Den Rest des Ruckweges legten sie schweigend zuruck.

9

»Du enttauschst mich, Junge.« Sherrinford sa? hinter seinem machtigen Eichenholzschreibtisch in seinem Studierzimmer, wahrend Amyus Crowe hinter der linken und MrsEglantine hinter der rechten Schulter seines Onkels Position bezogen hatten. Die schwarze Kleidung der Hauswirtschafterin fugte sich so perfekt in die dunklen Schatten ein, dass nur ihr Gesicht und ihre Hande zu sehen waren. In Kombination mit Onkel Sherrinfords langem wei?en Bart und den diversen hebraischen, griechischen, lateinischen und englischen Bibelausgaben, die sich uberall auf dem Tisch stapelten, wirkte das Ganze Sherlocks Empfinden nach so, als wurden Gott und zwei hinter seinem Thron stehende Racheengel ihn gerade zur Rechenschaft ziehen. Ein Effekt, der nur durch den Umstand verdorben wurde, dass Onkel Sherrinford seinen Morgenmantel uber dem Anzug trug.

Sherlocks Gesicht brannte vor Scham und Zorn. Er wollte protestieren und erklaren, dass er fur sein Verhalten einen guten Grund gehabt hatte.

Aber ein kurzer Blick in das Gesicht seines Onkels verriet ihm, dass das Debattieren zu nichts fuhren wurde. »Es tut mir leid, Sir«, brachte er endlich hervor, als ein langer Moment vergangen war und er merkte, dass sein Onkel eine Antwort erwartete. »Ich werde es nicht wieder tun.«

»Dein Vater – mein Bruder – vertraute dich meiner Obhut an. In der Annahme, dass ich mit deiner moralischen Erziehung fortfahren und dich davon abhalten wurde, in schlechte Gesellschaft zu geraten und sittlich zu verwahrlosen. Es beschamt mich zutiefst, feststellen zu mussen, dass ich bei beiden Aufgaben versagt habe.«

Wieder eine lange Pause. Sherlock fuhlte sich gedrangt, noch einmal zu versichern, dass es ihm leid tue. Doch wenn er sich wiederholte, so sein Gefuhl, wurde ihm das als vorlautes Verhalten ausgelegt werden. »Ich wei?, dass ich mich nicht allein auf den Weg nach Guildford hatte machen sollen«, log er schlie?lich.

»Das ist noch dein geringstes Vergehen«, verkundete Sherrinford. »Heute fruh hast du dich vor Sonnenaufgang wie ein gemeiner Krimineller aus meinem Haus geschlichen und …«

»Sein Bett war nicht einmal beruhrt«, unterbrach ihn MrsEglantine. »Er muss noch vor Mitternacht gegangen sein.«

Sherlock musste sich so zusammenrei?en, seinen Arger zu unterdrucken, dass er spurte, wie seine Schultern bebten. Er wusste, dass sie log. Er hatte geschlafen. Mehrere Stunden lang. Und er hatte das Haus kurz vor Tagesanbruch verlassen. Aber trotz seines brennenden Verlangens, alles richtigzustellen, konnte er ihr nicht widersprechen. Sie versuchte, ihn noch tiefer in den Schlamassel zu ziehen, und wenn er mit ihr stritt, wurde ihm das blo? als Trotz ausgelegt und entsprechend bestraft werden.

»Ich werde deinem Bruder schreiben«, fuhr Sherrinford fort, »und ihm sagen, dass du das Vertrauen, das ich in dich gesetzt habe, enttauscht hast. Und ab sofort wird es dir eine Woche lang verboten sein, das Haus zu verlassen.«

»Wenn es gestattet ist«, ergriff Amyus Crowe von seiner Position hinter Sherrinford aus mit gedehnter Stimme das Wort, »wurde ich gerne ein oder zwei Worte zugunsten des Jungen vorbringen.« Er langte in sein blendend wei?es Jackett und holte einen Briefumschlag hervor. »Dieser Brief, den der Junge von dem beruhmten Professor Winchcombe mitbrachte, hat unsere Gegend vor einem Panikausbruch wegen der vermeintlichen Pest bewahrt.

Dass er die Pollenprobe auf eigene Faust zur Analyse gebracht hat, zeugt von einem starken Willen, einem Hang zur Unabhangigkeit und dem Widerstreben, die Dinge einfach so fur bare Munze zu nehmen. Alles Eigenschaften, die man fordern sollte, wurde ich sagen.«

»Schlagen Sie etwa vor, dass der Junge um eine Bestrafung herumkommen sollte, MrCrowe?«, lie? sich MrsEglantine mit aalglatter Stimme vernehmen.

»Ganz und gar nicht«, erwiderte Crowe. »Statt ihn zu striktem Hausarrest zu verurteilen, wurde ich vorschlagen, die Strafe so zu gestalten, dass er nur in meiner Begleitung hinausdarf. Auf diese Weise wird es mir weiterhin moglich sein, die Vereinbarung, die ich mit seinem Bruder getroffen habe, einzuhalten.«

Sherrinford Holmes uberlegte einen Moment lang, wahrend er sich mit der rechten Hand uber den Bart strich. Dann verkundete er das Urteil: »Wir werden einen Kompromiss schlie?en. Fur den Rest des Tages und auch morgen noch stehst du unter striktem Hausarrest. Auch danach wirst du die ganze Zeit das Haus nicht verlassen, es sei denn, du hast Unterricht bei MrCrowe. Hier im Haus hast du mit Ausnahme der Mahlzeiten auf deinem Zimmer zu bleiben.« Seine Lippen zuckten. »Allerdings werde ich dir gestatten, jedes Buch deiner Wahl aus meiner Bibliothek zu nehmen, damit du dir die Zeit vertreiben kannst. Nutze diese Moglichkeit weise, um dich zu bessern und uber deine Taten nachzudenken.«

»Das werde ich, Sir«, sagte Sherlock, der sich geradezu dazu zwingen musste, die Worte uber die Lippen zu bringen. Die Spannung in seinen Schultern lie? etwas nach. »Danke, Sir.«

»Geh jetzt. Und kehre nicht vor dem Abendessen zuruck.«

Sherlock wandte sich ab und verlie? die Bibliothek. Er verspurte den verzweifelten Drang, sich zu rechtfertigen und klarzustellen, dass das, was er getan hatte, das Richtige gewesen war.

Aber er wusste gut genug, wie die Welt der Erwachsenen funktionierte, um sich daruber im Klaren zu sein, dass ein Debattieren die Dinge nur schlimmer machen wurde. Das Richtige zu tun, spielte keine Rolle. Regeln zu befolgen hingegen schon.

Er begab sich zunachst auf den breiten, mit Teppich uberzogenen Treppenstufen in den ersten Stock hinauf und stieg dann die schmalere, holzerne Treppe ins Dachgeschoss empor, wo sich sein Zimmer befand. Er lag auf seinem Bett, starrte an die Decke und lie? seinen wirren Gedanken freien Lauf.

Der restliche Tag und der darauf folgende vergingen wie im Nebel. Sein durch die Abenteuer der vergangenen Tage muder und geschundener Korper nahm die Gelegenheit wahr, sich durch so viel Schlaf wie moglich zu erholen. Aber wahrend der Wachphasen wirbelten die Gedanken so ziellos in seinem Kopf herum wie Motten um eine Kerzenflamme. Was ging da wirklich vor sich? Was genau fuhrte Baron Maupertuis im Schilde, und wer wurde ihn stoppen?

Er verbrachte einige Zeit damit, im Kopf einen Brief an seinen Bruder zu verfassen. Nicht weil er erwartete, dass Mycroft irgendetwas unternahm. Vielmehr wollte er endlich einmal jemandem, dem er vertraute, alles erzahlen, was passiert war. Als Worte und Formulierungen schlie?lich so waren, wie er es sich vorstellte, brachte er den Brief zu Papier.

Lieber Mycroft,

ich wunschte, ich konnte Dir berichten, dass ich Deinem Rat gefolgt ware und mich in einen aus Studien in Onkel Sherrinfords Bibliothek und Erkundungsstreifzugen durch die lokale Natur bestehenden Wirbel von Aktivitaten gesturzt hatte.

Aber wie es aussieht, habe ich mich in Schwierigkeiten gebracht, und ich wei? nicht, was ich als Nachstes tun soll. Die gute Nachricht ist – wenn es denn uberhaupt eine gibt –, dass ich zwei Freunde gefunden habe. Einer von ihnen hei?t Matthew Arnatt und lebt auf einem Kanalboot. Ich denke, Du wirst ihn mogen. Bei dem anderen Freund handelt es sich um Virginia Crowe. Sie ist die Tochter von Amyus Crowe, der sagt, dass er mir etwas uber die Natur beibringen will und daruber, wie man die Welt um sich herum beobachtet. Tatsachlich jedoch glaube ich, bringt er mir bei, wie man richtig denkt. Ich wunschte, Du hattest es nicht fur notig erachtet, fur die Ferien einen Tutor fur mich zu finden. Aber von allen Tutoren, auf die Deine Wahl hatte fallen konnen, ist MrCrowe, glaube ich, der Beste.

Seltsame Dinge sind hier in Farnham geschehen, und ich wunschte, ich konnte Dir davon erzahlen. In der Stadt ist die mit Beulen bedeckte Leiche eines Mannes aufgefunden worden, und wenig spater stie?en wir auf eine weitere Leiche mit den gleichen Symptomen auf dem Grund von Holmes Manor.

Die Stadtbewohner dachten, es konnte sich womoglich um die Pest handeln. Aber ein Mann

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