Kopf.

»Erzahlen Sie mir jetzt ganz genau, wie Sie an diese Skizzen gekommen sind. Und lassen Sie keine Einzelheit aus.«

Der Richter horte sich Hawkwoods Bericht schweigend an, ohne den Blick von ihm abzuwenden. Als Hawkwood geendet hatte, vertiefte sich James Read wieder in die Papiere.

Schlie?lich konnte Hawkwood seine Ungeduld nicht mehr im Zaum halten und brach das Schweigen. »Was sind das fur Zeichnungen?«

Ohne aufzusehen, sagte Read: »Ich glaube, diese Dokumente befanden sich in der Kuriertasche, die dem ermordeten Marineoffizier bei dem Uberfall auf die Kutsche in der Kent Road abgenommen wurde.«

Plotzlich war es im Raum so still und kalt wie in einem Grab. »Ich verstehe den Zusammenhang nicht«, sagte Hawkwood. »Was, zum Teufel, hat ein Kurier der Marine mit Uhren zu tun?«

»Uhren?« Der Oberste Richter starrte Hawkwood entgeistert an. »Uhren? Glauben Sie im Ernst, dass es darum geht – um die Konstruktion eines neumodischen Zeitmessers? Oh, Mann, wenn es nur so einfach ware!« Ohne weitere Erklarung sah der Richter zur Tur und rief: »MR.TWIGG!«

Kaum war der Ruf des Richters verhallt, stand Ezra Twigg schon in der Tur.

»Sir?« Er zwinkerte und wartete auf die Anweisung.

James Read griff nach seiner Feder und schrieb etwas auf ein Blatt Notizpapier. Dann faltete und versiegelte er die Nachricht, versah sie mit einer Adresse und reichte sie dem Sekretar. »Uberbringen Sie diese Nachricht schnellstens, Mr. Twigg. Unten wartet Caleb mit seiner Kutsche. Richten Sie ihm aus, dass er zwei Passagiere fahren wird. Wir kommen sofort.«

Von dem bestimmten Ton in der Stimme des Richters angespornt, nickte Twigg beflissen und sagte: »Ja, Sir. Wird sofort erledigt.« Dann eilte er aus dem Buro.

Als der Richter nach seinem Spazierstock griff, fragte Hawkwood moglichst ruhig: »Warum haben Sie mich nicht daruber informiert?«

»Woruber?«, entgegnete James Read.

»Uber den Inhalt der Kuriertasche. Als Sie mir den Fall ubertragen haben, wussten Sie doch, dass es die Rauber nicht auf den Schmuck der Passagiere abgesehen hatten – das war nur ein Ablenkungsmanover –, sondern auf diese Dokumente.«

»Ich habe diese Moglichkeit in Erwagung gezogen, konnte jedoch auch nicht ausschlie?en, dass es sich nur um einen gewohnlichen Raububerfall handelte. Daher hielt ich es fur nicht relevant, die Kuriertasche und deren Inhalt in den Mittelpunkt der Ermittlungen zu rucken. Das hatte zu viel Aufmerksamkeit erregt. Doch genug davon. Wir vergeuden kostbare Zeit.«

»Sie hatten mir vertrauen sollen«, wandte Hawkwood ein.

In den Augen des Richters blitzte Verargerung auf, als er ungehalten entgegnete: »Es geht nicht darum, ob ich Ihnen vertraue. Sie in Unkenntnis zu lassen war nicht meine Entscheidung. In dieser Hinsicht waren mir die Hande gebunden. Wenn Sie jedoch wissen wollen, was wirklich hinter dieser Sache steckt, rate ich Ihnen, hier nicht den Beleidigten zu spielen, sondern mich zu begleiten.« Ohne auf eine Antwort zu warten, eilte der Richter aus seinem Buro.

Hawkwood fluchte leise. Wenn es nicht um Uhren ging, worum ging es dann? Und wie war der Inhalt der Kuriertasche in Warlocks Besitz gelangt? Nichts ergab einen Sinn.

Erst als James Read dem wartenden Kutscher eine Anweisung zurief, erfuhr Hawkwood, wohin die Fahrt ging. Was noch weniger Sinn machte.

Zum Marineministerium in Whitehall.

12

Mit geschlossenen Augen uberlegte Hawkwood, wie hoch die Strafe fur das Erwurgen eines Adjutanten der Admiralitat wohl ware. Das unentwegte Kratzen der Schreibfeder uber Papier war ihm zur Qual geworden. Es zerrte an seinen Nerven wie das Brummen eines standig gegen eine Fensterscheibe fliegenden Insekts.

Der Grund fur Hawkwoods Verargerung, ein Leutnant, den er auf hochstens sechzehn schatzte, war sich der Wirkung seines Tuns nicht bewusst. Doch jedes Mal, wenn der Leutnant in den vergangenen zehn Minuten den Kopf gehoben und gewagt hatte, den gro?en Mann mit den finsteren Gesichtszugen auf der gegenuberliegenden Bank zu betrachten, hatte ihn ein derart boser Blick getroffen, dass er schnell wieder die Augen gesenkt hatte.

Deshalb reagierte der Leutnant mit sichtlicher Erleichterung, als die Glocke des Admirals klingelte. Er blickte kurz auf und sagte: »Sie durfen jetzt eintreten.«

Hawkwood stand auf und lockerte seine verkrampften Muskeln. Er hatte sich schon gefragt, ob der Oberste Richter ihn vergessen habe. Seit ihrer Ankunft im Ministerium und Reads Verschwinden im Sitzungssaal – Hawkwood war befohlen worden, im Vorzimmer zu warten – hatte ihn nur ein undeutliches Gemurmel hinter geschlossenen Turen davon uberzeugt, dass seine Anwesenheit vielleicht doch noch erforderlich sein konnte.

Hawkwood wappnete sich innerlich und offnete die Tur.

Au?er dem Obersten Richter befanden sich noch drei ihm unbekannte Manner im Raum. James Read bedeutete ihm mit einer Geste naher zu treten. »Kommen Sie, Hawkwood. Diese Gentlemen sind begierig darauf, Ihre Bekanntschaft zu machen. Darf ich vorstellen: Sir Charles Yorke, Erster Seelord, Chef des britischen Admiralstabs. Admiral Dalryde, Berater des Ersten Seelords, und Generalinspekteur Blomefield. Gentlemen, das ist Officer Hawkwood.«

Die Herren mochten vielleicht meine Bekanntschaft machen, sie wirken aber ziemlich niedergeschlagen, dachte Hawkwood.

Das Gesicht des Ersten Seelords war finster wie eine Gewitterwolke, moglicherweise lag das aber an der gedampften Beleuchtung. Der Admiral – er sa? hinter dem langen Tisch – musterte Hawkwood wie ein Stuck Dreck, das er sich von der Stiefelsohle gekratzt hatte. Von den dreien zeigte nur Generalinspekteur Blomefield echtes Interesse. In den Augen des Mannes lag noch ein anderer Ausdruck, den Hawkwood allerdings nicht als Belustigung zu deuten wagte.

Dann schweifte Hawkwoods Blick zu dem langen Tisch, auf dem die beiden Skizzen lagen.

Der Erste Seelord sah James Read an und fragte: »Wei? er Bescheid?«

Read schuttelte den Kopf. »Noch nicht.«

»Vielleicht wird es Zeit, dass mich jemand in das Geheimnis einweiht«, mischte sich Hawkwood ungehalten ein. Er hatte es satt, der einzige nicht informierte Mann in dieser Runde zu sein.

Admiral Dalryde hob ruckartig den Kopf. Charles Yorke hingegen meinte abfallig: »Du meine Gute, Read. Sie zuchten aber unverschamte Welpen heran.«

Noch ehe James Read auf diese Bemerkung reagieren konnte, erklarte Generalinspekteur Blomefield gelassen: »Ich wurde sagen, der Mann hat unter den gegebenen Umstanden durchaus Recht. Nicht wahr, Sir Charles?«

Kurz herrschte beklommenes Schweigen.

Widerwillig nickte der Erste Seelord schlie?lich. »Also gut, Read. Klaren Sie Ihren Mann auf.« Er konnte es nicht verwinden, dass Hawkwood ihm nicht den notigen Respekt gezollt hatte.

Doch ehe der Oberste Richter dazu kam, klopfte es und der junge Leutnant aus dem Vorzimmer offnete die Tur. Er wollte etwas sagen, doch da drangte sich schon ein Mann in Uniform an ihm vorbei.

»Entschuldigen Sie, Gentlemen. Ich bin so schnell wie moglich gekommen.«

Blomefield grinste. »Besser spat als nie, Colonel. So, wie Ihre verdammten Raketen, was? Ha! Ha!«

Colonel? Raketen?, wunderte sich Hawkwood und musste feststellen, dass ihn der Neuankommling mit scharfem Blick musterte.

»Officer Hawkwood, Colonel«, sagte James Read. »Hawkwood, das ist Colonel Congreve.«

Irgendetwas an dem Auftreten und der rastlosen Energie dieses Mannes kam Hawkwood bekannt vor. Und dann fiel es ihm ein. Colonel William Congreve, altester Sohn des Leiters des Koniglichen Labors in Woolwich, Offizier der Koniglichen Artillerie und Erfinder der Schiffsrakete.

Congreves Raketen waren zum ersten Mal gegen die Franzosen im Golf von Biskaya eingesetzt worden.

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