unsicher und schlaksig wirkender, baumlanger junger Mann, wahrscheinlich ein Student. Kurz hinter ihm folgte eine hagere, durre Gestalt mit unregelma?igen Zahnen, die er grinsend prasentierte. Axt nahm etwas Schwarzliches, Blinkendes an seinem rechten Schneidezahn wahr, als er von rechts den Spitzbartigen mit seiner Miss Universum im Schlepptau auf sich zuhumpeln sah.

Dumme Fragen

Das Bild des schillernden Prachtkafers traf Micha wie ein Donnerschlag in finsterer Nacht. Plotzlich war er hellwach und sa? kerzengerade, so als hatte ihm jemand mit einem Ruck eine Lanze durch den Rucken getrieben. Ohne da? er es wollte, gab er einen erstickten Laut von sich, so da? sich Karin und Detlef umdrehten und ihn fragend anschauten.

Naturlich hatte er das Bild nur kurz betrachten konnen, viel zu kurz, um Einzelheiten zu erkennen, aber die Ahnlichkeit mit dem Kafer von Tobias war erstaunlich. Er hatte bisher gar nicht gewu?t, da? es, abgesehen von Bernsteineinschlussen, uberhaupt so gut erhaltene Insektenfossilien gab, geschweige denn, da? diese Kafer den modernen Formen so ahnlich waren.

Er nahm sich vor, nach der Diskussion zu Axt zu gehen und ihn darauf anzusprechen. Normalerweise hielt er nichts von diesen Typen, die, kaum war das letzte Wort verklungen, nach vorne sturzen und den erschopften Referenten Locher in den Bauch fragen mu?ten. In seinen Augen wollten sie sich nur wichtig machen. Aber er mu?te versuchen, mehr uber dieses Tier herauszubekommen.

Die Diskussion verlief wie ublich. Einige Fragen mutiger Studenten und dann die Monologe von Persigel und Zeugner, den beiden High-Tech-Biologen, die demonstrieren mu?ten, da? sie uber alles und jedes Bescheid wu?ten. Micha war so damit beschaftigt, sich seine Fragen zu uberlegen, da? er fast den Auftritt von Sonnenberg und den darauffolgenden Heiterkeitsausbruch seiner Schonen verpa?t hatte, deren lautes, fast gehassiges Lachen alles andere ubertonte.

Dann war es soweit. Schubert beendete das Colloquium. Micha nahm allen Mut zusammen und pirschte sich langsam an Axt heran, der noch damit beschaftigt war, ihm entgegengestreckte Hande von Wissenschaftlern des Instituts zu schutteln.

Als er von links Sonnenberg und daruber, fast in einer anderen Sphare, ihren Kopf naherkommen sah, verlor er fast den Mut, aber Axt hatte ihn schon bemerkt und sah ihn erwartungsvoll an. Jetzt oder nie.

»Ah, Herr Axt, ich hatte da noch eine Frage«, horte er sich sagen. Seine Stimme klang in dieser ungewohnten Situation ganz fremd fur ihn, wie die Stimme eines anderen Menschen, quakig, regelrecht unangenehm.

»Ja, bitte, fragen Sie!« erwiderte Axt freundlich, schien aber aus den Augenwinkeln ebenfalls zu verfolgen, wie Sonnenberg und seine Begleiterin auf ihn zusteuerten.

»Dieser Kafer hat mich fasziniert.«

»Der Ru?ler?«

»Nein, der andere, der Prachtkafer.« Sie war jetzt so nahe, da? sie ihn verstehen mu?te. Gott, sie war gro?, sehr gro?, mindestens eins achtzig. Um sie zu kussen, hatte er seinen Kopf nur leicht nach unten beugen mussen, keine lusttotenden Verrenkungen, keine yogareifen Verbiegungen. Und sie mu?te den ihren nur leicht in den Nacken legen. Klang es nicht absolut lacherlich, wenn er sich bei Axt nur nach dem Kafer erkundigte?

»Ja, und?« Axt wirkte nervos.

»Wissen Sie zufallig, ob es heute noch ahnliche Formen gibt, ich meine, sehr ahnliche?«

»Oh, da bin ich uberfragt. Da mussen Sie einen Entomologen fragen. Soweit ich wei?, sind Sie doch hier in den besten Handen.«

»Ja, naturlich, Sie haben recht. Und ... wie werden diese Insektenfossilien eigentlich aufbewahrt? Ich meine, kann man sie einfach trocknen?«

Eine dumme Frage, eine entsetzlich dumme Frage, und sie konnte sie horen! Wieso fiel ihm nichts Intelligenteres ein?

»Nein, nein.« Axt lachelte nachsichtig. Seine Augen schwenkten fluchtig zu Sonnenberg hinunter, der jetzt direkt neben Micha stand, und es klang so, als ob das folgende eher fur den kleinen Palaontologen bestimmt war als fur ihn. »Sie werden in Glyzerin aufbewahrt, sonst verblassen die Farben sehr schnell, und die sind ja gerade das Besondere an diesen Stucken. Wissen Sie, mitunter zeigen sogar bergfrische Funde von Vogeln noch deutliche Spuren der Gefiederfarbung. Faszinierend! Wenn man das einmal gesehen hat, vergi?t man es nicht so schnell. Es ist fast so, als ob in diesen Fossilien noch ein Rest Leben steckt, der erst nach ihrer Entdeckung wie ein Geist entweicht. Leider ist die Konservierung sehr kompliziert.«

»Vielen Dank!«

»Bitte, bitte«, sagte Axt und wandte sich nun endgultig Sonnenberg zu. Michael brachte es nicht fertig, die direkt hinter Sonnenberg stehende Schwarzhaarige aus der Nahe zu betrachten. Er verspurte einen schmerzhaften Stich. Wieder eine verpa?te Gelegenheit. Feigling, dachte er, elender Feigling.

Er drehte sich mit gesenktem Kopf um, wollte rasch zu seinen wartenden Kollegen zuruckkehren und lief direkt in Tobias hinein, der, ohne da? er etwas davon bemerkt hatte, direkt hinter ihm gestanden hatte.

»Huch!« entfuhr es ihm. »Was machst du denn hier?«

»Na, dasselbe wie du, nehme ich an.« Tobias grinste so damlich, da? Micha ihm am liebsten seinen diamantengeschmuckten Vorderzahn eingeschlagen hatte. Aber dann geschah etwas Unfa?bares, und das versetzte ihn in tiefste Depression, die noch tagelang anhalten sollte. Tobias kannte sie.

Wahrend Sonnenberg Axt begru?te und Micha mit halbem Ohr horte, wie der kleine Palaontologe sich vorstellte und Axt zu einem Besuch seines Instituts einlud, mu?te er mitansehen, wie Tobias ihn stehenlie?, auf die dunkelhaarige Schonheit zuging, ihre Hand ergriff und ihr einen Ku? auf die Wange druckte. Auch wenn sie keine Miene dabei verzog, Tobias keinen Millimeter entgegenkam und auch kein Wort sagte, versetzte ihm die blo?e Tatsache, da? diese Vogelscheuche, dieses knochige, kantige, absto?end ha?liche Klappergestell ihre Hand schutteln, ihre Wange kussen durfte, einen solchen Tiefschlag, da? er augenblicklich das Weite suchte und nicht mehr mitbekam, wie Axt Sonnenbergs Einladung annahm und die beiden sich fur Freitag nachmittag verabredeten.

Halluzinationen

Zwei Tage spater ging Micha in die Bibliothek und suchte dort alles uber die Grube Messel zusammen, was er finden konnte. Uberall in den einschlagigen Buchern prangte ihm dieser Kafer entgegen. Er schien so eine Art Paradebeispiel zu sein. Er glich dem Exemplar, das ihm Tobias geschickt und das er sich mittlerweile noch einmal genau angeschaut hatte, tatsachlich in verbluffender Weise. Naturlich konnte man au?er Form und Farbe der Flugeldecken kaum Einzelheiten erkennen, aber Gro?e, Gestalt und metallischer Glanz des Tieres stimmten genau, sogar die unterbrochenen bronzefarbenen Linien waren deutlich zu erkennen.

Als er in drei weiteren schwergewichtigen Werken Bemerkungen uber ein fossiles Seerosengewachs mit dem schonen Namen Barclaya fand, das zu Messeler Zeiten offensichtlich weit verbreitet war und dessen nahe Verwandte noch heute in Sudostasien zu finden waren, schwanden ihm die Sinne, und er umfa?te mit aller Kraft die Tischkante seines Lesepultes, um nicht vom Stuhl zu kippen. Mitten im tiefsten Gefuhlsdurcheinander spurte er plotzlich eine Hand auf der Schulter, so da? er vor Schreck laut aufschrie und sich ringsumher die von ihrer Lekture aufblickenden Gesichter der anderen Bibliotheksbenutzer in seine Richtung drehten.

»Na, na, so schreckhaft?« horte er Claudias tiefe Stimme. Reflexartig klappte er die Bucher zu, die er vor sich auf dem Lesepult ausgebreitet hatte.

»Ach, du hast das!« sagte sie und nahm einen der dicken Walzer in die Hand. »Das hab ich gerade gesucht.«

»Ja, ich ... ich ...« Verzweifelt suchte er nach einer Erklarung.

»Mann, du siehst ja aus, als ob dir der Leibhaftige personlich erschienen ware.« Sie sah ihn besorgt an. »Geht’s dir nicht gut?«

»Doch, doch, alles klar, wirklich. Ich sammle Fossilien, wei?t du.«

»Na, da ist doch nichts dran auszusetzen«, erwiderte sie schmunzelnd.

»Na ja, und da habe ich mir eben diese Bucher zusammengesucht.«

»Ist doch in Ordnung!«

»Und au?erdem mu? ich jetzt weg«, stie? er atemlos hervor, sprang auf und verlie? fluchtartig den

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