man suchen mu?te, fand man uberall Koprolithen. Es gab gro?e klumpenformige, kleine krumelige und, besonders auffallig, spiralformig gedrehte, richtig kunstvoll, wie ein Schneckengehause. Die Wissenschaftler versuchten jetzt herauszufinden, zu wem welche Form gehorte. Kurzlich war hier in der Station ein internationales Treffen zu diesem Thema. Es war unfa?bar: zwanzig, drei?ig erwachsene und eigentlich ganz normal aussehende Manner und Frauen, allesamt Doktoren und Professoren, die sich fur nichts anderes als versteinerte Schei?e interessierten.
Aber was soll’s, jeder hat so seine Schwachen. Immerhin konnten sie mitunter auch ganz nett sein, vor allem, wenn man sie mit einem ihrer Forschungsgegenstande begluckte. Die Fledermaustante war uber seinen Fund so happy, da? sie ihm eine Flasche Schampus geschenkt hatte, echten franzosischen Champagner. Das war doch ein anstandiger Zug von ihr. Vorher hatte er die Schafer immer so arrogant gefunden mit ihrer spitzen Nase und dem ungewohnlich gro?en Mund. Die kann Spargel quer fressen, meinte Rudi.
Jetzt sa? sie wahrscheinlich da oben und kratzte und polkte das Skelett aus dem Schiefer. Mit Zahnbursten, kleinen Spachteln und Sandstrahlgeblasen ruckten sie den Funden zu Leibe, wochenlang. Er hatte schon ofter dabei zugesehen. Mu?te wohl ziemlich kompliziert sein, wegen des hohen Wassergehaltes. Nee, das war nichts fur ihn, dann schon lieber mit dem Spaten arbeiten. Da hatte man wenigstens was in der Hand.
Er atmete einmal tief durch und legte einen Zahn zu. So verging die Zeit schneller. Er schaute auf das Stuck Schiefer hinunter, das er gerade losgebrochen hatte.
Komisches Zeug, dieser Olschiefer! Stein, aber weich wie Blatterkrokant. Als er hier anfing, hatte einmal jemand versucht ihm zu erklaren, da? der Name ziemlicher Unsinn sei, weil es sich strenggenommen weder um Schiefer handele noch um Ol. Max hatte nicht viel davon verstanden. Es war ihm doch schnuppe, wie das Zeug nun wirklich hie? und was es genau darstellte. Fruher hatten sie hier jedenfalls tatsachlich Ol gewonnen und Benzin daraus hergestellt, aber das lohnte sich schon lange nicht mehr. Jetzt stritten sich die Fossilienfritzen und die Gemeindeverwaltung um die Grube. Diese Schreibtischhengste wollten eine Mullkippe daraus machen. Na klasse, dann konnte er seinen Job sowieso vergessen. Im Augenblick herrschte Waffenstillstand, aber man konnte ja nie wissen, wie lange so etwas anhielt.
Halt! Er stutzte. Da war etwas.
Nachdem er schon ein paar ungewohnliche, gro?ere Funde zu Tage gefordert hatte, kannte Max das Gefuhl in seinen Handen, wenn zwischen zwei Platten etwas verborgen war. Sie klebten dann irgendwie anders aneinander.
Vorsichtig steckte er sein Messer zwischen die Schieferbruchstucke und versuchte sie zu lockern. Nach einigem Hinundherruckeln loste sich endlich die obere Platte mit einem schmatzenden Gerausch. Tatsachlich, sein Gefuhl hatte ihn nicht getauscht, da war etwas Wei?liches, Knochiges. Sah irgendwie seltsam aus, wie, ja, wie ... Ach, daruber sollten sich die Herren Spezialisten den Kopfzerbrechen, dafur wurden sie ja schlie?lich bezahlt.
»Rudi, komm doch mal her«, rief Max und beugte sich uber seinen Fund. »Was sagst’n du dazu?«
»Hm«, machte Rudi nachdenklich und hockte sich neben das Fundstuck, eine Gruppe kleiner Knochen, aufgereiht wie auf einer Perlenschnur.
»Schei?e, ausgerechnet jetzt«, fluchte Max, dem langsam klar wurde, was er sich eingebrockt hatte. Wenn die Verruckten oben in der Station davon erfuhren, waren sie imstande, ihm sein ganzes Wochenende zu vermiesen. So langweilig und lahmarschig sie normalerweise auch sein mochten, angesichts von frischem Fossilienmaterial konnten sie einen beangstigenden, durch nichts und niemanden zu bremsenden Fanatismus an den Tag legen. Es ware nicht das erste Mal, da? sie von ihnen verlangten, ein Fundstuck am Wochenende zu bergen. Meistens kamen sie in solchen Fallen mit irgendwelchen obskuren Fossilienraubern, die sich hier herumtreiben und ihnen zuvorkommen konnten. Dabei ging es nur um ihre eigene Gier.
»Hm«, sagte Rudi.
»Wenn das was Interessantes ist, dann sitzen wir hier noch mindestens zwei Stunden fest, das ist dir doch klar, oder?« Max buckte sich und kratzte mit seinem Taschenmesser vorsichtig neben dem Fundstuck herum. »Da ist noch mehr«, sagte er. »Hab ich jedenfalls noch nicht gesehen so was.«
Rudi nickte bedachtig und brummte: »Du mu?t Hackebeil Bescheid sagen!«
Hackebeil hie? eigentlich Dr. Helmut Axt und leitete oben die Au?enstation des Senckenberg-Museums, aber sie nannten ihn nur Hackebeil, wegen seines Namens und wegen seines spitzen Kinns.
»Du wei?t, was das bedeutet?« fragte Max und sah seinen Kollegen eindringlich an. Mann, hatte der eine lange Leitung. »Dein Wochenende kannst du dann vergessen.«
»Hm...« Das gab Rudi zu denken. »Und wenn du einfach bis Montag wartest?«
Max nickte. Na bitte, endlich, genau das hatte er horen wollen. Rudi machte eine Geste, da? sein Mund versiegelt sei.
Vorsichtig legte Max die Schieferplatte wieder an Ort und Stelle, bespruhte das Ganze mit Wasser und deckte dann zusammen mit Rudi eine Plastikplane uber die Ausgrabungsstelle. Wenn der Messeler Schiefer trocken wurde, begann er sich zu wellen wie feuchtes Papier und zersprang schlie?lich in zahllose kleine dunne Plattchen. Alles, was sich darin befand, zersprang naturlich mit. Da war dann nichts mehr zu machen. Es war das A und O ihrer Arbeit. Sie mu?ten immer darauf achten, da? die Grabungsstellen feucht und gut abgedeckt waren. Das hatte ihnen Hackebeil x-mal eingescharft. Direkte Sonneneinstrahlung war Gift, todlich.
Gemeinsam stiefelten Max und Rudi anschlie?end auf den Maschendrahtzaun zu, der den Ausgrabungsbereich der Grube Messel umgab und von dem Gebiet abtrennte, das schon fur die zukunftige Mullkippe hergerichtet worden war.
»Also dann«, sagte Max, als sie am Tor angekommen waren, wo sein Fahrrad stand. »Bis Montag!«
»Ja, bis Montag«, sagte Rudi und hielt nochmals zum Zeichen der Verschwiegenheit den Zeigefinger an die Lippen.
In der Rechten eine schaukelnde Plastiktute schleppte sich Michael Hofmeister schweren schlurfenden Schrittes die Knesebeckstra?e entlang. Am Zeitungsladen uberflog er kurz die Schlagzeilen der Tagespresse Klimachaos! Ist die Katastrophe NOCH AUFZUHALTEN? KLIMAFORSCHER WARNEN: Handeln, bevor es zu spat ist! Danke, kein Interesse, dachte er. Das Ganze stank doch zum Himmel.
Er hatte kurzlich von einer neuen Theorie uber den Untergang der Dinosaurier gelesen, nach der diese Riesen aus ihren kilometerlangen Darmwindungen derartige Mengen von Methan ausgeschieden hatten, da? ihr Verdauungstrakt heutzutage unter das Bundes-Immissionsschutzgesetz gefallen und nur unter erheblichen Auflagen genehmigungsfahig gewesen ware. Folglich war irgendwann das Klima gekippt. Die Theorie mit dem Meteoriteneinschlag und dem anschlie?enden atomaren Winter sagte Micha eigentlich mehr zu, schon deshalb, weil es zu den Riesenechsen irgendwie besser gepa?t hatte, wenn ihr Ende mit einem solchen Paukenschlag eingelautet worden ware, aber er mu?te zugeben, da? auch die Saurierfurzhypothese nicht ohne Reiz war. Er machte sich da gar nichts vor. Die Menschen bekamen das auch hin, nur machten sie sich nicht selbst die Muhe, sondern uberlie?en das Vergiften ihren Maschinen und jetteten solange lieber in den Urlaub. Jeder Organismus machte die Erde auf seine Weise kaputt. Wo blieb denn der evolutionare Fortschritt, wenn die Menschheit es den Dinos einfach nachmachte. Den anderen Tier- und Pflanzenarten, kaum mehr als blo?e Trittbrettfahrer, die mit in den Strudel gerissen wurden, war es letztlich egal, ob sie wegen Reptilien-furzen, Autoabgasen oder sonstigen Naturkatastrophen ausstarben.
Meine Gute! Micha schuttelte verargert den Kopf und ri? sich von den Zeitungsuberschriften los. Warum war er nur plotzlich so schlecht gelaunt?
Mit letzter Kraft steuerte er ein Cafe an, lie? sich an einem der wenigen freien Tische erschopft in den wei?en Plastikstuhl fallen und versuchte zwischen den engstehenden Tischen Platz fur die langen Beine zu finden. Es war hei?, fur seinen Geschmack definitiv zu hei?. Schon seit Wochen brannte die Sonne auf die Stadt herab, und wer konnte, hatte schon lange das Weite gesucht.
Er wischte sich den Schwei? von der Stirn und starrte mi?mutig auf die klebrige Speisekarte. In seinem Schadel hatte sich zunachst eine trage, dumpfe Mudigkeit breitgemacht und in ihrem Schlepptau eine erste Androhung von Ubellaunigkeit. Aber jetzt war sie voll da, ausgereift, unverkennbar, unbeherrschbar, ein besonders schwerer Fall. Die Zeitungen hatten ihm den Rest gegeben. Dabei hatte doch alles so gut angefangen.
Vor ein paar Stunden hatte er die letzte Lehrveranstaltung des Sommersemesters absolviert, die Vorlesung in Spezieller Zoologie von Gechter. Er hatte sich zunachst wie alle anderen auch in wirklich prachtiger Stimmung befunden. Mit seinen Kommilitonen hatte er in einem Dahlemer Gartenlokal das Semesterende gefeiert und sich fur seine Verhaltnisse einen ziemlich heftigen Rausch angetrunken. Wie so oft hatten sie uber Gechter