und starrte finster auf die Handschellen an seinen Gelenken. In dieser misslichen Lage sah er so harmlos wie ein zu gro? geratener Hundewelpe aus.
Wieder warf Rafferty verstohlen einen Blick auf den Tisch und zuckte zusammen, als jemand hinter ihm sagte: »Wir haben vier kleine Bettler geschnappt, Ire. Was sollen wir mit denen machen?«
Der dunne Mann mit dem Frettchengesicht war ahnlich wie Rafferty gekleidet, nur hatte er eine scharlachrote Weste anstatt einer blauen an. Mit der rechten Hand hielt er einen Knirps am Schlafittchen gepackt, sodass die Zehenspitzen des Kleinen kaum den Boden beruhrten. Der Junge versuchte, sich strampelnd zu befreien, wofur er sofort mit einem heftigen Klaps auf den Hinterkopf bestraft wurde.
Rafferty musterte die Gestalt an der Tur verachtlich. »Halt ihn fest, Constable Warbeck, bis ich dir etwas anderes befehle. Sei ein guter Junge und bring diesen Schmutzfink jetzt nach drau?en.«
Der Constable tippte an seinen Hut und ging. Rafferty stie? einen Seufzer der Erleichterung aus. Er war der Ansicht, dass Constable Warbeck im Gegensatz zu ihm nicht gerade mit Verstand gesegnet sei, und dessen Angewohnheit, ihn »Iren« zu nennen, argerte ihn zunehmend. Leider war Warbeck mit Raffertys jungerer Schwester, Alice, verheiratet. Sie hatte ihren Bruder dazu uberredet, Warbeck bei der Polizei unterzubringen. Mittlerweile hatte er jedoch ernste Bedenken, ob dieser Akt der Nachstenliebe richtig gewesen sei. Nicht zuletzt, weil sich der Constable als zu dumm oder zu unfahig erweisen konnte, bei passender Gelegenheit ein Auge zuzudrucken.
Der Junge muss noch viel lernen, dachte Rafferty. Aber vielleicht wird ja noch was aus ihm.
Er ging zum Tisch zuruck und betrachtete wieder gierig die Sammlung aus Geldbeuteln und Schmuck. Dann warf er einen hastigen Blick uber seine Schulter und vergewisserte sich, dass er nicht beobachtet wurde, ehe er den Inhalt der Brieftaschen untersuchte. In mehreren fand er zu seiner Freude Geldscheine, nahm je einen heraus und legte die Brieftaschen wieder auf den Tisch. Dann griff er mit funkelnden Augen nach der Taschenuhr.
Es war ein edles Stuck aus massivem Gold mit dazu passender Panzerkette. Die Uhr hatte zweifelsohne einem Gentleman gehort. Rafferty hielt den Chronometer an sein Ohr. Das Ticken klang wie leise Herzschlage. Mit seinem eingerissenen Fingernagel fuhr er unter die Schlie?e und wollte den Deckel gerade aufklappen, als er Schritte und ein seltsam schleifendes Gerausch horte. Hastig steckte Rafferty die Uhr in seine Manteltasche. Gerade noch rechtzeitig. Er setzte ein breites Grinsen auf, als Hawkwood, Mutter Gant hinter sich herschleifend, den Vorhang beiseite schob und in die Kuche trat.
»Tja, also, Captain, ich habe mich schon gefragt, wo Sie geblieben sind. Ich dachte, wir mussten einen Suchtrupp losschicken, ja wirklich«, brabbelte Rafferty. Dann erst sah er die Witwe Gant, die am Boden lag und das Bewusstsein wiedererlangt hatte. Sie warf Hawkwood einen derart bosen, hasserfullten Blick zu, dass es ihn frostelte.
»Ah, Sie haben die alte Hexe also erwischt«, sagte Rafferty und musterte missbilligend den Riss in Hawkwoods Armel. »Hat Ihnen wohl Arger gemacht, wie?«
Hawkwood zerrte die alte Frau durch den Raum und lie? sie neben ihren Sohn plumpsen. Als er aufblickte, waren seine Augen so dunkel wie ein Grab.
»Wie viele habt Ihr erwischt?«
»Vier«, sagte Rafferty und seufzte. »Der Rest ist entkommen. Meine Jungs halten sie drau?en fest.« Seine Forschheit geriet unter Hawkwoods Blick betrachtlich ins Wanken. Der harte Ausdruck in den Augen des Captains lie? ihm das Blut in den Adern gefrieren. Als Hawkwood nur nickte, atmete er erleichtert auf.
»Das ist mehr, als wir erwartet haben. Bringt Sie fort.«
»In Ordnung«, sagte Rafferty und trat Eli Gant ans Schienbein. »Steh auf! Du auch, Mutter Gant, sonst trete ich dir in deinen mageren Arsch.«
Hawkwood wandte sich ab, wahrend Rafferty die beiden zur Tur schaffte.
»Halt!«
Bei dem scharfen Ton blieb Rafferty abrupt in der offenen Tur stehen. Ein kalter Wind streifte seinen Rucken. Als er sich umdrehte und Hawkwoods Blick auf sich gerichtet sah, schnurte es ihm vor Angst die Kehle zu.
Der Bastard wei? es!
»Geben Sie mir die Uhr, Rafferty!«, befahl Hawkwood und streckte die Hand aus.
»Ha?«, stammelte Rafferty unschuldig. Er wusste jedoch instinktiv, dass ihn diese einzige Silbe verraten hatte. Dunkel und Furcht zwangen ihn jedoch, einen letzten halbherzigen Versuch zu unternehmen, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
»Uhr? Was fur eine Uhr? Ich wei? wirklich nicht, was Sie meinen.«
»Ich sage es nur noch einmal, Constable«, entgegnete Hawkwood mit steinerner Miene. »Einen Fehler haben Sie schon begangen. Schlimm genug. Geben Sie mir die Uhr.«
Obwohl Rafferty alles abstritt, wusste er, dass er das Spiel verloren hatte. Jetzt konnte er nur noch versuchen, mit einem blauen Auge davonzukommen. Er runzelte die Stirn, als wurde er scharf nachdenken, und grinste dann breit.
»Ach, du liebe Muttergottes! Ja naturlich! Was habe ich mir nur dabei gedacht? Na klar. Da habe ich die Uhr doch glatt in meine Tasche gesteckt, damit sie nicht wegkommt. Und nicht mehr daran gedacht. Mein Gedachtnis bringt mich noch mal ins Grab. Da ist sie ja! Gut, dass Sie mich daran erinnert haben, sonst hatte ich’s wohl glatt vergessen und sie mitgenommen.«
Mit einem Grinsen, das sogar Medusa besanftigt hatte, griff der Constable in seine Manteltasche und zog, wie ein Zauberer ein Kaninchen aus dem Hut, die Uhr hervor.
»Da, nehmen Sie, Captain«, sagte er und gab Hawkwood die Uhr. »Ein schoner Chronometer, das sehe sogar ich. Kostet bestimmt ein hubsches Summchen.« Verschmitzt blinzelnd fugte er hinzu: »Sie haben wohl selbst ein Auge darauf geworfen, wie? Wer konnte Ihnen das verubeln? Also, ich …«
Hawkwood drehte die Taschenuhr um und blickte auf. Sofort erlosch das Grinsen im Gesicht des Constables.
»Ersparen Sie mir Ihre dummen Spruche und Ihre Schmeicheleien, Rafferty. Damit konnen Sie die Ladys und Ihre Saufkumpane reinlegen. Bei mir zieht das nicht.«
Rafferty errotete noch mehr und trat verlegen von einem Fu? auf den anderen, doch Hawkwood war mit ihm noch nicht fertig.
»Ich warne Sie, Rafferty. Machen Sie nie wieder einen auf Langfinger, sonst hacke ich sie Ihnen ab. Ist das klar?«
Der Constable klappte den Mund auf, brachte aber keinen Ton heraus und nickte nur klaglich.
»Gut, dann verstehen wir uns ja. Ich behalte die Uhr. Den Rest der Beute bringen Sie in die Bow Street zur Aufbewahrung. Die Sachen sind Beweismaterial. Und merken Sie sich eins: Ich mache Sie dafur verantwortlich, dass nichts davon verschwindet. Vielleicht melden sich die Besitzer und wollen ihre Sachen zuruckhaben. So, und jetzt gehen Sie mir verdammt noch mal aus den Augen!«
Hawkwood wartete, bis Rafferty und die anderen Constables mit den Festgenommenen abgezogen waren. Dann erst lie? er die Uhr aufschnappen und las die eingravierte Inschrift. Nachdenklich klappte er den Deckel wieder zu, steckte die Uhr in seine Tasche und ging.
In dem Stallhof hinter dem
Beide Boxer hatten ordentlich Prugel bezogen. Benbows Gesicht war nur noch eine blutige Masse. Au?erdem hatte er zwei gebrochene Rippen. Schwer angeschlagen und wankend wartete er, dass ihm sein Gegner in die Fauste lief.
Figg war fast taub und blind von Schlagen, die er einstecken musste. Mit stark angeschwollenen Handen und Gelenken und aus jeder Pore schwitzend, schuttelte er benommen den Kopf, spuckte Blutklumpen und umkreiste Benbow schwankend.
Beide Manner konnten sich kaum noch auf den Beinen halten.
Das plotzliche Ende des Kampfes war fur das Publikum eher enttauschend. Nachdem Benbow taumelnd mehr zufallig einen harten Schlag in Figgs Bauch gelandet hatte, brach sein Gegner zusammen. Die Zuschauer stohnten auf, als ein Blutschwall aus Figgs Mund quoll – ein sicheres Zeichen dafur, dass seine Lunge verletzt war. Daraufhin brach der Schiedsrichter den Kampf ab und erklarte den Mann aus Cornwall zum Sieger.