Colonel Congreve hob eine der Skizzen auf und betrachtete sie noch einmal ganz genau. »Wir vermuten, dass das Unterseeboot bereits funktionstuchtig ist und gegen unsere Konvois eingesetzt werden kann. Wir vermuten ebenfalls, dass Napoleon Lee beauftragt hat, ein ganz bestimmtes Ziel unter Beschuss zu nehmen. Leider wissen wir nicht, um welches Ziel es sich handelt.«
Hawkwood hatte noch immer Probleme mit der Logistik.
»Aber wie funktioniert dieses Unterseeboot? Wie finden diese Bomben ihr Ziel?«
»Was?«, fragte Colonel Congreve etwas geistesabwesend.
»Ach, die Torpedos! Das System ist eigentlich verbluffend einfach.« Er lachelte plotzlich. »Aber das wird ja von den besten Erfindungen immer behauptet.«
Hawkwood uberlegte sich, ob der Colonel auf sein Experiment mit den Raketen anspielte, deren mangelhafte Treffsicherheit fast zu einem Fiasko gefuhrt hatte.
Jetzt griff der Colonel wieder zum Bleistift und deutete auf die Skizze des Unterseeboots. »Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, beim Turm. An der Spitze befindet sich ein Stachel mit Widerhaken, Fulton nannte es das Horn. Sobald das Unterseeboot unter dem angepeilten Schiff positioniert ist, wird der Stachel von innen mit einem Schlag in den Rumpf getrieben. Konnen Sie mir folgen?«
Hawkwood nickte.
»Sobald der Stachel fest verankert ist, lost sich das Unterseeboot, und der Stachel bleibt im Rumpf stecken. Am Bug des Boots befindet sich eine von innen handbetriebene Winde. Von dort fuhrt eine Leine nach achtern und durch einen Ring in den Stachel.« Der Colonel folgte dem Verlauf mit dem Bleistift.
»Dort ist sie an einem Kupferfass befestigt, das mit Schie?pulver gefullt und einem Zunder versehen ist. Beim Wegfahren des Boots wird die Leine bis zum Ende abgerollt. Dann lost die im Stachel befestigte Leine durch den Vorwartszug das Fass vom Boot und zieht es an den Rumpf des Schiffs. Der Aufprall aktiviert den Zunder, und das Fass explodiert.« Grinsend fugte der Colonel hinzu: »Den Rest uberlasse ich Ihrer Fantasie.«
Genial ist eher untertrieben, dachte Hawkwood und starrte noch auf die Skizze. »Wie viel Pulver muss in dem Fass sein?«, fragte er.
Colonel Congreve zuckte mit den Schultern. »Keine allzu gro?e Ladung. Etwa zwanzig Pfund reichen. Unter Wasser richtet das Pulver mehr Schaden an als an Land. Denn die Wucht der Detonation ist aufgrund der Dichte des Wassers gro?er als in der Luft, deren Dichte geringer ist.«
Erstaunlich, dachte Hawkwood. Und man erfahrt nichts, bis es zu spat ist. »Und was stellt diese Skizze dar? Ist das der Zundmechanismus einer Waffe, die als Regler dient?«
Der Colonel nickte. »Vermutlich.«
»Und die Schrift?«, fragte Hawkwood.
»Welche Schrift?«, wollte der Colonel wissen.
»Da, sehen Sie«, sagte Hawkwood und deutete auf die verblassten Buchstaben.
Der Colonel drehte das Papier um und hielt es sich dicht vor die Augen.
»Das ergibt keinen Sinn«, sagte Hawkwood. »The t-i-s … Die restlichen Buchstaben fehlen.«
James Read trat hinter Hawkwood und schaute uber dessen Schulter.
»Damit kann ich nichts anfangen«, sagte der Colonel und schuttelte den Kopf. »Wie ist es mit Ihnen, Gentlemen? Sir Charles? Admiral?«
Als der Erste Seelord angestrengt auf die Skizze starrte, weiteten sich seine Augen plotzlich. »Gro?er Gott!«, rief er und blickte entsetzt zu Admiral Dalryde. Er schien kurz vor einem Schlaganfall zu stehen. »
Der Admiral wurde blass.
Es war nur ein Wort, nicht zwei. Trotzdem war Hawkwood nicht kluger. Er sah James Read hilfesuchend an, doch zu seiner Besturzung schien auch der Oberste Richter weder die Bedeutung des Wortes noch die Reaktion der beiden Manner darauf zu verstehen.
»Ich glaube, der Name stammt aus der griechischen Mythologie«, sagte er schlie?lich. »Thetis war die bekannteste der Nereiden, eine Meeresnymphe.« James Read zog die Augenbrauen zusammen, als er bemerkte, wie Admiral Dalryde und Charles Yorke vielsagende Blicke wechselten. »Allerdings kann das Wort auch eine ganz andere Bedeutung haben«, fugte er leise hinzu.
Der Erste Seelord fixierte den Admiral noch einmal und verkundete: »Die
»Ein Kriegsschiff?«, wiederholte Read unglaubig. Dann dammerte es ihm: Das Wort
James Read musterte den Admiral. »Wann?«
Dalryde blinzelte. »Am 27. – in zwei Tagen. In Woolwich wird sie aufgetakelt und dann in Sheerness mit Kanonen bestuckt. Dort geht auch die Mannschaft an Bord. Eine Woche wird sie auf See kreuzen und dann in Portsmouth zum Flottengeschwader sto?en.«
In dem anschlie?enden Schweigen wirkte der Erste Seelord sehr nachdenklich.
»Beunruhigt Sie noch etwas, Sir Charles?«, fragte James Read.
Yorke nickte zogernd. »Ja. Der Prinzregent.«
»Ist das auch ein Schiff?«, fragte der Oberste Richter verblufft.
Der Erste Seelord schuttelte bekummert den Kopf. »Nein. Damit meine ich Prinzregent Georg. Seine Konigliche Hoheit, den Prinzen von Wales.«
Read starrte Sir Charles Yorke verstandnislos an. »Und was ist mit ihm?«
»Seine Konigliche Hoheit wird beim Auslaufen der
»Wahrend der ganzen Fahrt?« James Read konnte es nicht glauben.
Wieder schuttelte der Erste Seelord den Kopf. »Nein, nur bis Woolwich.«
Diese kurze Strecke eignet sich kaum als Kulisse fur eine heroische Entdeckungsreise, dachte Hawkwood. Prinz Georg will sich wohl wieder einen seiner fantastischen Traume erfullen.
Es war allgemein bekannt, dass Prinz Georg trotz seines Amts als Regent gewissen Wahnvorstellungen fronte. Es war nicht ungewohnlich, dass sich der Prinz als einer der Heroen der Antike, als mittelalterlicher Monarch und sogar als chinesischer Mandarin verkleidete – und sich an der Szenerie einer blutrunstigen und gloriosen Schlacht ergotzte. Obwohl dem Hofstaat diese Schauspiele au?erst peinlich waren, wagte es niemand, dem Prinzen die Wahrheit zu sagen: dass seine Heldentaten rein fiktiver Natur waren und nur in seiner Vorstellung existierten.
Der kalte Blick des Obersten Richters durchbohrte Sir Charles. »Und warum wurde meine Behorde davon nicht in Kenntnis gesetzt?«
Charles Yorke zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wollte Seine Konigliche Hoheit Sie nicht mit Nebensachlichkeiten belasten.«
»Nebensachlichkeiten?«, konterte Read scharf. »Den Schutz des Prinzregenten wurde ich wohl kaum als eine Nebensachlichkeit bezeichnen.«
Sir Charles seufzte. »Hierbei handelt es sich nicht um eine zivile Angelegenheit, Read. Seine Konigliche Hoheit bedarf Ihres Schutzes nicht, denn ein Truppenkontingent der Marine wurde bereits nach Deptford abkommandiert und wird den Prinzen nach Woolwich begleiten. Es gibt also keinen Grund zur Sorge.«
»Es
»Immerhin haben sich die Umstande durch die hier gewonnenen neuen Erkenntnisse drastisch geandert, nicht wahr?«
Sir Charles straffte die Schultern. »O Mann! Die Sicherheit des Prinzregenten ist nicht gefahrdet. Schlie?lich segelt er nur nach Woolwich und nicht in die Ostsee.«
»Dann haben Sie also nicht die Absicht, den Besuch des Prinzen auf der
Der Erste Seelord lachelte verkniffen. »Es erfordert sehr viel Mut – den ich nicht habe –, seiner Koniglichen Hoheit einen Wunsch abzuschlagen. Schweitzer und Davidson hat ihm bereits eine neue Uniform geliefert. Hoffentlich taucht er nicht als Sultan von Ranipur verkleidet auf«, fugte Sir Charles abfallig hinzu. »Nichts fur ungut, Colonel. Ich wei?, dass Sie Seine Hoheit als Ihren Freund betrachten, aber manchmal …«