mussen. Mir reicht der Arger, den ich am Hals habe.« Er nickte James Neville und Giles Campbell, die ihn mit einem beinahe ehrfurchtigen Ausdruck in den Augen anstarrten, kurz zu. »Guten Tag, Gentlemen.«

»Wissen Sie, Hawkwood«, sagte der Major, als die beiden sich entfernten, »hatten Sie zuerst geschossen und danebengetroffen, ware der Junge nicht so gnadig mit Ihnen gewesen.«

»Wahrscheinlich haben Sie Recht«, raumte Hawkwood ein. »Aber ich hatte nicht danebengetroffen.«

Der Major erkannte an Hawkwoods ernster Miene, dass diese Bemerkung weder spottisch noch uberheblich gemeint war. Er hatte einfach eine Tatsache konstatiert.

»Mein Gott!«, emporte sich Lawrence. »Sie wollten, dass der Junge zuerst schie?t! Und Sie haben gehofft, dass er danebentrifft. Wie konnten Sie nur dieses Risiko eingehen?«

»Weil ich mir dachte, dass dieser Junge noch nie im Leben mit einer geladenen Pistole auf jemanden gezielt hat. Ich habe damit gerechnet, dass ihn seine Nerven im Stich lassen.«

»Oh, verdammt«, sagte Lawrence. »Und deswegen haben Sie ihn verschont?«

Die beiden traten jetzt unter den Baumen hervor. Vor ihnen lag eine breite grune Wiese.

»Fur alles gibt es eine Zeit und einen Ort, Major. Keines von beiden traf hier zu. Vielleicht habe ich ja dem Jungen eine Lektion furs Leben erteilt.«

Voller Zweifel meinte Lawrence: »John Rutherford wird Ihnen diese Niederlage nie verzeihen.«

»Damit kann ich leben«, sagte Hawkwood. »Schlimmer ware es, seinen Tod auf dem Gewissen zu haben.«

Lawrence blinzelte unglaubig. »Aber Sie waren doch Soldat und haben getotet. Denken Sie an Delancey. Den haben Sie in einem Duell erschossen.«

Abrupt blieb Hawkwood stehen. »Delancey war Offizier und hat auch Manner im Duell getotet. Ich konnte es mir nicht leisten, diesem Bastard einen Vorteil zu gewahren. Wie bereits erwahnt, halte ich Rutherford fur einen torichten, arroganten Jungen, der sich in etwas hineingesteigert hat. Und falls Sie es vergessen haben sollten, Major: Ich bin Polizist. Meine Aufgabe ist es, Duelle zu verhindern, und nicht, welche auszutragen!«

Lawrence schwieg kurz und grinste dann. »Hat Sie schon mal jemand daruber informiert, mein Freund, dass Sie dazu neigen, sich hart an der Grenze des Gesetzes zu bewegen?«

Da sah der Major zum ersten Mal, wie sich auf Hawkwoods Gesicht ein Ausdruck echter Belustigung ausbreitete. Wie dieses Lacheln ihn verandert, dachte Lawrence. Sogar die Narbe unter seinem Auge ist kaum noch zu sehen.

»Ja, das kommt ofter vor«, sagte Hawkwood lachend.

Vor ihnen lag jetzt Hyde Park Corner. Von dort fuhrte eine Stra?e zum Piccadilly und der Fu?weg gegenuber zur Knightsbridge.

»Na, wenigstens konnen wir fur eins dankbar sein«, uberlegte Lawrence laut. »Es ist hochst unwahrscheinlich, dass Rutherford seine Niederlage ausposaunen wird, denn er hat sich mit einem Mann duelliert, der nicht einmal zum Adel gehort!« Ernst fugte er hinzu: »Und ich bezweifle, dass Neville und Campbell Klatschgeschichten verbreiten werden.«

Wahrscheinlich hat der Major Recht, dachte Hawkwood. Duelle werden als Privatsache betrachtet, und da weder ich noch Rutherford Personlichkeiten des offentlichen Lebens sind, wird diese Angelegenheit kein Aufsehen erregen. Der Major hat bereits mit ein paar Goldmunzen und entsprechenden Drohungen dafur gesorgt, dass Lord Mandrakes Dienstbote den Mund halten wird. Und die einzige andere Zeugin, die junge Lady, durfte kein Interesse daran haben, dass dieser unerfreuliche Zwischenfall bekannt wird.

Hatte ich jedoch John Rutherford erschossen, ware der Vorfall nicht zu vertuschen gewesen. Der Major hat sich daruber aufgeregt, dass Rutherford in seiner Dickkopfigkeit auf der Austragung des Duells bestanden hat. Aber bin ich denn besser? Mich hat meine Dummheit in Kombination mit meinen rigorosen Vorurteilen dazu verleitet, dass ich mich auf diese sinnlose Konfrontation eingelassen habe. Und dass ich uberlebt habe, verdanke ich dem Zufall und der mangelnden Treffsicherheit meines Gegners. Kurz gesagt, ich habe Gluck gehabt.

Dann dachte Hawkwood an James Read. Der Oberste Richter war ein strenger, aber gerechter Vorgesetzter. Bei aller Harte verga? er nie, unter welch widrigen Umstanden seine Beamten tatig waren, und gewahrte ihnen ein hohes Ma? an Bewegungsfreiheit. Dafur erwartete er jedoch absolute Hingabe an ihren Beruf und Loyalitat. Ihre Zusammenarbeit basierte auf gegenseitigem Vertrauen. Und als Hawkwood den Koder geschluckt und Rutherfords Herausforderung angenommen hatte, hatte er dieses Vertrauen missbraucht. Und alles aufs Spiel gesetzt: nicht nur seine Karriere, sondern auch seine Beziehung zu einem Mann, dem er sehr viel zu verdanken hatte und den er bewunderte. Hatte er Rutherford getotet, so ware die schlimmste Strafe fur Hawkwood gewesen, den Ausdruck von Enttauschung auf James Reads Gesicht erkennen zu mussen.

Hawkwood zuckte vor Schmerz zusammen. Ich hatte doch zulassen sollen, dass sich der Arzt die Wunde ansieht, uberlegte er. Dann fielen ihm jedoch die zittrigen Hande des Mediziners ein. Nein, das konnte warten.

Auf den Stra?en herrschte mittlerweile reges Treiben. Kutschen und Karren polterten uber das Pflaster. Stra?enhandler, Blumenverkaufer, Messerschleifer, Kaminkehrer, Kohlenschlepper und Lumpensammler begannen ihr fruhes Tagewerk. Diese bunt zusammengewurfelte Menge erinnerte Hawkwood an das Gesindel im Gefolge von Wellingtons Armeen in Spanien. Ein Strom bemitleidenswerter Pilger auf der Suche nach dem Gelobten Land.

Der Major und Hawkwood wollten gerade eine Stra?e uberqueren, als eine Kutsche herangeprescht kam. Dann zugelte der Kutscher die Pferde, die Kutsche hielt direkt vor ihnen und die Tur wurde aufgesto?en.

»Captain Hawkwood?«

Ihm stockte der Atem, denn er hatte die Stimme sofort erkannt. Sie sa? allein darin, in ein dunkles Cape gehullt. Sie beugte sich vor, neigte den Kopf und schenkte Lawrence ein verfuhrerisches Lacheln. »Guten Morgen, Major.«

»Ja, es ist ein wunderschoner Morgen, Ma’am«, stimmte Lawrence zu, luftete seinen Tschako und sah dann Hawkwood breit grinsend an. Diese etwas anzugliche Miene weckte in Hawkwood den Verdacht, dass den Major das plotzliche Auftauchen der jungen Frau keineswegs uberraschte. Dieser Eindruck verstarkte sich, als Lawrence mit gespielter Spontaneitat seine Taschenuhr hervorzog, einen fluchtigen Blick darauf warf, die Uhr dann an sein Ohr hielt und bedauernd verkundete: »Ahm … tja, bitte entschuldigen Sie mich. Ich habe mich bereits verspatet. Die Pflicht ruft. In einer Stunde bin ich mit Leutnant Fitzhugh verabredet. Ich hatte den Jungen fur ein paar Tage zu seiner Familie geschickt. Man wei? ja nie, wann wir die Heimat wieder sehen. Uns bleibt nur verdammt wenig Zeit, die neuen Rekruten auf Vordermann zu bringen, ehe sie an Bord gehen, um unsere Truppen in Spanien zu verstarken.«

Ohne Hawkwood Zeit fur eine Antwort zu lassen, streckte ihm der Major die Hand hin und sagte: »Auf Wiedersehen, mein lieber Freund. Es war mir eine Freude, unsere Bekanntschaft aufgefrischt zu haben. Hoffentlich kreuzen sich unsere Wege irgendwann mal wieder.« Dann verneigte er sich in Richtung Kutsche und verabschiedete sich: »Ihr Diener, Ma’am.«

Hawkwood kam nicht umhin zu bewundern, wie elegant sich der Major aus der Affare gezogen hatte. Er blickte ihm nach, bis er in der Menge verschwand.

Dann horte er das Rascheln schwerer Seide. Er drehte sich um und registrierte, dass Catherine de Varesne ihn verfuhrerisch anlachelte. »Nun, Captain Hawkwood, mochten Sie mir nicht Gesellschaft leisten?«

Hawkwood blickte zu dem Kutscher hoch, der mit ausdrucksloser Miene und erhobener Peitsche dasa? und nach vorn starrte.

Nach kurzem Zogern stieg Hawkwood in die Kutsche, worauf der Mann auf dem Bock sofort mit der Peitsche knallte und sich das Gefahrt in Bewegung setzte.

»Sind Sie uberrascht, mich zu sehen?«, fragte Catherine de Varesne, ein amusiertes Funkeln in den Augen.

Von ihrem Sinnenreiz wie betaubt, konnte Hawkwood die schone junge Frau nur stumm anstarren.

»Oder enttauscht Sie mein Anblick?«, provozierte sie ihn.

Da fand Hawkwood endlich seine Sprache wieder. »Woher wussten Sie, dass ich hier entlanggehen wurde?«

Das Cape war ihr von den Schultern gerutscht, und obwohl sie ein hoch geschlossenes Kleid trug, ahnte er die Rundungen ihrer Bruste. Sie erwiderte seinen Blick und antwortete mit entwaffnender Offenheit: »Der Major hat mir eine Nachricht geschickt.«

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