Campbell nahmen das Eintreffen der beiden mit einem knappen Nicken zur Kenntnis. Auf John Rutherfords Gesicht glaubte Hawkwood einen fluchtigen Ausdruck der Uberraschung wahrzunehmen, so als hatte er nicht erwartet, dass der Runner tatsachlich erscheinen werde. Dann warf ihm Rutherford einen finsteren Blick zu und drehte sich um. Etwas abseits stand eine jammerlich aussehende Gestalt in einem dunklen Umhang und schniefte in ein zerknulltes Taschentuch.
»Herrgott!«, murmelte Major Lawrence erbost, »dieser Arzt pfeift ja aus dem letzten Loch. Ich frage mich, aus welcher Kneipe sie den gezerrt haben.«
Hawkwood enthielt sich eines Kommentars, denn von einem Arzt, der einem Duell beiwohnte, wurde nicht erwartet, dass er gesund und munter war, sondern nur diskret. Beide Parteien zahlten anteilig sein Honorar und erkauften sich damit nicht nur seine Dienste, sondern vor allem sein Schweigen. Allein der Arzt wurde von dieser Auseinandersetzung profitieren.
Da trat James Neville vor. Er gab sich brusk und dienstbeflissen, als er sie begru?te: »Guten Morgen, Gentlemen. Ihr Einverstandnis vorausgesetzt, ubernehme ich die Leitung des Prozedere. Kommen wir gleich zur Sache. Nachdem beide Parteien Zeit hatten, uber diese Forderung nachzudenken, frage ich Sie jetzt, ob einer der Kontrahenten seine Meinung geandert hat und von dem Duell Abstand nehmen will.«
Giles Campbell, der Bevollmachtigte John Rutherfords, schuttelte nur den Kopf. Nachdem Major Lawrence Hawkwood noch einmal bittend angesehen und keine Reaktion erhalten hatte, tat er dasselbe.
Worauf James Neville entschlossen nickte und konstatierte: »So soll es denn sein. Folgen Sie mir bitte.«
Er ging zum Rand der Lichtung voran, wo ein kleiner Klapptisch unter den Baumen stand. Darauf lag ein schwarzes Samttuch, unter dem sich ein eckiger Gegenstand abzeichnete. James Neville schlug das Tuch zuruck, offnete wortlos den Deckel eines flachen Etuis aus Mahagoniholz, trat beiseite und sagte zu Hawkwood: »Ich gehe davon aus, dass Sie mit der Wahl der Waffen einverstanden sind.«
Hawkwood warf einen fluchtigen Blick in das Etui und nickte.
»Sehr gut. Dann darf ich die Sekundanten bitten, die Pistolen zu inspizieren.«
Die beiden identischen Mortimer-Pistolen hatten vierzig Zentimeter lange, achteckige Laufe und waren in ihrer schlichten Ausfuhrung Musterbeispiele erlesener Waffenschmiedekunst. Nachdem sich beide Sekundanten nach grundlicher Inspektion der Waffen zufrieden zeigten, deutete Neville auf das Etui und verkundete: »Gentlemen, bitte treffen Sie Ihre Wahl.«
Hawkwood zog seinen Rock aus und reichte ihn Major Lawrence. Er griff ohne Zogern nach der zuvorderst im Etui liegenden Pistole, denn der Major hatte sich vergewissert, dass beide Waffen Kugeln von derselben Gro?e und dieselbe Menge Pulver enthielten.
Nachdem John Rutherford die zweite Pistole an sich genommen hatte, rausperte sich James Neville, ehe er weitere Anweisungen gab. »Stellen Sie sich jetzt Rucken an Rucken. Wenn ich zu zahlen beginne, gehen Sie zwolf Schritte in die jeweils entgegengesetzte Richtung. Auf mein Signal hin drehen Sie sich um und schie?en. Ist das klar?«
Beide Manner nickten. Hawkwood spurte, dass seine Kehle vollkommen ausgetrocknet war, und er fragte sich, ob sein Gegner unter ahnlichen Beschwerden und Magenschmerzen litt.
Mit denselben Gefuhlen war er im Duell gegen Delancey angetreten. Ein kaltes Prickeln war ihm uber den Rucken gelaufen, und seine Achselhohlen waren schwei?nass gewesen. Ein Zeichen lahmender, qualender Angst vor dem Tod. Oder noch schlimmer, derart schwer verletzt zu werden, dass er wie viele andere Kruppel ein Dasein als Bettler auf den Stra?en fristen musste.
Da ist mir der Tod lieber, dachte Hawkwood. Wenigstens werde ich nicht sterben, ohne den Namen dieser schonen Lady erfahren zu haben. Nur ihretwegen riskiere ich jetzt mein Leben.
Catherine de Varesne war nicht mehr unter den Gasten gewesen, als Hawkwood und Major Lawrence aus dem Garten ins Herrenhaus zuruckgekehrt waren. Zweifelsohne hatte sie es vorgezogen, eine weitere Begegnung mit John Rutherford und dessen Freunden zu vermeiden. Der Major hatte es dann ubernommen, sich diskret nach der jungen Lady zu erkundigen.
Sie war keine Franzosin, wie Hawkwood zunachst angenommen hatte, sondern die Tochter eines Franzosen und einer Portugiesin. Ihr Vater, der Marquis de Varesne, war Minister am Hofe Louis VIII. gewesen und war wie hunderte andere Aristokraten mit der Guillotine hingerichtet worden. Von gro?erer Bedeutung war jedoch die Tatsache, dass er ein enger Vertrauter des Comte d’Artois gewesen war. Da der Comte zurzeit im Exil in England lebte, erklarte das wohl Catherine de Varesnes Anwesenheit auf dem Ball.
»Ich muss schon sagen, mein Freund«, hatte der Major bemerkt. »Sie haben einen exzellenten Geschmack, was Frauen betrifft. Aber die Art, wie Sie ihre Bekanntschaft machen, lasst doch sehr zu wunschen ubrig.«
In dem Moment riss Nevilles Stimme Hawkwood aus seinen Tagtraumen.
»Auf die Platze, Gentlemen«, rief er und dann: »Los!«
Hawkwood warf einen Blick nach rechts und sah, dass der Major die Lippen bewegte und lautlos zu Nevilles monotoner Stimme die Schritte mitzahlte.
»Zwei … drei … vier …«
John Rutherford schritt auf dem weichen, feuchten Gras nach Norden, Hawkwood nach Suden. So hatte keiner der beiden Manner den Vorteil, die Sonne im Rucken zu haben.
»Funf … sechs … sieben …«
Hawkwood umfasste den Pistolengriff fester und spurte, wie ihm Schwei?tropfen in den Nacken rannen.
»Elf …« Dann eine Pause, die eine Ewigkeit zu dauern schien.
»Zwolf … Gentlemen, Sie durfen sich umdrehen und schie?en.«
Hawkwood wirbelte um die eigene Achse und sah einen grellen Blitz, als sich das Pulver in Rutherfords Pistole entzundete. Erstaunlich laut hallte der Schuss in der frischen Morgenluft uber die Lichtung.
Hawkwood spurte einen heftigen Schmerz links im Brustkorb, als sich die Kugel wie ein brandhei?er Schurhaken durch das Fleisch bohrte.
Als sich der Pulverdampf verzogen hatte, bemerkte Rutherford, starr vor Schreck, dass sein Gegner aufrecht dastand und seine Pistole noch nicht abgefeuert hatte. Eine Sekunde verging. Zwei, drei. Hawkwood sah, dass Rutherford aschfahl wurde. Ganz langsam hob er seinen rechten Arm und zuckte zusammen, als sein Hemd die Wunde beruhrte. Dann zielte er sorgfaltig und schoss.
John Rutherford drehte sich ganz langsam um die eigene Achse, die Pistole fiel ihm aus der Hand, und er sank zu Boden. Jetzt totenblass umklammerte er mit der linken Hand die Wunde in seinem rechten Arm und starrte Hawkwood an, als konnte er nicht begreifen, dass er getroffen wurde. Hawkwood stand mit gespreizten Beinen da und blickte kurz zu seinem geschlagenen Gegner hinuber, ehe er langsam die Pistole sinken lie?. Geistesabwesend druckte er die Hand auf seinen Bauch und sah dann, dass sie blutverschmiert war.
Major Lawrence gewann als Erster die Fassung wieder und lief zu Hawkwood. Erschrocken rief er: »Gro?er Gott! Sie sind ja verletzt! Lassen Sie mich sehen!« Beim Anblick der Wunde schnappte er nach Luft und sah sich dann um. »Verdammt! Wo, zum Teufel, bleibt dieser Bauchaufschneider?«
Als Lawrence Hawkwoods Rippen betastete, stohnte der Runner. »Ist schon gut, Major«, sagte er. »Es ist nur eine Fleischwunde. Ich werd’s uberleben. Der Junge braucht den Arzt dringender als ich.«
Dann ging er langsam, den noch immer aufgeregten und besorgten Major an seiner Seite, zu Rutherford. Giles Campbell, sein Sekundant, stutzte den Verwundeten, wahrend der Arzt den Hemdsarmel wegriss und mit zitternden Handen die Wunde untersuchte. Mit zusammengebissenen Zahnen krummte sich Rutherford bei dieser Beruhrung. Hawkwood konnte nicht sehen, ob die Kugel den Arm durchbohrt und dabei den Knochen zersplittert hatte. Er warf die Pistole ins Gras und sagte: »Damit ist unsere Angelegenheit wohl erledigt.«
John Rutherford blinzelte unter Tranen und sah zu ihm hoch. »Sie hatten mich toten konnen«, flusterte er heiser. »Warum haben Sie’s nicht getan?«
Hawkwood zuckte mit den Schultern. »Dafur gibt es mehrere Grunde, suchen Sie sich einen aus: Es ist ein wunderschoner Morgen. Ich habe wichtigere Dinge zu tun. Ich muss ein Verbrechen aufklaren, Orte besichtigen und Personen befragen. Aber lass dir eins gesagt sein, mein Junge: Solltest du je wieder in Versuchung kommen, einen Mann zum Duell herauszufordern, dann musst du dir verdammt sicher sein, als Sieger daraus hervorzugehen.«
Hawkwood lie? sich von Major Lawrence in seinen Rock helfen. »Hier sind wir fertig, Major«, sagte er. »Es wird hochste Zeit, dass wir verschwinden. Ich habe keine Lust, einer Patrouille meine Anwesenheit hier erklaren zu