Schulter und beruhrte mit den Fingern leicht seinen Nacken. »Vielleicht ein bisschen Gesellschaft spater?«
Da Hawkwood unbedingt noch mit dem Blinden Billy sprechen und ein Treffen mit Jago arrangieren musste, sagte er bedauernd: »Tut mir Leid, Maddie. Heute Nacht nicht.« Nur widerstrebend wandte er den Blick von der einladenden Wolbung ihres Dekolletees ab.
»Wirklich nicht?«
Hawkwood verneinte. »Ich kann nicht, Maddie. Die Pflicht ruft.«
Maddie richtete sich abrupt auf und schuttelte mit gespielter Verargerung ihre kastanienbraune Mahne. »Na, wie schon. Konnte es sein, dass es Manner gibt, die nicht zu schatzen wissen, wie gut es ihnen geht?« Sie schmollte und stolzierte davon.
Obwohl sich Hawkwood niedergeschlagen fuhlte, musste er uber den theatralischen Abgang der Wirtin lacheln. Maddie Teague schaffte es immer wieder, ihn aufzuheitern.
Unwillkurlich dachte Hawkwood an Catherine de Varesne, deren dunkle Sinnlichkeit sich so sehr von Maddies heller, keltischer Schonheit unterschied. Dann schamte er sich dieses Vergleichs, denn Maddie hatte oft und gern das Bett mit ihm geteilt.
Maddie Teague war Witwe. Ihr Mann war Kapitan eines Handelsschiffs der Ostindischen Gesellschaft gewesen und hatte von seinem Gewinn das Gasthaus gekauft. Doch der Kapitan war mit Mann und Maus und einer Ladung chinesischen Porzellans auf hoher See untergegangen, als sein Schiff vor den Andamanen-Inseln auf ein Riff aufgelaufen war.
Maddie hatte das
Maggie Teague hatte ihn anfangs freundlich, aber zuruckhaltend empfangen, mit offenen Armen jedoch erst nach einiger Zeit.
An Frauen hatte es Hawkwood nie gemangelt. Wahrend seiner Dienstjahre in der Armee war er wegen seines etwas finsteren, aber guten Aussehens und dank seiner Uniform selten ohne weibliche Gesellschaft geblieben. Doch das Militar war eine anspruchsvolle Geliebte, und nur eine sehr verstandnisvolle Frau war bereit, sich mit dem unsteten Leben eines Berufssoldaten abzufinden, ob nun allein zu Hause oder im Gefolge ihres Mannes von Feldzug zu Feldzug.
Sein jetziger Beruf als Runner hatte wenig an diesen Umstanden geandert. Die Arbeit und die damit verknupften Gefahren forderten vollen Einsatz, und so hatte er kaum Gelegenheiten, dauerhafte Freundschaften zu schlie?en, geschweige denn romantische Beziehungen einzugehen.
Hawkwood hatte sich auch nie als Ehemann gesehen. Heimchen am Herd und Pantoffeln? Nein, das war nichts fur ihn. Es lag nicht in seiner Natur. Es mochte zu Runner Warlock gepasst haben, aber er liebte seine Freiheit uber alles. Also hatte er sein Vergnugen gesucht und gefunden, wo immer es sich ergeben hatte. Hauptsachlich bei Prostituierten. In den besseren Etablissements am Covent Garden fand er immer willige Partnerinnen fur fluchtige Affaren ohne Konsequenzen. So hatten Hawkwood und Maddie Teague, wenn ihnen der Sinn danach stand, sich hin und wieder gegenseitig Lust und Trost gespendet und auch ihre Einsamkeit manchmal vergessen konnen.
Hawkwood trank einen Schluck Kaffee, lie? den Blick durch die Wirtsstube schweifen und versuchte, die beiden so gegensatzlichen Frauen aus seinen Gedanken zu verbannen. Als hatte ich nicht schon genug Probleme am Hals, dachte er resigniert.
Mit halbem Ohr nahm er das rundherum herrschende Stimmengewirr der Stammgaste wahr. Mehrere Rechtsanwalte, von denen er ein paar dem Namen nach kannte, einzelne Geistliche, eine Anzahl gut gekleideter Personen – Bankiers oder Arzte – unterhielten sich bei Kerzenlicht in erhellter, entspannter Atmosphare.
Warlocks Schlagstock lag auf dem Tisch neben Hawkwoods Ellbogen. Er wirkte hier vollig fehl am Platz. Noch immer klebten Schlammreste am Griff und an der kleinen Messingkrone an der Spitze. Hawkwood nahm ihn und wog ihn nachdenklich in der Hand. Das polierte Holz und sein Gewicht fuhlten sich trostlich an. Der Schlagstock eines Runners verlieh seinem Trager gro?e Autoritat. Er ermachtigte ihn, Durchsuchungen durchzufuhren, Personen zu verhoren und festzunehmen. Ein Recht, das nur etwa einem Dutzend verdienter Beamter gewahrt wurde und sowohl Furcht als auch Neid unter weniger privilegierten Kollegen erregte.
Dann umfasste Hawkwood den Schaft mit der linken Hand und versuchte, die Spitze abzuschrauben. Es gelang ihm erst, als er sie mit etwas Fett von seinem Teller eingerieben hatte.
Fur Uneingeweihte bestand der Stock aus massivem Holz, doch in Wirklichkeit war er innen hohl und enthielt ein Dokument, vom Obersten Richter unterschrieben und mit seinem Siegel versehen, das ihn als Runner auswies, eine Legitimation seiner Autoritat.
Behutsam zog Hawkwood Warlocks Ausweis heraus, entrollte ihn und entdeckte darin verborgen zwei hauchdunne Papierblatter. Verwundert glattete er die Blattchen und glaubte, darauf Zeichnungen zu erkennen. Bei naherem Hinsehen erkannte er jedoch, dass es sich um Konstruktionsplane handelte.
Der erste Plan sah wie die Zeichnung eines mechanischen Gerats aus. Eine Ecke des vierseitigen Gehauses war gewolbt. Darin waren verschieden lange Spindeln abgebildet, die mit ineinander greifenden Zahnradern unterschiedlicher Gro?en verbunden waren. Zwei glichen Baumwollspulen, und oben und unten an diesem Gehause waren Schwungrader angebracht, ein gro?es und ein kleines.
Hawkwood drehte die Skizze, bis sich die gewolbte Ecke oben links befand. Da erinnerte er sich, ahnliche Konstruktionsplane an einer Wand von Josiah Woodburns Werkstatt gesehen zu haben.
Die zweite Zeichnung war noch verwirrender. Sie zeigte die Umrisse eines in zwei Halften geteilten, quadratischen Gehauses. Die Zeichnung im oberen Quadrat stellte jedoch eindeutig den Zundmechanismus einer Waffe dar: Hammer, Backen, Feuerstein und Pfanne. Die untere Halfte war noch einmal unterteilt. Das Zahnrad links war durch einen schmalen, gebogenen, zahnformigen Gegenstand mit dem Hammerkopf einer Waffe verbunden. Die Spitze steckte zwischen zwei Zahnen des Zahnrads. Die rechte untere Halfte war leer.
Hawkwood lehnte sich zuruck. Wenn mich nicht alles tauscht, so stellt die gro?ere Zeichnung ein Uhrwerk und die kleinere Skizze eine Art Zeit-Regler dar. Sind das etwa Plane fur einen neuen Chronometer? Woodburn ist ein anerkannter Meister seines Fachs. Vielleicht hat er ein neues Uhrwerk erfunden, das er vor seinen Kollegen geheim halten will? Hat das eventuell mit seinem Verschwinden zu tun? Aber wie passen Hammer und Feuerstein dazu?, fragte er sich und starrte noch immer auf die beiden Blatter. Jedenfalls hat Warlock diese Skizzen fur so wichtig gehalten, dass er sie versteckt hat. Woraus sich die nachste Frage ergibt: In wessen Hande sollten diese Zeichnungen nicht gelangen?
Da entdeckte Hawkwood auf einer der Skizzen in der unteren rechten Ecke einen Fleck. Er beugte sich vor, nahm die Kerze und hielt sie uber das Papier, sorgsam darauf bedacht, kein Wachs darauf zu traufeln.
Er erkannte eine kaum lesbare Schrift.
Hawkwood stellte den Kerzenhalter zuruck auf den Tisch und hielt das Papier vor die Flamme. Die Buchstaben waren verschwommen, als ware die Tinte verlaufen. Zwei Worte. Vielleicht unter Zwang oder in Eile hingekritzelt.
Ein T, dann ein h und ein deutliches e: The.
Noch ein t, ein i und ein s: The tis.
Zwei Worte, eins davon unvollstandig, ohne erkennbare Bedeutung. Hawkwood lehnte sich wieder zuruck. Er war ratlos.
Das Schlagen der Wirtshausuhr riss ihn aus seinen Uberlegungen. Es war halb acht. Das Amt in der Bow Street schloss um acht. Hawkwood wusste jedoch, dass zumindest in einem Zimmer die Kerzen langer brennen wurden. Er rollte Warlocks Ausweis und die beiden Zeichnungen sorgfaltig zusammen und steckte sie wieder in den Schlagstock. Er musste seine Kontaktaufnahme mit Jago verschieben, denn zuerst galt es, James Read Bericht zu erstatten. Zwei Kopfe denken besser als einer. Eine gute Gelegenheit, meine Theorie auf den Prufstand zu stellen.
Hawkwood glaubte, wahrend seiner Zusammenarbeit mit dem Obersten Richter alle seine Launen kennen gelernt zu haben: Wut, Frustration, Reizbarkeit, Sarkasmus, Belustigung und gelegentlich auch Verzweiflung. Aber noch nie hatte er erlebt, dass es James Read die Sprache verschlug. Bis heute.
Hawkwood wurde den Gesichtsausdruck des Obersten Richters, als er die Skizzen aus Warlocks Schlagstock nahm, nie vergessen. James Read schnappte horbar nach Luft und erblasste beim Anblick der prazisen Zeichnungen. Er wirkte zutiefst erschuttert. Nach einer – wie ihm schien, – Ewigkeit hob James Read den