gerichtet.«

Zu Hawkwoods Verbluffung stand Reverend Fludde jetzt auf, schwankte kurz auf seinen spindeldurren Beinen, streckte den Arm aus und zielte mit seinem langen, knochigen Mittelfinger auf Lomax’ Gesicht. Mit seiner dunnen, schrillen Stimme sagte er: »Ich kann mich genau an die Worte erinnern. Er sagte: ›Na, wenn’s denn so ist, will ich dir glauben, Leutnant‹.«

»Und dann hat er ihn erschossen?«, fragte Lomax.

Diese schmerzliche Erinnerung qualte den Reverend noch immer. Als er den Arm wieder senkte, zuckte sein Gesicht und er flusterte: »Ja, so war es.«

»Und das sind genau die Worte, die der Morder gesagt hat? Sind Sie sich da ganz sicher?«

»Ja, absolut sicher.« Reverend Fludde zitterte jetzt, wohl auch, weil er sich bei seiner theatralischen Darstellung etwas ubernommen hatte. Er tappte zu seinem Stuhl und lie? sich erschopft darauf nieder.

Aus den Augenwinkeln warfen sich Lomax und Hawkwood einen Blick zu.

»Danke, Reverend«, sagte Lomax. »Ihre Aussage war sehr hilfreich. Ich darf Ihnen versichern, dass wir alles, was in unserer Macht steht, tun, um diese Verbrecher vor Gericht zu bringen. Und wir werden auch dafur sorgen, dass Sie Ihr silbernes Kreuz zuruckbekommen.«

Mit einem sauerlichen Lacheln auf den Lippen keuchte der Reverend: »Ich will Sie nicht langer aufhalten, Officer Lomax. Meine Haushalterin bringt Sie zur Tur. Guten Tag.«

Dann wandte sich der Reverend wieder seiner Sonntagspredigt zu.

»Na?«, sagte Lomax, als die beiden Manner auf der Stra?e standen. »Habe ich mich nun geirrt, oder finden Sie das auch merkwurdig?«

Hawkwood war zu sehr in Gedanken versunken, um zu antworten.

»Ich bin ganz Ihrer Meinung«, redete Lomax einfach weiter.

»Ich wei? nicht, mit wie vielen Stra?enraubern und Wegelagerern ich bisher zu tun gehabt habe, aber es waren eine Menge. Und keiner von denen kann einen Admiral von einem Fahnrich zur See unterscheiden. Aber der Morder hat diesen Passagier mit ›Leutnant‹ angeredet …« Lomax machte eine bedeutungsvolle Pause, ehe er mit einem Funkeln im Auge fortfuhr: »Also mussen wir uns die Frage stellen: Woher wusste dieser Stra?enrauber, dass er einen Leutnant vor sich hatte?«

Ununterbrochen beschaftigte sich Hawkwood mit dieser Frage, wahrend er durch ruhigere Seitenstra?en zum Blackbird ging. Und er zerbrach sich den Kopf uber die ratselhafte Entdeckung in der Uhrmacherwerkstatt. Sollte Jacob Quigley tatsachlich Master Woodburn in Lord Mandrakes Kutsche gesehen haben, warum hatte seitdem niemand mehr etwas von dem Uhrmachermeister gehort?

Jedenfalls musste er mehr uber Lord Mandrake in Erfahrung bringen. Hatte auch Warlock diese Spur verfolgt? Wenn dem so war, und wenn der Runner nicht Opfer eines Raububerfalls geworden war, welche Kette von Ereignissen hatte dazu gefuhrt, dass er ermordet wurde?

Irgendwo in diesem Gewirr aus Widerspruchen steckte die Losung zu beiden Ratseln, uber die Hawkwood momentan vergeblich grubelte. Denn noch konnte er keinen logischen Zusammenhang zwischen den Ereignissen erkennen.

Vielleicht liegt es daran, dass ich mude bin und Hunger habe, dachte er. Ich hatte Lomax’ Rat befolgen und eine Portion Eintopf essen sollen. Ich werde Maddie bitten, mir eine kalte Platte herzurichten. Und ein paar Stunden Schlaf werden mir gut tun. Aber zuvor muss ich Richter Read Bericht erstatten. Also erst essen, dann ein kurzer Besuch im »Laden« und dann ins Bett. Vielleicht hat sich Jago gemeldet. Wird aber auch Zeit, verdammt noch mal.

Als er jedoch in das Wirtshaus trat, kam er kaum dazu, Luft zu holen, geschweige denn, um ein Abendessen zu bitten, denn Maddie sturzte sich sofort auf ihn.

»Schaffen Sie mir diesen Mistkerl vom Hals! Sofort! Dieser kleine Teufel lungert schon seit Stunden vor meiner Tur rum. Meine Gaste haben Angst, bestohlen zu werden. Ich habe ihm gesagt, dass Sie nicht hier seien und ich auch nicht wisse, wann Sie zuruckkommen, aber er lie? sich nicht abwimmeln. Dieser Frechdachs wollte sogar in der Schankstube warten, aber ich habe ihm verboten, auch nur einen Fu? uber meine Turschwelle zu setzen. So, wie der aussieht, hat er bestimmt Flohe. Ich muss schon sagen, Matthew Hawkwood, fur einen Polizisten pflegen Sie einen seltsamen Umgang!«

»Mal langsam, Maddie«, bat Hawkwood, als er merkte, dass die Wirtin mit ihrem wutenden Protestgeschrei fertig war. »Ich habe keine Ahnung, worum es geht. Von wem redest du eigentlich?«

»Von diesem Jungen, naturlich. Von wem denn sonst?«

»Ahm … von welchem Jungen?«

»Von dem da!« Maddies grune Augen spruhten Funken, als sie an Hawkwood vorbei zur Tur deutete.

Hawkwood drehte sich um. Ein kleines, schmutziges Gesicht spahte um den Turrahmen. Dann winkte der Junge heftig, Hawkwood solle nach drau?en kommen.

Der tiefe Seufzer, den Maddie mit zusammengebissenen Zahnen ausstie?, lie? nichts Gutes ahnen. Die Wirtin war kurz davor, wieder zu explodieren.

»Ist schon gut, Maddie«, versuchte Hawkwood sie zu besanftigen. »Uberlass das mir. Ich kummere mich um den Jungen.«

Drau?en auf der schmalen Gasse sah er sich um und rief: »Davey?«

»Hier druben, Mr. ’Awkwood!«

Der Bengel trat aus dem Schatten eines Torbogens. Eine Hand steckte unter seiner zerrissenen Jacke. Er lie? angstlich seinen Blick schweifen.

»Was, zum Teufel, ist denn los, Davey?«, fragte Hawkwood.

»Ich habe ein Geschenk fur Sie, Mr. ’Awkwood.«

Langsam zog der Junge die Hand unter der Jacke hervor. Er hielt etwas umklammert. Hawkwood konnte nicht erkennen, was es war. »Ich denke, das sollte ich Ihnen geben.«

Davey streckte die Hand aus. Hawkwood wurde eiskalt ums Herz, als er den Gegenstand erkannte.

Es war der Schlagstock eines Runners.

»Woher hast du den?«, fragte Hawkwood, als er sich wieder gefasst hatte und sprechen konnte.

Davey wich Hawkwoods Blick aus und senkte den Kopf.

»Davey?«

»Es tut mir Leid, Mr. ’Awkwood. Ned war’s. Ich hab nicht gewusst, dass er ihn hatte. Ehrlich!«

Ned?, uberlegte Hawkwood kurz. Dann fiel ihm ein, dass es der Junge war, der Warlocks Leiche entdeckt hatte.

»Wo hast du den Stock gefunden?«

»Ned hat gesagt, er habe direkt neben der Leiche gelegen, halb im Schlamm vergraben. Er hat niemandem was davon erzahlt, weil er den Stock saubern und verkaufen wollte. Pen hat mir verraten, dass er ihn eingesteckt hat. Ich habe ihm den Stock abgenommen.«

Hawkwood griff instinktiv in seine Tasche, aber der Junge schuttelte den Kopf. »Noo, ist schon gut, Mr. ’Awkwood. Dafur will ich nichts haben. Sie waren gut zu uns und haben uns immer anstandig behandelt. Der andere Runner auch. Ich fand’s nicht richtig, dieses Mal Geld von Ihnen zu nehmen. Nehmen Sie’s als Geschenk.« Davey grinste. »Der geht sozusagen aufs Haus.«

»Ich bin dir sehr dankbar, Davey. Wirklich«, sagte Hawkwood und umklammerte den schwarzen Schlagstock.

Der Junge nickte ernst, dann herrschte kurz verlegenes Schweigen, bis Davey schlie?lich sagte: »Ich muss wieder zuruck. Ich kann die Bande nicht lange allein lassen. Die stellen doch dauernd was an, wenn ich nicht aufpasse.«

Hawkwood nickte. »Pass du auch auf dich auf, Davey. Ich bin dir was schuldig.«

Davey lachte. »Das wei? ich doch! Nachstes Mal verlange ich das Doppelte.«

Noch immer lachend lief der Junge davon. Doch Hawkwood uberkam plotzlich ein unerklarliches Gefuhl tiefer Melancholie. Er drehte sich um und ging ins Wirtshaus zuruck.

Maddie Teague hob die Kaffeekanne und warf Hawkwood einen vielsagenden Blick zu. »Wunscht der Gentleman sonst noch etwas?«

Hawkwood lehnte sich zuruck, als ihm die Wirtin Kaffee einschenkte. Dann legte sie ihm die Hand auf die

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