namens Professor Winchcombe hat bewiesen, dass die beiden von Hunderten von Bienenstichen getotet wurden. Ich glaube, dass die Bienen irgendwie in Verbindung mit einem Mann namens Baron Maupertuis stehen, dem ein Lagerschuppen in Farnham gehort. Aber ich wei? nicht, worin diese Verbindung genau besteht.

Der Lagerschuppen ist abgebrannt, wobei alle Hinweise und Spuren vernichtet wurden. Wie das passierte, werde ich Dir berichten, wenn wir uns wiedersehen.

Ansonsten ist das Leben hier, kurz gesagt, viel interessanter, als ich es erwartet hatte – wenn ich denn aus dem Haus komme. Zur Zeit habe ich namlich Hausarrest und muss auf meinem Zimmer bleiben, weil ich mich allein nach Guildford begeben habe, um Professor Winchcombe zu treffen. Aber das ist eine andere Geschichte, die ich Dir erzahlen werde, wenn wir uns wiedersehen.

Gibt es irgendwelche Neuigkeiten von Vater? Ist er immer noch auf dem Weg nach Indien, und hast Du inzwischen weitere Informationen daruber, wann die Probleme dort vorbei sein konnten?

Richte Mutter und unserer Schwester liebe Gru?e aus. Bitte, besuch mich bald.

Dein Bruder

Sherlock

Nachdem er den Brief beendet und die feuchte Tinte mit Loschpapier getrocknet hatte, legte er ihn auf den Tisch in der Halle, als er zum Mittagessen hinunterkam. Von dort wurde ihn ein Dienstmadchen einsammeln, um ihn zum Postamt nach Farnham zu bringen. Als er spater zum Abendessen wieder in die Halle kam, war der Brief verschwunden. MrsEglantine durchquerte gerade die Halle, und kaum hatte sie ihn erblickt, zeigte sich auf ihrem Gesicht, das formlich durch die dunklen Schatten zu schweben schien, ein eisiges Lacheln. Hatte sie den Brief gesehen? Hatte sie ihn etwa gelesen? War er uberhaupt zum Postamt gebracht worden oder hatte sie ihn einfach zerrissen? Sherlock sagte sich, dass das albern war. Was fur Grunde sollte sie schlie?lich dafur haben? Aber Mycrofts Warnung hallte in seinem Kopf wider. Sie ist keine Freundin der Holmes- Familie.

Als er am nachsten Tag spat nachmittags in seinem Zimmer lag, schwirrten ihm diese Gedanken noch immer im Kopf herum. Der entfernte Gong, der zum Abendessen rief, weckte ihn aus einem halbschlafahnlichen Zustand. Er begab sich hinunter ins Erdgeschoss. MrsEglantine kam gerade aus dem Speisezimmer und musterte ihn mit hohnischem Lacheln, bevor sie wieder verschwand.

Sherlock verspurte keinen Hunger. Er starrte einige Augenblicke lang auf die Esszimmertur und versuchte, sich dazu zu uberwinden hineinzugehen und etwas zu sich zu nehmen. Nur um bei Kraften zu bleiben. Aber er brachte es einfach nicht fertig.

Er drehte sich um und durchquerte die Halle, in der Hoffnung, in der Bibliothek irgendwelche Bucher uber Bienen oder Imkerei zu finden.

Auf halbem Weg fiel sein Blick auf einen Brief, der auf dem Silbertablett auf dem Beistelltisch lag. Hatte der vorher noch nicht dort gelegen oder hatte Sherlock ihn schlicht und einfach ubersehen? Da er im ersten Augenblick dachte, dass es ein weiterer Brief von Mycroft sein konnte, nahm er das Schreiben auf. Sherlocks Name stand zusammen mit der Adresse von Holmes Manor vorne auf dem Umschlag, aber es war nicht Mycrofts Handschrift. Die Buchstaben waren geschwungener … femininer. Wie konnte das sein?

Sherlock sah sich um, halb uberzeugt, dass sein Blick auf MrsEglantine fallen wurde, die im Schatten lauerte und ihn beobachtete. Doch es war niemand sonst zu sehen. Er nahm den Brief und offnete die Eingangstur. Er stellte sich in den Schein der fruhen Abendsonne, aber blieb immer noch im Turrahmen, so dass man ihn nicht beschuldigen konnte, das Haus verlassen zu haben.

Im Umschlag befand sich ein einzelner, zart lavendelfarbener Briefbogen. Unterhalb seines Namens und seiner Adresse stand dort geschrieben:

Sherlock,

auf der Gemeindewiese unterhalb der Burg findet ein Jahrmarkt statt. Triff mich morgen fruh dort um neun – wenn Du Dich traust!

Komm allein.

Virginia

Einen winzigen Augenblick lang wurde Sherlock von einem merkwurdigen Schwindelgefuhl ergriffen und er holte tief Luft. Virginia wollte sich mit ihm treffen? Aber warum? Beide Male, als sie einander begegnet waren, hatte er den Eindruck gehabt, dass sie ihn nicht besonders mochte. Und sie hatten wei? Gott nicht sehr viel miteinander gesprochen. Und trotzdem wollte sie ihn jetzt sehen? Alleine?

Doch er konnte nicht gehen! Man hatte ihm streng verboten, das Haus zu verlassen!

Fieberhaft versuchte er, sich eine Rechtfertigung einfallen zu lassen, die es ihm erlauben wurde, am nachsten Tag das Haus zu verlassen, ohne erneut in Schwierigkeiten zu geraten. Es musste sich doch einfach irgendein logisch klingendes Argument konstruieren lassen, das Onkel Sherrinfords strengem prufendem Blick standhalten wurde. Virginia hatte ihn gefragt, ob sie sich treffen konnten. Das Wenige, das er von ihr wusste, lie? ihn vermuten, dass sie unabhangiger als englische Madchen in ihrem Alter war. Sie konnte reiten – und zwar nicht nur im Damensattel, sondern richtig –, und sie war absolut dazu imstande, alleine umherzuziehen. Aber wenn sie ein englisches Madchen ware, wurde sie keinesfalls ohne ihre Familie zum Jahrmarkt gehen. Und das bedeutete, dass es plausibel war, wenn Sherlock den Brief als Einladung interpretieren wurde, sich mit Virginia und ihrem Vater zu treffen. Was wiederum bedeutete, dass er das Haus verlassen konnte, ohne gegen die Vereinbarungsbedingungen zu versto?en, die zwischen ihm und seinem Onkel getroffen worden waren. In Sherrinfords Weltbild war es schlichtweg ausgeschlossen, dass ein Madchen eine Verabredung mit einem Jungen treffen konnte, ohne dass jemand aus ihrer Familie dabei war. Sherlock wusste es naturlich besser. Aber wenn man ihn zur Rede stellte, wurde er das einfach nicht verraten.

Doch dann brachte ihn ein plotzlich aufkommender Gedanke aus dem Gleichgewicht. Was, wenn jemand von Holmes Manor auf dem Jahrmarkt ware?

Aber nachdem er kurz daruber nachgedacht hatte, kam er zur Uberzeugung, dass weder bei Onkel und Tante noch bei MrsEglantine die Wahrscheinlichkeit sehr gro? war, dass sie dort waren. Und falls er jemand von den Dienstmadchen, Kochen oder Arbeitern auf dem Jahrmarkt trafe, wurden sie ihn vermutlich nicht einmal erkennen.

Er verbrachte den Rest des Abends und einen gro?en Teil der Nacht damit, sich wechselweise davon zu uberzeugen, dass er am nachsten Morgen gehen sollte und dann wiederum, dass er es nicht sollte. Gegen Morgen war er immer noch nicht sicher. Aber als er zum Fruhstuck die Treppe herunterkam, ertappte er sich plotzlich dabei, wie er in Gedanken Virginias Gesicht vor sich sah, und prompt beschloss er, dass er gehen wurde. Komme, was da wolle.

Er blickte auf die Standuhr. Erst kurz nach acht! Wenn er sich jetzt auf den Weg machte und das Fahrrad nahm, konnte er gerade noch punktlich dort sein. Er wusste, wo sich die Burg befand. Sie lag am Hang oberhalb der Stadt, und bei der Grasflache unmittelbar vor der Burg handelte es sich wahrscheinlich um besagte Gemeindewiese.

Sollte er eine Nachricht hinterlassen? Nach den letzten Vorkommnissen mochte das eine gute Idee sein. Also schrieb er rasch ein paar Zeilen auf die Ruckseite des Umschlags, in denen er erklarte, dass er fortgegangen sei, um sich mit Amyus Crowe zu treffen, und legte die Nachricht auf das Silbertablett. Dann eilte er halb gehend, halb rennend nach drau?en, um sein Rad zu holen, wobei er sich duckte, sobald er an einem Fenster vorbeikam, und sich hinter Mauern verborgen hielt, wo immer es moglich war.

Auf der Fahrt zur Burg schwirrte ihm nur so der Kopf vor lauter Spekulationen und verwirrender Gedanken. Noch nie zuvor hatte er eine Freundin gehabt. Naturlich war da noch seine Schwester. Aber sie war alter als er und hatte andere Interessen wie zum Beispiel Malerei, Krocket und Klavierspielen.

Und naturlich war da auch noch ihre Krankheit, die sie wahrend eines Gro?teils von Sherlocks Kindheit ans Bett gefesselt und zu einem zuruckgezogenen Leben gezwungen hatte. Zu Hause hatte er sich niemals mit irgendjemandem richtig angefreundet. Geschweige denn mit einem Madchen. Und Deepdene war eine reine Jungenschule. Er war sich nicht ganz sicher, wie er mit Virginia umgehen, woruber er mit ihr reden und wie er sich ihr gegenuber benehmen sollte.

Als er nach Farnham hineinkam, bog er in eine Seitenstra?e ein. Sie fuhrte bergauf auf die Burg zu, die er am Hang des Hugels uber der Stadt aufragen sah. Er strampelte sich ab, bis seine Beinmuskeln zu brennen begannen. Dann stieg er ab und schob das Rad neben sich her. Als er schlie?lich das Burggelande erreichte, war er ziemlich erschopft.

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