mit gewagten Formulierungen und uberraschenden Pointen und kam schlie?lich zum Schlu? seines Vortrages.
»Da wir uns hier in einem zoologischen Institut befinden, habe ich darauf verzichtet, Ihnen die botanischen Schatze der Grube Messel zu prasentieren. Naturlich haben wir auch auf diesem Sektor eine sehr reichhaltige Ausbeute an Fundstucken aufzuweisen. Unsere Palaobotaniker haben Hunderte von Arten aus mindestens 65 Pflanzenfamilien nachweisen konnen. Blatter von Tupfelfarnen, Panzerfruchtpalmen und Aronstabgewachsen, Fruchte von Walnu?baumen und Mondsamengewachsen sowie die Samen, Pollen und Bluten von Riedgrasern und Seerosen wurden in gro?er Zahl gefunden.
Da hier am Institut, wie ich horte, sehr intensiv entomolo-gisch gearbeitet wird, mochte ich aber nicht versaumen, Ihnen zum Ende meines Vortrages wenigstens noch zwei unserer beruhmten Messeler Insekten zu zeigen. Hier ein Russelkafer, eine von etwa funfzehn Kaferarten, die wir entdecken konnten. Und als letztes, gewisserma?en als schillernder Abschlu?, unser Prachtkafer.«
Aus dem Halbdunkel des Zuschauerraums horte man einen unterdruckten Aufschrei der Uberraschung. Axt fing den Ball auf und fugte hinzu: »Kaum zu glauben, da? dieses Stuck bei dem bemerkenswert guten Erhaltungszustand der Strukturfarben 50 Millionen Jahre alt sein soll, finden Sie nicht? Ich danke Ihnen fur ihre Aufmerksamkeit.«
Donnernder Applaus prasselte auf ihn ein, als das Licht wieder anging. Mit Stiften und Fingerknocheln hammerte sein Publikum so heftig auf die holzernen Klapptische, da? man unwillkurlich um die Statik des alten Saales zu furchten begann. Fur Axt war es eine ungeheure Wohltat, die ihm nach all den Problemen und Tiefschlagen der letzten Zeit vorkam wie ein erfrischendes Bad nach einem hei?en, staubigen Arbeitstag in der Wuste.
Ein strahlender Schubert kam auf ihn zu, schuttelte ihm begeistert die Hand und wandte sich dann an das Publikum.
»Vielen Dank Dr. Axt fur Ihren hochinteressanten Vortrag. Ich bin sicher, da? Sie viele neue Freunde fur Ihre Grube Messel gewonnen haben. Es ist ja auch ein einmaliger Glucksfall, da? wir in Deutschland eine so bedeutende Fundstatte haben. Nicht umsonst hat das deutsche Wort >Fossillagerstatte< als Fremdwort Eingang in den angelsachsischen Sprachraum gefunden, nicht wahr? Ich bin sicher, es gibt viele Fragen, Kommentare und Anregungen. Die Diskussion ist eroffnet.«
Axt lachelte dankbar, atmete tief durch und erwartete die Fragen aus dem Publikum. Er war zwar etwas erschopft, aber zum ersten Mal nach langer Zeit wieder zufrieden mit sich. Es war eine gute Idee gewesen, nach Berlin zu reisen. Wahrscheinlich, ohne es zu wollen, hatte ihm Schmaler letztlich doch einen Gefallen getan.
Die Diskussionen nach solchen Vortragen ahnelten sich uberall, folgten zumeist einer bestimmten Dynamik, die mehr mit den internen Auseinandersetzungen und Rangordnungskampfen der jeweiligen Universitat zu tun hatte als mit den eigentlich behandelten wissenschaftlichen Inhalten. Axt wu?te meist schon im voraus, welche Fragen kommen wurden.
Wahrend Studenten sich in der Regel eher schuchtern und naiv nach dem Stand der Auseinandersetzung um die Mulldeponie oder den Problemen mit Grabungsraubern erkundigten, setzten einige der Wissenschaftler zu eigenen kleinen Vortragen an, die nicht eigentlich Fragen oder Kommentare darstellten, sondern eitle und ziemlich unverblumte, mitunter ausgesprochen peinliche Selbstinszenierungen waren, die nichts mit seinem Vortrag zu tun hatten und die nicht personlich zu nehmen, Axt mit der Zeit erst hatte lernen mussen.
Auch hier schien die Diskussion dieselbe Richtung zu nehmen, bis der kleine spitzbartige Mann, der zusammen mit dieser bildhubschen Schwarzhaarigen mitten in seinen historischen Uberblick geplatzt war, die Hand hob und schlie?lich von Schubert, nachdem er ihn eine Weile geflissentlich ubersehen hatte, mit vorwurfsvollem Blick aufgefordert wurde, seinen Beitrag abzuliefern.
»Dr. Sonnenberg!«
Der Erwahnte richtete sich muhsam auf und fragte mit einer uberraschend kraftigen Stimme: »Dr. Axt, mich wurde interessieren, ob Sie in Messel in jungerer Zeit endlich auch Primaten gefunden haben. Sie haben in Ihrem Vortrag nichts davon erwahnt.«
»Ah ... ich verstehe nicht recht.« Axts Diskussionsbedurfnis sackte auf den Nullpunkt, und das erfrischende Bad in der Menge war plotzlich eiskalt. Primaten waren Affen, Affen und Menschen, wenn man es genau nahm. Jetzt hatte er es geschafft, dieses unsagliche Skelett einmal fur eine Stunde zu vergessen, hatte fur kurze Zeit wieder das Gefuhl gespurt, was es hie?, Wissenschaftler zu sein und kein Hampelmann, dessen Arbeit der Lacherlichkeit preisgegeben war, und da war es wieder, prasenter denn je. Er ri? sich zusammen.
»Sie meinen Affen?«
»Ja, naturlich Affen.« Der schmale Brustkorb des Fragestellers wurde von einem heiseren Lachen geschuttelt. »Menschen werden Sie ja wohl kaum gefunden haben, oder?«
Spontane Heiterkeit im Saal. Besonders die Schone an der Seite des Spitzbartigen schien sich geradezu auszuschutten vor Lachen.
Axt wurde rot, versuchte dann aber mitzulachen. Die Sache wuchs ihm uber den Kopf. Er war nicht gewohnt, soviel zu lugen, jedenfalls nicht, wenn es um seine Wissenschaft ging.
Mitte der letzten Woche hatten sie das Ergebnis der Altersbestimmung erhalten. Das Skelett war 48 bis 50 Millionen Jahre alt, wies also dasselbe Alter auf wie alle anderen Fundstucke in der Grube auch, ein Ergebnis, wie es in diesem Fall schlimmer nicht hatte ausfallen konnen.
Damit war die letzte Hoffnung dahin, noch eine einigerma?en vernunftige Erklarung fur die Existenz dieses Gerippes zu finden. Es war und blieb eine einzige unertragliche Verhohnung ihrer Arbeit, ein reales Ding der Unmoglichkeit.
Schmaler schien damit besser fertig zu werden als er. Sein Optimismus war in keiner Weise erschuttert, und er hatte ihm mitgeteilt, er habe bei den Kollegen in Munchen schon eine Kontrolluntersuchung in Auftrag gegeben. In Niedners Labor musse irgend etwas schiefgegangen sein, vielleicht Verunreinigungen oder einfach ein Computerfehler. Das Ergebnis aus Munchen wurde die Sache sicher bald klaren. Die hatten dort die bessere Laborausstattung.
Kontrolluntersuchung hin, Kontrolluntersuchung her, Axt war fertig mit der Welt. Was wurden sie als nachstes finden? Einen fossilisierten Farbfernseher? Einen flachgepre?ten PC?
Einfach lachhaft.
Als sich das Auditorium wieder beruhigt hatte, blieb ihm nichts weiter ubrig, als die Frage zu beantworten.
»Haha, naturlich nicht.«
»Wie Sie vielleicht wissen, sind aus dem etwa gleich alten Ausgrabungsgebiet im Geiseltal in der Nahe von Halle funf Primatenarten bekannt«, fuhr er fort. »Moglicherweise sind diese baumbewohnenden Tiere in Messel eher unterreprasentiert, weil sie nur auf Umwegen in den See gelangen konnten.«
»Ja, das ware naturlich eine plausible Erklarung. Ich danke Ihnen.«
Geschafft! Der Spitzbartige lie? sich wieder auf seinen Sitz fallen, beugte sich kurz zu seiner Begleiterin hinuber und sagte irgend etwas. Sie nickte und warf Axt einen fluchtigen Blick zu.
Schubert ergriff das Wort und erloste ihn.
»So, da ich keine weiteren Wortmeldungen mehr sehe, beende ich hiermit die Diskussion, danke unserem Referenten Herrn Dr. Axt und mochte Sie noch auf unseren Vortrag in der nachsten Woche hinweisen. Ich bin sicher, er wird ebenfalls auf gro?es Interesse sto?en. Prof. Riedl aus Wien wird uber
Sofort entlud sich lautes Stimmengewirr, man horte das Zuruckklappen der Sitzflachen, das Schnappen von Aktentaschenverschlussen. Die Spannung in Axt lie? langsam nach.
Das war wohl noch einmal gut gegangen. Er packte seine Unterlagen zusammen und bereitete sich innerlich auf den Ansturm der personlichen Fragesteller vor, der nun zu erwarten war. Aus den Augenwinkeln sah er sie schon sternformig auf ihn zukommen, aber es waren nicht so viele, wie er befurchtet hatte. Neben zwei, drei Wissenschaftlern, die ihm vielleicht nur die Hand schutteln oder sich verabschieden wollten, naherte sich ein