»Nein, und es interessiert mich auch nicht«, sagte Hawkwood.

Der junge Mann schnappte emport nach Luft, doch zu Hawkwoods Uberraschung lachte der rechts neben ihm stehende, anscheinend etwas nuchtern gewordene Freund und sagte: »Bei Gott, Ruthers! Ich frage mich, wo Mandrake den aufgegabelt hat. So einen primitiven Kerl.« Noch immer grinsend fugte er hinzu: »Vielleicht sollten wir ihn aufklaren. Darf ich vorstellen: Dies, mein unverschamter Freund, ist John Rutherford, der Sohn von Sir Pierce Rutherford. Der korpulente Gentleman ist James Neville. Und was meine Wenigkeit betrifft, so bin ich leider Giles Campbell. Mein Vater ist Sir Greville Campbell. Und du bist …?«

»Jemand, der eine Lektion verdient hat«, sagte Rutherford hamisch. »Und die werde ich ihm hochstpersonlich erteilen.«

Hawkwood seufzte. »Das ware ein Fehler.«

Ruckartig hoben alle drei die Kopfe.

»Ein Fehler! Hast du das gehort, Ruthers?«, rief Neville.

»Ein Fehler, na, so was! Bei Gott, eins muss man dem Kerl lassen: Mut hat er! Was meinst du?«

»Ich sage, er ist ein Emporkommling, dem ich gleich eine scheuern werde«, belferte Rutherford. »Verdammt noch mal, ich lasse mir doch von einem Dienstboten nichts vorschreiben!«

»Womit du absolut Recht hast«, stimmte Neville zu. »Wo kamen wir denn da hin?«

»Mach dich besser auf den Weg, mein Freund«, sagte Campbell gutmutig und nur leicht nuschelnd. »Geh zuruck in die Kuche, solange du noch eine Chance dazu hast.«

»Ganz recht, verschwinde jetzt«, erganzte Neville grinsend.

»Aber sei so gut und lass das Flittchen hier. Wir sind noch nicht dazu gekommen, so richtig ihre Bekanntschaft zu machen.«

Hawkwood spurte, wie sich die junge Frau an seiner Seite versteifte, und sagte zu Neville: »Ich bin der Meinung, ihr solltet euch bei der Lady entschuldigen. Und zu deiner Information, du betrunkener Schei?kerl: Ich bin kein verdammter Dienstbote!«

Wahrscheinlich war es der Ausdruck in Hawkwoods Augen sowie dessen Worte und Ton, der Neville erstarren lie? und ihn warnte, dass er womoglich einen schweren Fehler begangen hatte. Langsam lie? er den Blick uber Hawkwood schweifen, und zum ersten Mal flackerte Zweifel in seinen Schweinsaugelein auf.

Hawkwood musterte John Rutherford, so dass ihm verschiedene Gedanken durch den Kopf gingen: Wenn dieser Mann, der ihr abendliches Vergnugen gestort hatte, kein Dienstbote war, konnte er womoglich ein Gast des Hauses sein. Auch wenn seine unauffallige Kleidung nicht darauf schlie?en lie?. Rutherfords Neugier war offensichtlich geweckt.

»Also, Sir, wer sind Sie?«, wollte Campbell wissen. »Na los, raus damit!«

»Ich hei?e Hawkwood.«

»Tja, Mr. Hawkwood, wenn jemand eine Entschuldigung verdient hat, so wohl mein Freund Neville. Und auch Rutherford, denn ihm hat sie schone Augen gemacht und sich dann geziert. War’s nicht so, Rutherford? Aber sie ist nichts als eine berechnende Mieze. Was ist das fur eine traurige Welt, in der ein Mann einem Madchen nicht mehr zulacheln darf, ohne als Wustling beschimpft zu werden! Wir sollen uns bei ihr entschuldigen? Pah! Wofur denn? Na los, Ruthers, sag’s ihm!«

»Stimmt genau«, sagte John Rutherford verachtlich. »Dieses Flittchen hat mich aufgegeilt und dann die Sprode gespielt.«

»Ce n’est pas vrai!«, widersprach die junge Frau mit blitzenden Augen. Hawkwood spurte formlich ihre hitzige Wut.

Rutherford schoss die Rote in sein blasses, arrogantes Gesicht. Offensichtlich hatte er verstanden, was die junge Dame gesagt hatte. Vielleicht nicht die Worte, aber deren Bedeutung. Mit zusammengebissenen Zahnen sagte er: »Dieses Miststuck hat mich einen Lugner genannt. Ihr Wort steht also gegen meines. Wem glauben Sie?«

Hawkwood sah ihm direkt in die Augen. »Ihr naturlich. Mit dem gro?ten Vergnugen.«

Diese Beleidigung verschlug Rutherford zunachst die Sprache. Giles Campbell schnappte nach Luft, wahrend James Neville nur verwirrt aussah.

»Was, Sie unverschamter …«, belferte Rutherford, vor Wut schaumend und trat mit geballten Fausten einen Schritt vor.

»Mach dich nicht zum Idioten, mein Junge«, sagte Hawkwood. »Gib auf. Geh mir einfach aus den Augen.«

Diese Ma?regelung brachte das Fass zum Uberlaufen. Rutherford holte mit wutverzerrtem Gesicht zum Schlag aus. Hawkwood reagierte blitzschnell und packte mit eisernem Griff dessen rechtes Handgelenk.

»Ich habe dich gewarnt, Burschchen«, sagte Hawkwood verachtlich und lie? Rutherfords Hand los. »Zwing mich nicht, dir wehzutun.«

John Rutherford, jetzt blass vor Wut, rieb sich das Handgelenk. »Was fallt Ihnen ein! Niemand behandelt mich derart grob oder spricht in diesem Ton mit mir! Ich verlange Satisfaktion!«

»Was?«, sagte Hawkwood unglaubig. »Sind Sie verruckt? Sie fordern mich heraus? Um Himmels willen, ich bin ein Vertreter des Gesetzes und habe den dienstlichen Auftrag, Lord Mandrakes Hab und Gut zu schutzen. Und Sie fordern mich zum Duell heraus? Dafur konnte ich Sie festnehmen.«

Auf Rutherfords Stirn pulsierte eine Ader. »Sie wollen mich festnehmen? Mein Vater kauft und verkauft Abschaum Ihresgleichen! Ob Gendarm oder Oberster Richter, niemand beleidigt und verleumdet mich im Beisein meiner Freunde. Ich verlange eine Entschuldigung! Oder Sie nennen mir Ihren Sekundanten, damit ich Ihnen eine Lektion erteilen kann, die Sie lehren wird, in Zukunft Ihre Zunge zu huten!«

Hawkwood traute seinen Ohren nicht und dachte nur: Das ist der schiere Wahnsinn! Er merkte, dass die junge Frau ihn ansah, und versuchte, ihren Gesichtsausdruck zu interpretieren. War es Verwirrung? Besorgnis? Oder etwas anderes? Er wusste es nicht. Ihrem emporten Ausruf zufolge war sie Franzosin, beherrschte jedoch offensichtlich die englische Sprache und hatte verstanden, worum es bei der Auseinandersetzung ging. Erwartete sie etwa von ihm, dass er seine Worte zurucknahm und feige davonlief?

Es war James Neville, der versuchte, die Situation zu retten. Er lachte nervos und sagte bemuht scherzhaft: »Du lieber Himmel, Ruthers. Du kannst von dem Kerl keine Satisfaktion verlangen. Duelle werden doch nur unter Gentlemen ausgetragen.«

»Er hat Recht, alter Junge«, stimmte Giles Campbell zu und nickte vehement. »Das geht einfach nicht.«

Einen Augenblick lang schien es, als hatten diese Worte eine beruhigende Wirkung auf Rutherford. Doch ein Blick in dessen Gesicht – noch immer stand er mit geballten Fausten da – zeigte Hawkwood, dass der junge Mann angespannt war wie eine Bogensehne.

Dann veranderte sich Rutherfords Gesichtsausdruck plotzlich. Das Feuer in seinen Augen erlosch und verwandelte sich in ein kaltes, berechnendes Funkeln.

»Tja, ich glaube, er hat Angst vor mir. Ja, das ist es! Campbell, Neville, schaut ihn euch an! Der Kerl hat doch eine Heidenangst, oder?«

Da uberkam Hawkwood ein derart heftiges, von Abscheu gepragtes Verlangen, Rutherford dieses hochnasige Grinsen aus dem Gesicht zu prugeln, dass er es nur mit Muhe unterdrucken konnte.

»Also?«, hohnte Rutherford. »Wie hei?en Sie noch mal? Ach ja, Hawkwood? Was soll’s denn sein? Heraus mit der Sprache! Sind Sie Manns genug, mir die Stirn zu bieten, oder wollen Sie sich hinter Ihrer Haftandrohung verstecken und sich davonschleichen. Zuruck in die Kloake, wo Gossenratten wie Sie hingehoren.«

Plotzlich herrschte eisiges Schweigen. Die Zeit schien stillzustehen. Der Garten, der Pavillon, die gedampfte Musik, der Duft der Blumen, sogar die junge Lady – nichts mehr existierte, au?er den beiden.

Wie aus weiter Ferne horte sich Hawkwood sagen: »Ich habe keinen Sekundanten.«

Wie eine Spinne, die eine Fliege in ihr Netz lockt, sah Rutherford Hawkwood an, verhohnte ihn, indem er eine Verneigung andeutete, und sagte: »Darf ich Ihnen vielleicht die Dienste meiner Begleiter anbieten? Neville, mein Lieber, wurdest du dich unserem ritterlichen Freund zur Verfugung stellen?«

James Neville war uber diese Eskalation derart verblufft, dass er nur wie benommen blinzelte. Noch ehe er antworten konnte, ertonte hinter Hawkwood eine Stimme.

»Das ist nicht notig. Sollte Mr. Hawkwood es wunschen, sekundiere ich ihm gern.«

Unter den Baumen trat eine stammige Gestalt in Militaruniform hervor, und hinter ihm tauchte der so plotzlich verschwundene Lakai auf. Irgendetwas an dem Offizier kam Hawkwood sofort bekannt vor. Und als er

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