I.V.
Frank
SS=Brigadefuhrer und Generalmajor der
Waffen=SS
Aussage Otto Ambros
vor dem Nurnberger Militargericht im IG=Farben=Proze? (Fragment)
Das Furchtbarste war die Mi?handlung der Haftlinge durch die Kapos. Sie gingen mit den Haftlingen unmenschlich um. Mir ist in Auschwitz von Walther Durrfeld bzw. Oberingenieur Faust berichtet worden, da? Haftlinge auf der Flucht erschossen worden sind.
Ich wu?te, da? die Haftlinge selber keine Bezahlung erhielten. Es wurde etwa 1943 von der IG ein Pramiensystem fur Haftlinge eingefuhrt, den Haftlingen eine Moglichkeit zu geben, in der Kantine Zusatzliches zu kaufen und gleichzeitig, um die Leistung der Haftlinge zu erhohen.
Gesamtbezahlung fur die Haftlinge in 2? Jahren, die an die SS geleistet wurde, betrug uber 20 Millionen Mark.
Fur einige Augenblicke verschlug es Daniel die Sprache, er war wie gelahmt, versuchte den Sinn der Worte zu begreifen, die der Musiker stockend und widerwillig hervorgebracht hatte. Er schluckte Speichel wie jemand, der eine bittere Medizin einnehmen muss, und stie? schlie?lich hervor: »Lebend werden die mich nicht dorthin bringen!«
Ihm entfuhr ein Schrei, und einige Mithaftlinge drehten sich um, doch bevor er zu einem weiteren ansetzen konnte, der sogleich die Aufmerksamkeit des Kapos auf sich gezogen hatte, hielt ihm der Geiger den Mund zu, schloss ihn in die Arme und lie? ihn den Kopf im Stoff seiner zerschlissenen Haftlingskleidung vergraben. Der junge Mann hat in den letzten Monaten Unbegreifliches ertragen mussen, dachte Bronislaw, und nur ein viel heftigerer Aufschrei, ein hemmungsloses Brullen hatte ihm wohl Erleichterung verschafft. Doch die verzweifelte Klage durfte nicht nach drau?en dringen. Deshalb war es gut, dass die Beklemmung in den Armen des Freundes allmahlich verebbte, abgeschirmt von verachtlichen Blicken oder solchen, die nur wieder neue Beklommenheit hervorgerufen hatten.
Nach einer Weile, die ihnen beiden lang vorgekommen war, loste sich Daniel mit Muhe aus der festen Umarmung; seine Tranen waren getrocknet, und der Freund redete sanft auf ihn ein, wahrend sie auf und ab gingen, damit ihm die Bewegung half, sich zu beruhigen.
»Glaub mir, sie werden dich bestimmt nicht in das andere Lager abtransportieren, momentan konnen sie hier in den Fabriken einfach auf niemanden verzichten. Die Dinge stehen langsam schlecht fur die elenden Morder. Du wirst es schaffen, das wei?t du. Der Solobratschist meines fruheren Orchesters, der mal ein Kunde von dir gewesen war, hat mir von deiner au?ergewohnlichen Handwerkskunst erzahlt.«
Bronislaw sprach aus Uberzeugung, und allmahlich wich die Furcht von Daniel. Er klammerte sich an diese Worte, wollte ihnen Glauben schenken, sie waren das Einzige, woran er sich noch festhalten konnte.
»Deine Geige wird den schonsten Klang haben, den man sich nur vorstellen kann, und ich werde mein Bestes geben, wenn ich sie spiele! Es muss und es wird uns gelingen.«
Die Stimme des Freundes verscheuchte sein Entsetzen, sie war Balsam fur die Seele. Nun konnten sie einigerma?en ruhig und sachlich miteinander reden. Daniel betonte, dass er keinerlei Bedenken hatte, was die Qualitat seiner Arbeit betraf. Das Problem, daruber waren sie sich einig, war die ungewisse Frist.
Doch daran wurde niemand etwas andern konnen oder wollen; der Musiker durfte keine Fragen stellen und unter gar keinen Umstanden den Verdacht erwecken, dass er uber die demutigende Wette Bescheid wusste. Die Folgen wurden sonst verheerend sein, und dafur war er – das musste er sich eingestehen – nicht mutig genug.
Soweit es im Reich des Schreckens moglich war, stand jedoch eine Sache fur ihn so gut wie fest: Bis die Violine fertiggestellt war, wurden sie den Geigenbauer im
»Er bekleidet einen hoheren Dienstgrad als Rascher«, fuhr der Musiker fort, »das ist mir aufgefallen, als sie voreinander salutierten, und der Kommandant verabscheut jegliche Einmischung in seinen Autoritatsbereich.« Es gab aber auch noch einen weiteren Faktor, der Daniel zu uberzeugen vermochte: Der Arzt verstand nicht das Geringste von Geigen, Sauckel hingegen schon. Und dieser war gewiss schlau genug, keine unglaubwurdige Frist zu setzen, um sich den Erhalt der Kiste Burgunderwein zu sichern. Davon konnte man ausgehen.
»Und du? Kannst du es dir eigentlich einrichten zu uben?«
»Nicht wirklich, weil ich den ganzen Tag in der Kuche arbeite: Schau dir blo? meine Hande an! Warm haben sie es dort wenigstens, aber der Gedanke an den Sommer macht mir jetzt schon Angst.«
Dennoch nutzten er und seine zwei Partner stets die knappe Zeit zum Uben, die ihnen nach der abendlichen Essensausgabe blieb, bevor man sie in ihre schabige Unterkunft schaffte. Es war nicht viel Zeit, »aber wir geben uns gro?te Muhe, und so bleiben wenigstens die Finger beweglich.« Und er fugte abschlie?end hinzu: »Heute haben wir gerade mal eine halbe Stunde, ich muss deswegen jetzt auch los.« Er ging schweren Herzens fort, und Daniel sah ihm nach, wie er sich mit langsamen, schwankenden Schritten entfernte; er blickte ihm geruhrt und dankbar hinterher, bis er in der Baracke verschwunden war. Wie sehr war er von ihm verstanden und getrostet worden!
Ihnen war ausreichend Zeit geblieben, sich zu unterhalten und die Angelegenheit ein ums andere Mal durchzugehen, denn seit Fruhlingsbeginn waren die Abende langer, und man schickte sie erst um neun in die Baracken. Den Geigenbauer hatte das Gesprach beruhigt, und so schlief er nun mit der Hoffnung und der Entschlossenheit ein, die Geige fertigzubauen. Deshalb erschrak er auch nicht, als ihn zwei oder drei Tage spater ein ihm unbekannter Kapo aus der Werkstatt holte. Er vermutete, man wurde ihn zum Haus des Kommandanten bringen. Wahrend er die Werkzeuge niederlegte, fasste er den Entschluss, Sauckel zu fragen, wie viel Zeit man ihm zugestand, um das Instrument fertigzustellen. Ich werde die Frage so vorbringen, dachte er, dass er keinen Verdacht schopfen kann, so als ginge ich davon aus, er benotige die Geige fur ein Konzert.
Sie hatten allerdings etwas anderes mit ihm im Sinn: »Schnell, ab in die Schneiderei!«, befahl man ihm, und da er so verblufft war, dass er sich nicht von der Stelle ruhrte, wurden die Worte »schnell, schnell!« von einem heftigen Sto? begleitet.
Er folgte dem Kapo und fuhlte, wie Verzweiflung in ihm aufstieg. Wenn sie ihm die Zeit verkurzten, die er fur die Geige brauchte, wurde er es nicht schaffen, sie rechtzeitig zu vollenden. Was hatten sie blo? mit ihm vor, was sollte er in der Schneiderei? Er konnte weder bugeln noch gut genug nahen: Sie konnten ihn lediglich dazu einteilen, die Kleidungsstucke der Toten zu waschen, die immer wieder verwendet wurden.
Seit vielen Monaten hatte er keine kraftige und gutaussehende Frau mehr zu Gesicht bekommen, ihn faszinierte daher der Korper der Aufseherin, die mit einem Gummiknuppel in der Hand, der vollkommen uberflussig war, die blassen, abgemagerten Frauen und Madchen uberwachte, wahrend diese einen Berg bereits sauberer Wasche sortierten und bugelten. Mit einem Blick stellte er fest, dass auch Kinderkleidung darunter war – von den wenigen Kindern, die vor der Selektion im kleinen Lager uberlebt hatten. Auf einem anderen Stapel befand sich