dann in die Diele hinaus, wo Stefan schon auf sie wartete.

»Tschus, Papa!«

»Tschus, Stefan!« Dann fugte er spontan hinzu. »Wollen wir uns am Wochenende die neue Dinosaurierausstellung in Frankfurt anschauen?«

»Au, ja!« Der Kleine schaute strahlend um die Ecke. Aber da war auch ein wenig Unglauben in seinem Blick. Bisher hatte sich Axt erfolgreich darum gedruckt. Er war ein Rabenvater.

»Versprochen?« fragte Stefan.

»Ja, wir fahren am Sonntag hin. Gro?es Ehrenwort!«

Marlis lachelte ihm noch einmal zu, wahrend sie den nun ununterbrochen quasselnden Jungen aus der Haustur schob.

»Mario war auch schon da. Es mu? wahnsinnig toll sein. Sie haben da eine ganze Herde, sogar mit Kleinen. Und die brullen richtig .«

Die Tur fiel ins Schlo?. Axt kam sich plotzlich schrecklich verlassen vor. Durch das Kuchenfenster verfolgte er, wie Marlis auf ihren Kombi zulief und Stefan neben ihr wild gestikulierend umhersprang. Als sie den Wagen zurucksetzte, winkte sie ihm noch einmal zu. Axt winkte lachelnd zuruck. Die beiden waren alles, was er hatte. Er durfte es auf keinen Fall dazu kommen lassen, da? sein Familienleben unter dieser Sache zu leiden begann. Er mu?te sich zusammenrei?en.

Als er eine halbe Stunde spater in seinem Wagen sa? und die Landstra?e nach Messel entlangfuhr, brachte er wieder mehr Verstandnis fur sich auf. Da war dieses unsagliche Skelett, das unaufhorlich sein Denken beherrschte und ihm nachhaltig die Freude an seiner Arbeit verdorben hatte. Auch in den seltenen Momenten, in denen er einmal nicht daran dachte, schien es ihn fest im Griff zu haben. Alles fra? er in sich hinein. Manchmal wurde diese Last fur ihn alleine einfach zu schwer. Das ware jedem so gegangen. Er konnte mit niemandem daruber reden, ohne fur verruckt erklart zu werden, aber auch sein Schweigen wurde uber kurz oder lang zu keinem anderen Ergebnis fuhren.

Und Schmaler? Schmaler glaubte wohl, mit der Altersbestimmung ware das Problem gelost. Seitdem hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen.

Sicher, auch er klammerte sich an diese vage Aussicht, fieberte dem Ergebnis entgegen, aber im Gegensatz zu seinem Chef hatte er die Ausgrabungsstelle gesehen, hatte selbst mitangepackt, um den vermeintlichen Sensationsfund aus dem vollig unversehrten Schiefer zu holen. Ein Sensationsfund war es ja auch geworden.

Und dann, als ware das alles noch nicht genug, kam dieser Saurierfilm und loste eine Hysterie sondergleichen aus, eine geradezu ekelerregende Explosion hirnlosen Schwachsinns. Dieselben Leute, die sich noch vor ein paar Monaten von seiner Arbeit fasziniert und begeistert gezeigt und ihn mit Fragen bombardiert hatten, erubrigten nun nur noch ein mitleidiges Lacheln fur ihn, so als fasele er fortwahrend von einer Einhandweltumsegelung und schippere doch nur mit einem Paddelboot auf dem nachstgelegenen Baggersee herum, als spiele er sich als ICE-Lokfuhrer auf und steuere in Wirklichkeit nur eine mickrige Modelleisenbahn zwischen den Beinen seines Wohnzimmertisches hindurch. Das war einfach zuviel.

Naturlich hatte er ganz uberzeugende Grunde aufzuzahlen gewu?t, warum die Beschaftigung mit seinen Messeler Fossilien tausendmal aufregender war, als in monatelanger buchstablicher Knochenarbeit die Uberreste eines Tyrannosaurus aus Kreidegestein zu hacken, aber er war sich einfach zu schade fur derlei Erbsenzahlerei.

Neulich ware ihm wirklich fast der Kragen geplatzt. Frau Sagmeister, bei der er seit mehr als zehn Jahren fast taglich die Brotchen holte und die ihn stets mit Herr Doktor anzureden pflegte, strahlte wie ein Honigkuchenpferd, als sie ihn auf die neueste Erweiterung ihrer weit und breit unerreichten Produktpalette aufmerksam machte. Ob es denn nicht an der Zeit ware, da? der Herr Palaologe - sie hatte nach zehn Jahren nicht begriffen, wie das Wort richtig hie? - sich endlich einmal mit richtigen Fossilien beschaftigte, hatte sie gesagt und ihm mit ihren fetten Armen einen Korb mit Semmeln in Dinoform unter die Nase gehalten. Mohnbrotchen in Stegosaurierform, Tyran-nosaurier als Croissants, Brontosaurier aus Laugenbrezelteig. Das war nun wirklich der Gipfel der Geschmacklosigkeit. Wahrscheinlich hatte ihr pickliger Sohn, der bei den Axts mitunter den Rasen mahte, erzahlt, der Herr Doktor wurde sich ja nur mit Spielzeugfossilien beschaftigen. Am liebsten hatte er ihr eine ihrer Dinosemmeln mitten hinein in das dummliche Gesicht, zwischen ihre dick bepuderten, feisten Hangebacken gesteckt, aber er verlie? nur wutschnaubend und ohne ein Wort den Laden und holte seine Fruhstucksbrotchen bei der Konkurrenz. Das war sicherlich nicht gerade das, was man als souverane Reaktion eines uberlegenen Geistes bezeichnen konnte, aber zu schlagfertigen Antworten war er im Augenblick nicht in der Lage.

Diese Brotchen waren nur die Spitze des Eisbergs. Neulich hatte er im Fernsehen sogar Werbung fur Fischfrikadellen in Dinoform gesehen, und selbst die Dinosaurierforscher, ernsthafte Wissenschaftler wie er, pa?ten das Niveau ihrer Namensneuschopfungen neuerdings dem von Waschmittel- und Toilettenreinigerreklamen an. Je gro?er die Skelette wurden, die sie entdeckten, desto dummer wurden die Namen, die sie ihnen gaben. Die Amerikaner taten sich in diesem Zusammenhang besonders hervor. Ein Skelettfragment, das sie in Colorado gefunden hatten, tauften sie Supersaurus, und als sie dann wenig spater in derselben Gegend ein noch gro?eres Tier fanden, blieb ihnen wohl nichts weiter ubrig, als es Ultrasaurus zu nennen. Zweifellos wurde das nachste Hypersaurus hei?en und dann Superultrasaurus und so weiter.

Das Ganze ware ja halb so schlimm, wenn diese Modewelle zu einem tiefer gehenden Interesse, zu einer andauernden Leidenschaft gefuhrt hatte. Aber er befurchtete, da? gerade dieses Uberma?, dieses perverse Ausschlachten um jeden Preis, in kurzer Zeit genau den gegenteiligen Effekt haben wurde. Bei Stefan waren schon deutliche Anzeichen von Uberdru? auszumachen, nachdem sich sein Kinderzimmer innerhalb weniger Wochen in ein Dinosaurierkabinett verwandelt hatte, von dem Axt als Kind nicht einmal zu traumen gewagt hatte. Aber nun kam nicht mehr viel Neues nach und die Dosierung dieser Dinodroge war so hoch, da? das Ganze bald an einer Uberdosis zu kollabieren drohte.

Die Geldflut, die sich plotzlich uber einschlagige Forschungseinrichtungen, Museen, Bibliotheken, uber Schulen und Universitaten ergossen hatte, wurde wieder versiegen und in ein sparliches Tropfeln ubergehen. Alle, die wie er auf mehr als ein Strohfeuer angewiesen waren, wurden sich ihre Gelder fur die elementarsten Anschaffungen wieder erbetteln mussen wie eh und je.

Naturlich hatte dieser an Ekel grenzende Widerwille, den er angesichts der Dinowelle empfand, viel mit seinen sonstigen Problemen zu tun. Sa?e da nicht dieses anachronistische Skelett in seinem Hinterkopf, seine Reaktion ware mit Sicherheit gema?igter, gelassener ausgefallen. Jedenfalls, das nahm er sich ganz fest vor, als er jetzt mit seinem Wagen auf das Grundstuck der Senckenberg-Station in Messel fuhr, sollte sein Sohn nicht darunter leiden mussen. Er war als Junge auch nicht anders gewesen und ware auf dieser Dinosaurierwelle genauso begeistert mitgesurft.

In der kleinen Villa herrschte schon reges Treiben. Kaiser und Lehmke hantierten mit ihren Sandstrahlgeblasen herum und bekamen Axts Ankunft gar nicht mit, Sabine telefonierte und winkte ihm kurz zu, und Max und Rudi kamen gerade die Kellertreppe hoch, was Axt einen kurzen Adrenalinsto? durch den Korper jagte. Sie lie?en ein knappes »Morgen, Chef!« horen, als salutierten sie vor ihrem kommandierenden General.

Axt gru?te zuruck, marschierte dann aber sofort in sein Arbeitszimmer, blatterte kurz den Poststapel durch und fand darin unter anderem die offizielle Einladung fur den Vortrag in Berlin, den er fur Schmaler ubernommen hatte. Er sollte in gut zwei Wochen, am 28. November stattfinden. Er machte sich eine kurze Notiz, da? er noch bei Marlis’ Eltern nachfragen mu?te, ob er die Nacht bei ihnen verbringen konnte. Wenn sie in der Stadt waren, freuten sie sich sicher uber diesen unverhofften Besuch.

»Na, alles klar bei dir?« Sabine lehnte am Turrahmen und schaute zu ihm ins Zimmer.

»Bestens, wie immer. Wieso fragst du?«

»Ach, nur so. Du machst in letzter Zeit manchmal einen hypernervosen Eindruck.«

»Mach ich?« Er lachte kurz auf, vielleicht eine Spur zu laut. »Mir geht’s gut, wirklich. Aber danke, da? du dich um mich sorgst.«

»Ubrigens, Prof. Niedner vom Geologischen Institut hat angerufen. Er bittet um Ruckruf.«

»So? Was wollte er denn?«

»Hat er nicht gesagt, aber er tat sehr geheimnisvoll. Vielleicht wollte er uns ankundigen, da? sie ihre Bohrungen noch einmal wiederholen mussen.«

Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату