sich an die Menschen gewohnt, bi? fast nie und hielt sich die ganze Zeit in der Nahe von Sergejews Werkstatt auf, weil es dort schon warm war. Sergejew stellte Mobel her und schnitzte Geschirr. Oleg half ihm gern dabei, denn es gefiel ihm, etwas mit eigenen Handen herzustellen. Doch dann kamen eines Nachts die Raubtiere und entfuhrten den Ziegenbock. Marjana fand einige von seinen grunen Haarbuscheln hinterm Friedhof, aber das war dann schon im Fruhjahr. Es konnte auch ein Irrtum sein.
Waitkus hatte damals gesagt: „Die Haustierhaltung merken wir uns fur die Zukunft vor.“
„Um so mehr, als sie nichts einbringt“, erwiderte Egli.
Die Hohle hatte einen Nachteil — das war der breite Eingang. Sie spannten ihr Zelt aus Fischhaut quer vor diesen Eingang und entfachten ein Feuer, denn das nachtliche Viehzeug hatte Angst davor. In der Hohle war es nun fast warm, und Oleg streckte sich wohlig auf dem glatten Steinboden aus. Marjana neben ihm. „Wie mude ich bin“, sagte sie. „Und Angst hatte ich auch.“
„Denkst du, ich nicht?“ bekannte Oleg leise. „Mir war immer, als liefe jemand hinter uns her.“
„Gut, da? ich das nicht wu?te“, sagte Marjana.
Dick war mit dem Spalten der Holzkloben beschaftigt.
Sie hatten das beste Holz mitgenommen, weil es langsam brannte. Thomas offnete den Sack mit den getrockneten Pilzen und brachte einen Dreifu? mit Tiegel und Halterung zum Vorschein.
„Oleg“, sagte er, „gib mir mal Wasser.“
Das Wasser befand sich in einem Kurbisgefa? in Olegs Sack. Thomas hatte ganze zwei Schritte machen mussen, um an das Wasser heranzukommen und Oleg begriff, da? Thomas ihn aus rein erzieherischen Grunden angesprochen hatte. Er wollte keine Befehle erteilen, ihm keinen Vorwurf machen, aber der Junge sollte aufstehn und etwas tun.
Obwohl — was ware das schon fur eine Arbeit. Sie hatten das Zelt gemeinsam aufgestellt, das Feuer brannte. Und ich hab ja auch noch Marjanas Sack geschleppt, dachte Oleg.
Das nachste Mal bin ich nicht so kaputt, dann werd ich mich um die Wirtschaft kummern … Doch Oleg sprach seine Gedanken naturlich nicht aus.
Und noch ehe er sich erheben konnte, streckte Dick seinen langen Arm aus, griff sich Olegs Sack und schob ihn zu Thomas. „La? ihn ausruhn“, sagte er gleichgultig, ohne jede Gefuhlsregung. „Er ist erschopft, hat immerhin fur zwei geschleppt.“
„Na schon, soll er liegenbleiben“, stimmte Thomas zu.
Oleg setzte sich auf. „Was ist denn zu tun?“ fragte „Wenn’s notig ist, tu ich’s immer.“
„Augenblick, Thomas“, lie? sich Marjana vernehmen, „ich mach das Essen selbst. Du wei?t sowieso nicht, wieviel Pilze rein mussen.“
„Ich hatte das Gefuhl“, sagte Dick unvermittelt, „da? uns jemand gefolgt ist.“
„Was denn, du auch?“ fragte Oleg.
In diesem Augenblick horten sie schwere Tritte an der Tur. Dick sturzte zur Armbrust, Thomas beugte sich zum Feuer, bereit, ein brennendes Scheit zu greifen. Die Schritte verstummten, und es wurde ganz still. Man vernahm nur hin und wieder Regentropfen vom Vordach am Zelteingang in die Hohle fallen.
„Da haben wir’s ja grade noch geschafft“, sagte Marjana.
„Still doch!“
Aber hinter dem glanzenden Vorhang aus Fischhaut, auf dem der Widerschein des Feuers tanzte, regte sich nichts.
Dick, den Speer im Anschlag, ging zum Zeltvorhang, bog vorsichtig eine Ecke beiseite und schaute hinaus.
Oleg betrachtete seinen breiten, angespannten Rucken und wartete. Er hatte gleichfalls zum Speer greifen mussen … Aber da war ja das Feuer, und die Jagd Dicks Angelegenheit.
Oleg erkannte das Ungerechte seiner Uberlegung sehr wohl, doch er mu?te so denken — seine Aufgabe bestand in anderen Dingen. Er mu?te sein Augenmerk auf Fragen richten, die fur die ubrigen uninteressant waren. Der Alte setzte seine Hoffnung auf ihn. Viel schlimmer war es da schon, nicht zu wissen, ob man diese Hoffnungen auch erfullte, um so mehr als sie fur den Alten mit den Jahren offenbar immer mehr verbla?ten, ihre Realisierung immer illusorischer wurde.
Marjana machte sich am Feuer zu schaffen, sortierte Pilze und getrocknete gesalzene Beeren. Sie kochte beides stets getrennt und verruhrte es dann. Sie kniete, die Jackenarmel hochgekrempelt; ihre mageren Arme waren voller Schrammen und Narben. Oleg stellte fest, da? Marjana hubsche Arme hatte. Die Schrammen — nun gut, die hatte jeder, das war eine Lappalie.
Thomas betrachtete gleichfalls die flinken Hande Marjanas, beobachtete, wie sich das Madchen in ihr Ritual vertiefte, das fur ihn, den Zugewanderten, keinen Sinn besa?. Er sah die Narben auf ihren Armen, den Preis, den der Wald fur die Wissensvermittlung nahm, und er dachte an den Abgrund, der sich in der Gestalt der Siedlung unaufhaltsam zwischen ihm und diesen Halbwuchsigen auftat, diesen Wilden, die gleich wunderbar auf dem Steinfu?boden einschlafen wurden, ohne sich zuzudecken und die nasse, durchdringende Kalte zu spuren. Der Geruch dieser pflanzenartigen Tintenfische, die sie Pilze nannten, war ihnen kein bi?chen widerwartig, sie hatten sich an ihn gewohnt … Ubrigens rochen hier auch die Kinder anders als zu Hause. Sogar seine eigenen. Selbst die kleine Ruth mit ihren acht Jahren wurde sich, sollte es sie in den Wald verschlagen, wahrscheinlich behaupten, zumindest wurde sie nicht verhungern. Der Wald war zwar ein gefahrlicher, hinterhaltiger Ort, doch er gehorte dazu.
Und wenn er Thomas Hind, Mensch in diesem Wald war, so waren die Kinder kleine Rentiere, Hasen und sogar Wolfe — nicht eben die starksten, dafur aber schlauer als viele andere, sie wurden nicht zugrunde gehen.
Marjana bi? in einen verdachtigen Pilz, quiekte, schleuderte ihn beiseite. Was soll’s, dachte Thomas, die Pilze hier sind alle miteinander das reinste Giftzeug.
Wieder tappte jemand schweren Schritts voruber, wobei er fast den halbdurchsichtigen Vorhang streifte. Diese verdammten Nachtgespenster! Das mussen die Elefanten sein, uberlegte Thomas, sollte mich nicht wundern, wenn auch sie giftig sind … Die jungen Leute waren mude “
obwohl, der Teufel mochte wissen, ob sie’s wirklich waren. Dick machte eher den Eindruck, als ware er bereit, im nachsten Moment einem Schakal durchs Dickicht hinterherzujagen. Oleg war nicht ganz so stabil. Der Bursche ist nicht ubel und auch nicht dumm, nur traktiert Boris ihn ganz umsonst mit seinen idealistischen Theorien. Die Siedlung mu? uberleben, darum geht es. Heute und auch morgen. Keine Ahnung, wann wir anfangen werden, Stadte zu bauen und Satelliten hochzuschicken. In tausend Jahren? Aber auch fur diesen Fall gilt es heute zu uberleben.
Der Vorhang bewegte sich sacht, offenbar hatte der nachtliche Gast beschlossen, ihn herunterzurei?en. Thomas kam Dick zuvor, er nahm ein schwelendes Holzscheit und schaute in die Dammerung, in den Nebel hinaus. Ein dunkler Schatten glitt zuruck, loste sich im grauen Dunst auf, als wurde ein Spa?vogel einen Luftballon zu sich heranziehen.
„Ich wei? ja nicht“, sagte Thomas, „so was hab ich fruher nicht bemerkt.“
„Wir mussen am Feuer Wache halten“, sagte Dick.
„Ich hab kein bi?chen Lust zu schlafen“, sagte Oleg.
„Jetzt eine gute Pistole“, sagte Thomas, „eine wirklich gute, eine automatische.“
„In funf Minuten ist das Essen fertig“, sagte Marjana.
„Eine schmackhafte Suppe. Tante Luisa hat lauter wei?e Pilze fur uns ausgesucht, wirklich nett.“
Ganz weit weg klatschte etwas zu Boden, dann war das leichte Getrappel zahlreicher Fu?e und Gemecker zu horen. Ein vielstimmiges, verzweifeltes Gemecker.
Marjana sprang auf die Beine. „Das sind Ziegenbocke!“
„Deinen haben sie schon gefressen“, sagte Dick. „Wer die wohl jagt?“ „Ein giftiger Elefant“, sagte, unerwartet fur sich selbst, Thomas.
„Wer?“ fragte Marjana erstaunt.
Dick lachte. „Gut, so werden wir ihn nennen“, sagte er.
Das Gemecker ging in einen hohen Schrei uber, einen Kinderschrei. Danach war alles still. Dann wieder Getrappel.
„Ich glaube, die kommen aus dem wei?en Pilz“, sagte Oleg.
„Wer?“ fragte Dick.