»Vielleicht kannst du mal nachschauen«, sagte er vorsichtig. »Ich habe keine Ahnung, was es da noch so fur Literatur gibt.«

»Klar kann ich das.« Sie schaute auf die Uhr. »Aber heute nicht mehr. Am besten, du la?t sie mir hier, dann kummere ich mich in den nachsten Tagen mal darum. Jetzt mu? ich leider weg.«

»Das war toll. Aber ... vielleicht konntest du es fur dich behalten.«

Er wu?te auch nicht, warum er das sagte, aber irgendwie rutschte es ihm heraus, vielleicht weil ihm Tobias’ Brief einfiel.

»Warum das denn?« Sie warf ihm einen spottischen Blick zu. »Komische Geheimniskramerei! Was ist denn an der Pflanze so besonders?« Interessiert musterte sie noch einmal das Herbarblatt.

»Ach, ich wei? auch nicht. Bist du jeden Tag hier? Dann komme ich nachste Woche wieder vorbei. Kannst mich auch anrufen, wenn du etwas herausgefunden hast. Meine Telefonnummer hast du ja, oder?«

»Hmm«, sagte sie nur und schuttelte verwundert den Kopf.

Er stand auf. »Gut, dann bis bald.«

Er ging schnell aus dem Laborraum und fluchte innerlich uber seine elende Schwatzhaftigkeit. Was sollte sie davon halten?

Drei Tage spater klingelte bei ihm zu Hause das Telefon. Claudia war am Apparat. »Du, sag mal, dein Freund hat dir aber einen ganz schonen Baren aufgebunden mit der Slowakei.«

»Wie meinst du das?«

»Na, weil diese Pflanze unmoglich von da stammen kann. Es sei denn, in der ehemaligen CSSR hat in den letzten Jahren neben der politischen auch eine klimatische Wende stattgefunden, und dort sind tropische Verhaltnisse eingekehrt, ohne da? die Wissenschaft es bemerkt hatte.«

»Wieso tropisch?« Ihm fielen die seltsamen Urlaubsfotos wieder ein, die Tobias ihm in der Kneipe gezeigt hatte.

»Weil so etwas Ahnliches wie diese Pflanze nur in Sudostasien vorkommt.«

»Sudostasien?«

»Ja, Burma, Thailand, Philippinen und so.«

»Is ja merkwurdig.«

»In der Tat.« Sie lachte. »Komische Art von Humor hat dein Freund. Au?erdem . Ja, merkwurdig ist das richtige Wort fur diese Pflanze.«

»Wieso?«

»Na, ich bin keine Expertin, was tropische Gewachse angeht, und mit der Literatur aus diesen Landern ist das so eine Sache, aber soweit ich herausfinden konnte, durfte es diese Pflanze eigentlich gar nicht geben.«

»Bitte? Wieso das denn?«

»Die Merkmale stimmen mit keiner der beschriebenen Arten so richtig uberein.«

»Das versteh ich nicht.«

»Ja, ich auch nicht. Ich vermute mal, da? wir hier im Institut nicht die richtige Literatur uber diese Gebiete haben. Aber verwunderlich ist es schon.«

»Vielleicht ist es eine sehr seltene Art. Mein Freund hat so etwas gesagt.«

»Schon moglich.« Ihre Stimme klang skeptisch.

»Na, danke fur deine Muhe. Ich komme in den nachsten Tagen vorbei und hole die Pflanze wieder ab. Dann geb ich dir einen Kaffee aus, okay?«

»Alles klar. Bis bald dann!«

»Ja, bis bald!«

Er legte auf und zundete sich eine Zigarette an. Jetzt lag der Fall wohl klar. Tobias war in den Tropen gewesen. Das erklarte auch die Fotografien, allerdings nicht die im Hochgebirge aufgenommenen und die anderen, die auch aus den Alpen hatten stammen konnen. Oder sah es im Himalaja so aus? Noch viel weniger erklarte es, was, zum Teufel, Tobias sich bei diesem Spiel gedacht hatte. Jetzt, wo er sein Verhalten endgultig durchschaut zu haben glaubte, fand er diesen Typen unmoglich. Wollte er ihn damit auf die Probe stellen und herausfinden, ob er etwas von seinem Fach verstand, oder was sollte das? Es interessierte ihn im Grunde einen Schei?dreck, wo der Kerl seinen Urlaub verbracht hatte, und er wu?te wirklich Besseres mit seiner Zeit anzufangen, als sich in einer Art Puzzle muhsam seine Reiseroute zusammenzureimen.

Er steigerte sich in eine beachtliche Wut und griff schlie?lich zum Telefon, um Tobias mal grundlich die Meinung zu sagen und klarzustellen, da? er ihm kunftig gestohlen bleiben konne. Leider war der nicht zu Hause, so da? sein Zorn verpuffte. Auch in den folgenden Tagen konnte er ihn nicht erreichen. Statt dessen bekam vollig unverdienterma?en Claudia etwas von seinem Arger ab, als er das Herbarblatt abholte und ihr den versprochenen Kaffee spendierte. Auch sie wunderte sich genauso wie er uber diesen seltsamen Humor.

Nach ein paar Tagen hatte er sich so weit beruhigt, da? ihm selbst ein Anruf bei Tobias als zuviel der Ehre erschien. Wenn dieser Spinner es wagen sollte, sich zu melden, wurde er sein blaues Wunder erleben, und wenn nicht, war es auch gut.

Aber Micha horte wochenlang nichts von ihm, so lange, bis sich sein Arger weitgehend verfluchtigt hatte und er der ganzen Angelegenheit wieder amusante Zuge abgewann, wenn er seinen Freunden beim Bier davon erzahlte. Das Herbarblatt verstaubte inzwischen irgendwo in seinen Regalen.

Dinos

»Papa, warum findest du eigentlich keine Saurier?«

Stefan sah seinen Vater mit gro?en blauen Augen an und ruhrte mit dem Loffel in seinen Dino-Cornflakes. Marlis machte sich gerade an der Kaffeemaschine zu schaffen. Sie drehte sich um und warf ihrem Mann einen amusierten Blick zu, so als wurde sie sagen: Ja, genau, warum findest du eigentlich nie Dinos?

Axt legte sein angebissenes Brot auf den Teller, schluckte und trank aus seiner Kaffeetasse. Er schwankte zwischen Belustigung und Arger. Auf diese Frage hatte er nur gewartet.

»In Messel gab es keine Dinosaurier«, sagte er. »Die waren da schon lange ausgestorben. Das wei?t du doch, Stefan.«

Er konnte nicht anders. Der leichte Vorwurf hatte sich einfach eingeschlichen, ohne da? er es wollte. Marlis verzog enttauscht das Gesicht und wandte sich wieder der Kaffeemaschine zu. Auch Stefan machte nicht den Eindruck, als ob ihn diese Antwort zufriedenstellte. Jetzt mu?te er sich vor seinem eigenen Sohn rechtfertigen, warum er nur nach Fischen oder Urpferdchen oder noch unwesentlicheren Dingen grub. Diese Filmfritzen aus Hollywood hatten wirklich ganze Arbeit geleistet.

»Saurier sind aber viel spannender«, beharrte Stefan und lie? seinen Loffel so in den Teller platschen, da? die Milch uber den Kuchentisch spritzte.

»I? anstandig«, ermahnte ihn Marlis und verpa?te ihm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf. Er grinste.

»Die Messeler Fossilien sind auch sehr spannend. Wir haben neulich erst ein riesiges Krokodil gefunden«, log Axt.

»Ooch, Krokodile, die gibt es doch auch im Zoo. Die sind voll langweilig.« Aber ein Schimmer erwachten Interesses glomm in seinen Augen. »Wie gro? ist es denn?«

»Mindestens funf Meter«, antwortete Axt und kam sich bei seinen Lugengeschichten entsetzlich schabig vor. So gro?e Krokodile gab es damals gar nicht, jedenfalls hatten sie noch keines entdeckt.

»Blo? funf Meter?« Stefans Gesicht verzog sich voller Geringschatzung. »Brachiosaurier waren uber zwanzig Meter lang und wogen zig Tonnen.«

Axt fuhlte, wie sein Arm zuckte, als fuhre er ein Eigenleben. Marlis mu?te ihn beobachtet haben, denn sie warf ihm einen warnenden Blick zu und runzelte die Stirn. Er senkte die Augen.

»Komm, mein Kleiner! Wir mussen los«, sagte Marlis, wahrend sie sich die Hande wusch. Sie brachten Stefan immer abwechselnd auf dem Weg zur Arbeit an der Schule vorbei, und heute war sie an der Reihe. »Hast du deine Schulsachen?«

»Liegen drau?en.«

»Na, dann los. Wir sind schon spat dran.«

Der Junge sprang auf und rannte aus der Kuche. Marlis trat neben Axt, druckte ihm einen Ku? auf die Stirn und schaute ihm mit einem fragenden Ausdruck voller Traurigkeit in die Augen, als wollte sie sagen: Was ist nur los mit dir? Es ging ihm durch Mark und Bein.

»Ich bleibe gleich in der Stadt und mache noch ein paar Besorgungen vor der Arbeit«, sagte sie und trat

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