und kusste sein Kinn. »Ist dir eigentlich klar«, murmelte sie, »wie du genannt wirst?«
»Von wem?«, fragte er.
»Na, von deinen Freunden, naturlich. Oder erwartest du, dass ich dich weiter mit Captain Hawkwood anrede?« Sie blickte zu ihm hoch und malte kleine Kreise auf seine Brust.
Hawkwood antwortete nicht gleich, denn ihm wurde bewusst, wie deprimierend klein die Zahl der Menschen war, die er als Freunde bezeichnen konnte. Im Lauf der Jahre hatte er viele Kameraden gewonnen. Manche waren tapfer, andere toricht und ein paar feige gewesen. Aber wahre Freunde? Manner, fur die er bereitwillig in der Hitze des Gefechts sein Leben geopfert hatte? Da gab es nur wenige. Wahrscheinlich nicht mehr, als er an einer Hand abzahlen konnte, und die meisten davon waren tot. Naturlich war da noch Jago. Alles in allem stand ihm der Exsergeant so nahe wie sonst niemand. Zumindest hatte das fur die Zeit vor ihrer beider Ruckkehr nach England gegolten. Jetzt war er sich dessen nicht mehr so sicher, denn Jago lief jetzt mit den Hasen, wahrend er zu den Jagdhunden gehorte. Au?erdem hatte Jago ihn in all den Jahren, die sie zusammen gewesen waren, nie mit Vornamen angesprochen. In der Armee hatte selbst unter Freunden der Dienstgrad Vorrang. Und was sein jetziges Leben betraf, so gab es im Kollegenkreis ein abgedroschenes Sprichwort: Ein Bow Street Runner macht sich keine Freunde – er kennt nur Informanten.
»Matthew«, sagte Hawkwood schlie?lich. »Ich hei?e Matthew.«
»Also, mein Matthew«, sagte sie sanft. »Woher hast du diese Narben an deinem Hals?«
Es waren eigentlich keine Narben, sondern nur eine unregelma?ige Reihe verblasster Flecke, die von der rechten Unterseite des Kinns bis zu seinem rechten Ohr verlief. Normalerweise wurden diese Verfarbungen von seinem Kragen verdeckt, doch jetzt waren diese Male sichtbar geworden.
Hawkwood legte seine Hand uber ihre forschenden Finger. Sie spurte den Stimmungswandel in ihm, runzelte die Stirn und fragte: »Hast du Angst, mir davon zu erzahlen?« Dann stockte ihr kurz der Atem. »Warte, ich verstehe.
Mit zusammengezogenen Brauen suchte sie nach Worten.
»… ein Muttermal, nicht wahr?«
Hawkwood streichelte geistesabwesend die samtene Haut ihrer Hufte. Es war nicht das erste Mal, dass ihn jemand nach diesen Malen an seinem Hals fragte, noch war es das erste Mal, dass er einer Antwort auswich. Es waren weder Muttermale noch Andenken an seine Soldatenlaufbahn oder seinen Beruf als Runner. Diese Male gehorten einer langst vergangenen Zeit an, einer dunklen Zeit in seinem Leben, an die er nicht zuruckdenken wollte, denn sie waren Zeichen dafur, wie sich das Schicksal eines Mannes von einem Augenblick zum anderen fur immer andern konnte.
»Ach, mein armer Matthew«, sagte Catherine, denn sie spurte seine innere Unruhe. Dann legte sie ihm die Arme auf die Brust, verschrankte die Finger und blickte zu ihm hoch.
»Erzahl mir alles. Ich will alles uber dich wissen.« Sie musterte ihn abwagend. »Ist es ublich, dass sich ein Gesetzeshuter duelliert? Wegen einer Frau?«
»Das kommt wohl auf die Frau an«, reagierte er auf ihre provozierende Frage.
Mit gespielter Verargerung gab sie ihm einen Klaps auf den Arm, senkte den Kopf und kusste zartlich die Stelle. Dann sah sie ihm in die Augen und fragte mit ernster Miene: »Also, erzahl mir, mein Captain, hast du als Soldat viele Manner getotet?«
»Ich habe sie nicht gezahlt.«
Auf einen Ellbogen gestutzt, strich sie mit der Fingerspitze uber die Muskeln an seinem Unterarm. »Aber du hast gekampft und getotet?«
»Ja.«
»Franzosen? Bonapartes Soldaten?«
»Gro?tenteils«, antwortete er widerstrebend.
»Du sprichst nicht gern daruber?«, fragte sie.
»Nein, nicht besonders.«
Jetzt zog sie wieder die Brauen zusammen. »Hat es dir etwas ausgemacht? Das Toten, meine ich?«
»Damals nicht.«
»Es hat dir also Spa? gemacht?«, fragte sie beinahe herausfordernd und reckte sich trage. Wie eine gesattigte Katze, die ein Schalchen Rahm getrunken hat, musste Hawkwood denken.
»Es war Krieg. Ich war Soldat und musste den Feind bekampfen. Ich hatte keine andere Wahl.«
»Hast du deshalb diesen Rutherford verschont? Weil du eine Wahl hattest?«
»Formulieren wir es so: Ich habe es satt, Manner unnotigerweise sterben zu sehen.«
Catherine setzte sich abrupt auf. »Ich an deiner Stelle ware nicht so nachsichtig gewesen. Ich hatte ihn getotet!«
Ihr vehementer Ausbruch erschreckte ihn.
»Zweifelst du daran?«, fragte sie, und ihr Blick warnte ihn, ihr zu widersprechen.
»Keine Sekunde«, sagte Hawkwood wahrheitsgema?, stutzte sich mit einer Hand ab und streifte dabei die Unterseite des Kissens.
»Verdammt!«
Der Schmerz war so heftig, als ware die Spitze einer Klinge in ihn eingedrungen. Mit einem Ruck zog er die Hand unter dem Kissen hervor. Aus einem Finger quoll ein dunkelroter Blutstropfen. Der stammte gewiss nicht von einem Wespenoder Bienenstich.
Vorsichtig hob Hawkwood das Kissen hoch. Auf dem Laken darunter lag ein Stilett mit einer funfzehn Zentimeter langen, schmalen, sehr scharfen spitzen Klinge. Der etwa gleich lange schwarze Griff war mit kunstvoll geschmiedeten goldenen Intarsien verziert. Eine Waffe von hochster Handwerkskunst, erkannte Hawkwood sofort. Ebenso erlesen wie todlich.
Catherine hielt sich die Hand vor den Mund, um ein Lachen zu unterdrucken. Ihre Augen funkelten frohlich, als sie uber ihn hinweggriff und das Stilett aus seinem Versteck nahm. »Oh, Schatz, verzeih mir! Ich hatte ganz vergessen, dass es unter dem Kissen lag.« Sie legte die Waffe beiseite und nahm seine Hand. »Lass mich mal sehen.«
Sie neigte den Kopf, als wollte sie die Wunde betrachten, doch ehe er sie daran hindern konnte, umschloss sie mit ihrem Mund seine Fingerspitze und liebkoste mit der Zunge seinen Finger. Mit geschlossenen Augen saugte sie das Blut aus der Wunde.
Dann hob sie den Kopf und fragte lachelnd: »Hast du mir verziehen?«
Als Catherine sah, dass er noch immer das Stilett anstarrte, erklarte sie: »Wir leben in gefahrlichen Zeiten, Schatz. Eine Lady muss sich schutzen.«
»Vor wem?«
»Vor Bonapartes Geheimagenten, naturlich. Der Kaiser macht Jagd auf uns.«
»Uns?«, fragte Hawkwood.
»Auf im Exil lebende Franzosen, die Bonaparte sturzen wollen. Allein in diesem Jahr hat der Kaiser zweimal Agenten geschickt, um den Comte d’Artois zu toten. Jeder, der die Bourbonen unterstutzt, ist in Lebensgefahr. Wir mussen standig auf der Hut sein, um uns selbst verteidigen zu konnen. Dieses Recht kannst du mir doch nicht absprechen, oder?«
Hawkwood wollte gerade vorschlagen, dass sie ihre Ehre besser mit ein paar Pistolen verteidigen konne, doch er schwieg, als sie sich vorbeugte und das Stilett vom Laken nahm. Fasziniert sah er zu, wie sie die Waffe an ihre Lippen hielt und die Klinge kusste, eine Geste vollendeter Erotik, wie das Gleiten ihrer Lippen uber seine Fingerknochel. Er sah, dass sich ihre Brustwarzen aufrichteten, und einen fluchtigen Augenblick lang schienen Catherine und der blitzende Stahl eins zu sein, vereint wie Liebende. Er spurte, wie ihn dieser Anblick erregte.
»Warst du nicht zu meiner Rettung herbeigeeilt«, sagte sie mit funkelnden Augen. »Ich hatte diesem Schwein Rutherford das Stilett ohne zu zogern in den Leib gerammt.«
Dann legte sie das Stilett auf ihren Nachttisch, drehte sich zu ihm um und sauselte: »Genug davon! Was musst nur du von mir denken, wenn ich solche Sachen sage?« Uber ihn gebeugt, fugte sie mit einem verfuhrerischen Lacheln hinzu: »Wo wir uns doch auf viel angenehmere Art die Zeit vertreiben konnen!«
Es war spater Vormittag, als Hawkwood zum