Zunachst senkte sich Schweigen uber die Menge, doch dann breitete sich aufgeregtes Geschwatz wie kleine Wellen auf einer Wasseroberflache aus. Benbow sa? auf einem Hocker, betastete mit dem Finger seine Mundhohle, spuckte einen Zahn aus und nahm einen kraftigen Schluck aus der ihm angebotenen Brandyflasche. Ohne Mitleid sah er zu, wie der schwer angeschlagene Figg von seinen Sekundanten weggeschleppt wurde.
Unter dem Stallgewolbe schlug der rothaarige Major seinem Kameraden auf den Rucken und schuttelte bewundernd den Kopf. »Bei Gott, Fitz, das war der beste Boxkampf, den ich je gesehen habe. Wie gut, dass ich auf den Mann aus Cornwall gesetzt habe. Jetzt bin ich zehn Guinees reicher. Verdammt, dieser Kampf hat mich durstig gemacht. Wie war’s, wenn wir uns einen hinter die Binde gie?en, ehe wir uns mit den Ladys treffen? Ich glaube, wir werden erst in einer Stunde erwartet.«
Der Major griff unter seine Scharpe und erstarrte. »Verflucht, Fitz! Meine Taschenuhr ist weg! Ich bin bestohlen worden!«
Naturlich wussten beide, dass der Dieb oder die Diebin langst in der sich rasch zerstreuenden Menge untergetaucht war. »Verfluchtes Diebesgesindel!«, schimpfte der Major und knirschte vor Wut und Frustration mit den Zahnen.
Da spurten beide, dass jemand hinter ihnen stand. Als sie sich umdrehten, hielten sie den schwarz gekleideten Mann zunachst fur einen Geistlichen. Doch an dem Ausdruck in den rauchgrauen Augen erkannte der rothaarige Offizier sofort, dass dieser Mann kein Priester war. Und dann sah der Major den Gegenstand in der offenen Hand des Fremden.
»Ich fress ’nen Besen, Fitz! Sehen Sie sich das an! Der Kerl hat meine Uhr. Darf ich fragen, wo zum Teufel Sie die herhaben, Sir?«
»Mit Hexerei hat das nichts zu tun, Major«, sagte Hawkwood und hielt ihm die Uhr hin. »Ich habe nur zufallig beobachtet, wie der Junge Sie bestohlen hat. Und was den Rest betrifft, nun, sagen wir mal, er hat seinen Fehler eingesehen.«
Der Major verbarg seine Freude nicht. Er schloss die Finger um seine Uhr und sagte lachelnd: »Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar, Sir. Welch ein Gluck, dass Sie so gute Augen haben. Entschuldigen Sie meine Unhoflichkeit – ich habe mich noch nicht einmal vorgestellt. Lawrence, 1st Bataillon, 40th Light Infantry. Und das ist Leutnant Duncan Fitzhugh.«
»Es ist mir eine Ehre, Sir«, sagte der jungere Offizier und tippte an seinen Tschako.
Als Hawkwood nur kurz nickte, sich umdrehte und ging, starrten ihm die beiden Offiziere verwundert hinterher.
»Aber nein, Sir!«, rief der Major hinter ihm her. »Bleiben Sie stehen! Erlauben Sie mir doch wenigstens, mich dankbar zu erweisen. Diese Uhr bedeutet mit sehr viel. Der Leutnant und ich wollten gerade ein Glaschen trinken gehen. Darf ich Sie dazu einladen?«
Hawkwood drehte sich um und sagte kurz angebunden: »Nein, danke.«
»Aber, Sir!«, protestierte der Major. »Ich bestehe …«
Als der Leutnant Hawkwoods Gesichtsausdruck sah, nahm er den Major beim Arm und sagte: »Lassen Sie es gut sein, Sir. Bringen Sie den Mann nicht in Verlegenheit.«
Der Major schien widersprechen zu wollen, zuckte dann jedoch mit den Schultern und sagte: »Na gut. Aber das andert nichts an der Tatsache, dass ich Ihnen zu Dank verpflichtet bin. Wenn ich irgendetwas fur Sie tun kann …« Er verstummte, legte den Kopf zur Seite und fugte dann stirnrunzelnd hinzu: »Verzeihen Sie, Sir. Vielleicht kommt Ihnen meine Frage merkwurdig vor … aber sind wir uns nicht schon mal begegnet?«
»Nicht, dass ich wusste, Major«, sagte Hawkwood kopfschuttelnd.
»Sind Sie sich da sicher? Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor«, sagte der Major und kniff die Augen zusammen.
»Ganz sicher«, entgegnete Hawkwood und verneigte sich leicht. »Guten Tag, Major … Leutnant.« Dann machte er auf dem Absatz kehrt und marschierte davon.
»Eigenartig«, murmelte der Major, sah sich schnell um, entdeckte einen herumlungernden Stra?enhandler und winkte ihn mit gekrummtem Zeigefinger heran. Schwarze Fliegen umschwirrten die Su?igkeiten, die auf seinem Bauchladen lagen. Fitzhugh krauselte angeekelt die Nase.
»Ja, Sir. Womit kann ich dienen?«, katzbuckelte der Mann grinsend und entblo?te schwarze Stummelzahne.
Der Major wehrte mit einer unwirschen Handbewegung ab und deutete mit dem Kopf uber den Hof. »Der schwarz gekleidete Mann da druben, der mit dem langen dunklen Haar, kennst du ihn?«
Als der Handler in die Richtung schaute, wurde er zum Erstaunen der beiden Offiziere plotzlich blass. »Warum wollt Ihr das wissen?«, fragte er misstrauisch und blickte den Offizier scheel an.
Major Lawrence griff in seine Tasche, nahm eine Munze heraus und sagte lachelnd: »Ich bin nur neugierig, mein Freund. Sein Gesicht kam mir bekannt vor, das ist alles.«
Der Handler warf einen verstohlenen Blick auf die Munze und grapschte dann gierig danach. Mit einem Biss prufte er die Echtheit des Geldstucks und murmelte dann finster: »Ich an Eurer Stelle wurde um
Lawrence und Fitzhugh sahen sich erstaunt an. »Warum denn das?«, fragte der Major.
»Weil er das Gesetz ist, deswegen.«
»Das
»Er arbeitet als Constable und erledigt spezielle Aufgaben fur die Bow Street. Runner hei?en solche Leute bei uns. Das sind gemeine Schei?kerle. Allesamt.« Der Handler spuckte auf das Kopfsteinpflaster. »Passt blo? auf, Sir. Solltet Ihr je mit dem Gesetz in Konflikt geraten, konnt Ihr nur hoffen, dass der Mann sich nicht an Eure Fersen heftet.«
»Na, so was«, wunderte sich Major Lawrence und fugte hinzu: »Aber wie hei?t er, Mann! Kennst du seinen Namen?«
Die Miene des Su?warenverkaufers verhartete sich. »Seinen Namen? Und ob ich den Namen kenne. Er hei?t Hawkwood. Moge er in der Holle schmoren. Na, Gentlemen, wollt Ihr nicht etwas kaufen?«, fragte er und deutete auf seinen Bauchladen.
Aber der Major reagierte nicht. Er schien unter Schock zu stehen und starrte uber den Hof, dorthin, wo der dunkelhaarige Mann verschwunden war. Als Leutnant Fitzhugh den Handler wegscheuchte, humpelte der vor sich hin schimpfend davon.
»Was ist mit Ihnen, Major?«, wollte Fitzhugh wissen. »Haben Sie etwa einen Geist gesehen?«
Lawrence stand noch immer wie versteinert da. Dann sagte er: »Vielleicht habe ich das.« Er sah den Leutnant an und lachelte wehmutig. »Bei Gott, Fitz, was ist das Gedachtnis doch fur eine launische Geliebte!«
»Sie kennen diesen Mann also? Sie sind ihm schon mal begegnet?«
»O ja, das kann man wohl sagen«, antwortete Lawrence leise, ehe er geistesabwesend murmelte: »Und damals waren wir beide verdammt weit weg von zu Hause.«
Leutnant Fitzhugh wartete auf eine ausfuhrlichere Erklarung, aber diesen Gefallen tat ihm der Major nicht. Stattdessen nickte er in Richtung Taverne: »Ich brauche jetzt einen steifen Brandy, lieber Fitz. Wir begeben uns in dieses Wirtshaus, und ich spendiere uns von meinem Wettgewinn ein oder zwei Glaschen.« Dann schlug er seinem Kameraden auf die Schulter und versprach: »Wer wei?? Vielleicht fallt mir dabei eine interessante Geschichte ein.«
Aus dem Schatten eines Torbogens beobachtete Hawkwood, wie der Major und der Leutnant in die Schenke gingen. Es war ein merkwurdiges Gefuhl gewesen, Lawrence wieder zu begegnen. Er hatte den Major sofort wiedererkannt und zudem die Widmung gelesen, die in den Uhrendeckel eingraviert war.
Leutnant D.C. Lawrence, 40. Regiment
Einem ritterlichen Offizier
mit aufrichtigem Dank, Auchmuty
Februar 1807
Diese Widmung bewies, dass die Uhr nicht nur ein Zeitmesser, sondern eine Belohnung fur eine Tat von au?erordentlicher Tapferkeit und fur den Besitzer somit wohl mehr wert war als Gold. Hawkwood war nicht