naher kam und unter eine Laterne trat, starrte Hawkwood in das strenge Gesicht von Major Lawrence.

Ohne Hawkwoods Erstaunen weiter Beachtung zu schenken, nahm der Major mit einem Blick die sich ihm bietende Szene wahr und musterte John Rutherford fluchtig, ehe er sich vor der jungen Lady verneigte. »Major Douglas Lawrence zu Ihren Diensten, Ma’am. Ich hoffe, Sie sind unversehrt. Der Dienstbote hat mich uber Ihre missliche Lage in Kenntnis gesetzt.«

»Mir ist nichts passiert, Major. Ich danke Ihnen«, sagte sie auf Englisch nur mit leichtem Akzent und neigte anmutig den Kopf. »Vielleicht war es gewagt von mir, allein in den Garten zu gehen, aber es ist mir nicht in den Sinn gekommen, dass ich in dieser Umgebung einen Beschutzer notig haben konnte. Ware dieser galante Gentleman mir nicht zu Hilfe gekommen …« Ihr versagte die Stimme, und sie griff sich mit einer hilflosen Geste an den Hals.

Hawkwood erinnerte sich an die schattenhafte Gestalt, die er unter den Baumen gesehen hatte. Aber die junge Dame hatte gesagt, sie sei allein in den Garten gegangen. Er war wohl einer Sinnestauschung aufgesessen.

»Ja, welch ein Gluck«, sagte der Major voller Mitgefuhl, deutete mit dem Kopf auf den Lakai und fugte hinzu: »Ich schlage vor, Sie lassen sich von diesem Diener jetzt ins Haus zuruckbegleiten, denn mein Freund und ich haben noch etwas mit diesen … ahm … Gentlemen zu besprechen.«

Die junge Frau nickte und sah dann Hawkwood an. »Ich stehe in Ihrer Schuld, Monsieur.«

Wieder beeindruckte Hawkwood die Tiefe dieser im Licht der Laterne wie Katzenaugen leuchtenden Pupillen. Sie offnete leicht die vollen Lippen, als wollte sie noch etwas sagen, drehte sich dann jedoch wortlos um und verschwand, vom Lakai gefolgt, in der Dunkelheit. Hawkwood hatte das seltsame Gefuhl, er hatte etwas verloren, ihm sei eine unausgesprochene Nachricht versagt geblieben, dabei kannte er nicht einmal den Namen der jungen Lady.

»Exquisit«, murmelte Lawrence und sah ihr nach. »Uberaus exquisit.« Als die beiden unter den Baumen verschwunden waren, anderte sich seine Stimmung schlagartig. An Rutherford gewandt, sagte er schroff: »Sie gestatten, dass ich mit meinem Freund kurz unter vier Augen spreche?« Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er Hawkwood beim Ellbogen und fuhrte ihn beiseite.

»Nun, Captain, ich habe wirklich nicht damit gerechnet, dass sich unsere Wege so bald wieder kreuzen«, sagte er und sah Hawkwood durchdringend an. Mit gesenkter Stimme fuhr er fort: »Oh ja, Captain Hawkwood, ich wei?, wer Sie sind. Bei unserer Begegnung vor dem Blind Fiddler habe ich Sie sofort erkannt. Als ich Sie heute Abend in Lord Mandrakes Haus sah, wagte ich jedoch wegen Ihrer Reaktion damals nicht, mich bemerkbar zu machen.« Er umfasste Hawkwoods Ellbogen fester und fragte: »Sie beabsichtigen doch nicht wirklich, diese Sache durchzuziehen, oder?«

»Die Wurfel sind gefallen, Major. Ich wei? allerdings Ihre Besorgnis zu schatzen.«

»Aber das ist der schiere Wahnsinn!«

»Schon moglich«, raumte Hawkwood ein.

»Gro?er Gott, Mann! Sie mussen sich mit diesem Schnosel nicht duellieren. Verhaften Sie ihn doch einfach!«

Hawkwood seufzte. »Major, er hat zwei Zeugen, die beschworen werden, dass er alten Damen uber die Stra?e hilft und den Armen Almosen gibt. Mit meiner Drohung, ihn zu verhaften, wollte ich ihn davon abbringen, die Situation auf die Spitze zu treiben. Es wurde nie zu einer Anklage kommen.«

»Bedenken Sie doch das Risiko! Welche Folgen hatte Ihr letztes Duell fur Sie? Und jetzt sind Sie Beamter! Wollen Sie sich noch eine Karriere verscherzen? Und wenn er gewinnt? Was dann?«

»Dann spielt es wohl keine Rolle mehr, nicht wahr?«, sagte Hawkwood mit einem schiefen Lacheln.

Lawrence stohnte verzweifelt.

»Noch konnen Sie Ihre Meinung andern und Ihr Angebot zuruckziehen, Major«, sagte Hawkwood.

Aber Lawrence schuttelte den Kopf. »Nein. Ich habe versprochen, dass ich Ihnen beistehen werde, und ich ziehe mein Wort nicht zuruck.« Dann grinste der Major unvermutet und fugte hinzu: »Eigentlich sollte ich Ihnen dankbar sein, dass Sie mich vor diesem absolut langweiligen Abend gerettet haben. Ich bin Soldat, verdammt noch mal. Mich oden diese gesellschaftlichen Verpflichtungen an. Diese Gecken haben noch nie an einem Feldzug teilgenommen. Die sehen sich hochstens historische Festspiele in Astley’s Amphitheater an. Mich widert dieses Pack an. Ich kann es kaum erwarten, zu meinem Regiment zuruckzukehren. In zwei Tagen breche ich nach Spanien auf, keinen Augenblick zu fruh.« Plotzlich sah Lawrence vollig zerknirscht aus. »Verzeihen Sie. Ich wollte keine Erinnerungen wecken. Es tut mir Leid.«

»Schon gut, Major. Das ist lange her.«

»Wie auch immer, ich stehe zu meinen Worten. Aber horen Sie, ware es nicht besser, ich wurde mit unserem hitzkopfigen Freund da druben reden? Vielleicht kann ich ihn dazu bringen, seine idiotische Herausforderung zuruckzunehmen. Hatten Sie etwas dagegen?«

Hawkwood schuttelte nur den Kopf. Lawrence ging zu den drei Mannern und sprach mit Giles Campbell. Hawkwood verstand die Worte zwar nicht, sah jedoch zunachst den Ausdruck von Unglaubigkeit und dann das Erstaunen in Campbells Gesicht. Er wirkte plotzlich sehr nuchtern.

Danach redete Campbell aufgeregt auf Rutherford ein, der abrupt den Kopf hob und Hawkwood mit einem Ausdruck des Unbehagens oder des Zweifels in den Augen anstarrte. Dann packte Campbell seinen Freund am Armel, der schien wie aus einer Art Trance zu erwachen, loste sich aus dem Griff und schuttelte vehement den Kopf. Sichtlich niedergeschlagen ging Campbell wieder zum Major, uberbrachte ihm die offensichtlich schlechte Nachricht und zuckte resigniert mit den Schultern. Der Major lie? den jungen Mann stehen und stapfte wutend zu Hawkwood zuruck.

»Dieser Idiot! Dieser verdammte, arrogante Idiot!«

Hawkwood wartete.

»Ich dachte, wenn ich den Kerlen erzahle, dass Sie erfahren im Austragen von Ehrenhandeln sind, wurden sie einen Ruckzieher machen. Das war leider ein Irrtum.«

»Sie haben zumindest versucht, die Gentlemen zur Vernunft zu bringen, Major. Es ist nicht Ihre Schuld, dass der Versuch fehlgeschlagen ist.«

»Dieser Idiot ist entweder zu stolz oder zu blod, um nachzugeben. Ich hatte gehofft, dass Campbell Einfluss auf seinen Freund hat, aber er ist wohl auf taube Ohren gesto?en. Mein Versuch, eine friedliche Losung fur diese verfahrene Situation zu finden, ist klaglich gescheitert.«

»Etwas anderes haben Sie doch nicht wirklich erwartet, oder?«, fragte Hawkwood.

»Ich war wohl ein wenig zu optimistisch«, sagte Lawrence.

»Nun, die Wurfel sind gefallen, wie Sie vorhin sagten. Der Junge hat sich entschieden, jetzt muss er damit leben.« Der Major straffte die Schultern und fuhr fort: »Weil es mir nicht gelungen ist, einen der Kontrahenten davon abzuhalten, sich leichtfertig in dieses Abenteuer zu sturzen, mussen wir jetzt Ort und Waffenart festlegen.« Wieder durchbohrte Lawrence Hawkwood mit seinem Blick. »Da Sie herausgefordert wurden, liegt die Wahl der Waffen bei Ihnen. Was soll ich Ihrem Kontrahenten ubermitteln?«

Da lachelte Hawkwood.

7

Der Austragungsort fur das Duell war von den Kontrahenten sorgfaltig gewahlt worden. Die in einem Waldchen versteckte Lichtung namens Dell lag am sudlichen Rand des Hyde Parks, nahe am Ufer des Serpentine- Sees.

Auch an anderen, uberall im Stadtgebiet verstreut liegenden Orten wurden private Ehrenhandel ausgetragen. Dazu gehorten im Norden die Ring Road, eine Grunflache in Lincoln’s Inn Fields und am Bloomsbury Square.

Zur vereinbarten Zeit – eine Stunde nach Sonnenaufgang – lag die Lichtung im diesigen Schein der Morgenrote. Das noch vom Tau feuchte Gras glanzte silbern. Eine nur von Vogelgezwitscher unterbrochene Stille herrschte an diesem Ort, und viele Leute hatten ein Duell gerade hier als ein Sakrileg empfunden. Doch die Abgeschiedenheit und die fruhe Stunde verringerten das Risiko, entdeckt zu werden.

Hawkwood und der Major wurden von ihren Kontrahenten bereits erwartet. James Neville und Giles

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