„Wir befinden uns jetzt hier“, sagte Thomas.

„Schon mehr als die Halfte des Weges liegt hinter uns.

Ich hatte nicht gedacht, da? wir so schnell vorankommen.“

„Das Wetter ist gut“, sagte Oleg.

„Allem Anschein nach haben wir an dieser Stelle ubernachtet. Es mu?te Spuren geben, aber sie fehlen.“

„Es sind viele Jahre vergangen“, gab Oleg zu bedenken.

„Nun also … die Felsengruppen …“ murmelte Thomas.

„Drei Felsen, nein vier … Ach ja, beinahe hatte ich’s vergessen“, er drehte sich zu Oleg um. „Nimm das hier. Du mu?t es unbedingt bei dir tragen. Ohne dieses Gerat darfst du keinen Schritt ins Raumschiff tun, das wei?t du doch?“

„Ja. Es ist ein Strahlungsmesser, nicht wahr?“

„Genau. Du kennst den Grund, weshalb wir das Schiff schnell verlassen mu?ten. Wegen der starken Strahlung.

Und der Frost tat ein ubriges.“

„Sollten Sie nicht ein bi?chen schlafen?“ fragte Oleg.

„Es fallt Ihnen doch schwer. Wir brechen spater auf.“

„Nein, wir durfen uns nicht aufhalten, das wurde den Tod bedeuten. Ich trage fur euch die Verantwortung … Wo ist blo? das Lager … Wir hatten eigentlich tiefer graben mussen, als wir die Toten beerdigten, aber die Kraft reichte nicht. Und trotzdem, verstehst du, wir hatten sie tiefer vergraben mussen …“

Oleg konnte Thomas, der plotzlich vom Stein kippte, gerade noch auffangen.

Dick kam zuruck, beobachtete vorwurfsvoll, wie Oleg den Kranken in Decken wickelte und Marjana hastig Feuer machte, um die Mixtur aufzuwarmen. Dick schwieg, doch Oleg hatte den Eindruck, als wiederhole er lautlos: ‚Ich hab euch gewarnt.‘ Oleg schraubte die Kappe der Feldflasche ab, roch am Kognak — es war ein herber, nahezu angenehmer Duft, trotzdem empfand er kein Verlangen, davon zu kosten. Das war wohl mehr eine Medizin, als zum Trinken gedacht. Er fuhrte die Flasche vorsichtig an Thomas’ zusammengepre?te Lippen, der Kranke flusterte etwas, das Oleg nicht verstand, schluckte dann aber und sagte aus unerfindlichem Grund „Skal“.

Sie konnten den Weg erst in der Dammerung fortsetzen.

Thomas war wieder zu sich gekommen, sie wickelten ihn in Decken, seinen Sack ubernahm Oleg, die Armbrust Dick. Wegen dieser Unterbrechung liefen sie, oder genauer kraxelten sie nicht langer als zwei Stunden am Hang entlang, der von riesigen, rutschenden Steinen bedeckt war.

Dann wurde die Sicht schlechter, und sie mu?ten sich ein Nachtquartier suchen.

Es wurde wieder kalter. Der Himmel besa? hier eine ganz andere Farbe — war nicht einfach grau, wie im Wald, sondern nahm gegen Abend eine alarmierende Tonung an: rotlich—violett. Das erschreckte sie, denn ein solcher Himmel verhie? nichts Gutes.

Sie verspurten den unwiderstehlichen Drang zu essen, Oleg hatte sogar Steine gekaut. Die unverschamte Ziege aber, kaum da? sie die Sacke von den Schultern in den Schnee geworfen hatten, lief hin und wuhlte mit dem Maul darin, so als hatten die Leute nur eins im Sinn: den Proviant vor ihr zu verstecken.

„Wirst du wohl verschwinden!“ rief Oleg und warf einen Stein nach ihr. Die Ziege sprang meckernd zur Seite.

„La? sie“, sagte Marjana. Sie wirkte vor Erschopfung fast gesichtslos, war irgendwie dunkler geworden nach diesem Tag, ja, kleiner und schmachtiger. „Sie versteht das doch nicht und glaubt, man wurde ihr zu essen geben. Sie braucht’s notiger als wir Menschen.“

All diesem Abend schlug Dick das Madchen.

Sie kauten auf den letzten Fleischbrocken herum, es waren kleine, trockene Stucken. Dazu tranken sie hei?es Wasser. Das Ganze war Gaukelei und keine Mahlzeit, denn man mu?te wenigstens eine Handvoll solcher Fleischhappen zu sich nehmen, um sich halbwegs satt zu fuhlen. Marjana aber steckte ihre Ration heimlich dieser unglucklichen Ziege zu, in dem Glauben, niemand wurde es bemerken. Naturlich bemerkten es alle, au?er Thomas, der einer Ohnmacht nahe war. Oleg schwieg dazu, wollte Marjana spater sagen, da? es dumm sei. Er verstand das Madchen, verstand aber genausogut, da? es unklug war, die Ziege zu futtern, wenn man selbst fast verhungerte.

Dick dagegen schwieg nicht. Er streckte die Hand aus, eine lange Hand mit gro?en, kraftigen Fingern, und versetzte Marjana ubers Feuer hinweg, kurz und heftig, eine Backpfeife.

„Weshalb denn?!“ rief das Madchen erschrocken.

Oleg sturzte sich auf Dick, der jedoch schleuderte ihn mit Leichtigkeit beiseite.

„Idioten“, sagte Dick bose, „ein Haufen Idioten. Wollt ihr euch etwa selber durch Hungern zugrunderichten? Ihr schafft’s nie bis zum Pa?!“

„Es war mein Fleisch“, sagte Marjana mit trockenen, bosen Augen, „ich will nicht essen!“ „Du willst“, erwiderte Dick. „Wir haben fur morgen nur noch zwei Fleischstucken pro Mann, nur zwei! Dabei mussen wir standig bergauf. Ach, weshalb hab ich mich blo? mit euch eingelassen!“

Er griff plotzlich nach einem Messer und warf es, ohne sich umzudrehen, voller Wucht nach der Ziege. Das Messer, ein grunliches Fellbuschel absabelnd, prallte klirrend gegen die Felswand. Dick sprang auf, die Ziege machte einen Satz zur Seite, wobei sich das Seil spannte.

Dick hob das Messer auf, seine Spitze war abgebrochen.

„Idioten“, rief er, „warum will hier denn niemand was begreifen! Wieso begreift keiner, da? wir nie mehr zuruckkehren!“ Dabei sah er weder Marjana an, die zu weinen begonnen hatte, noch Oleg, dem nichts Besseres einfiel, als dem Madchen sein bi?chen Fleisch zuzustecken, als war sie ein kleines Kind. Marjana stie? seine Hand fort, Dick aber breitete hastig seine Decke aus, legte sich der Lange lang drauf und schlo? die Augen. Er schlief ein oder tat zumindest so.

Thomas hustete welk, als hatte er nicht einmal mehr dazu die Kraft.

Oleg erhob sich und wickelte ihn in die Zeltplane. Dann legten er und Marjana sich rechts und links von ihm nieder, um ihn zu warmen. Es schneite. Der Schnee war nicht kalt, bedeckte sie mit einer dicken Schicht. Erst als es finster wurde, kam die Ziege und gesellte sich zu ihnen — sie schien zu verstehen, da? es fur alle zusammen warmer war. Oleg schlief auch in dieser Nacht kaum, wenigstens glaubte er das. Ihm war, als wurde ein Riesenwesen in ihrer Nahe vorbeigehen und das blauliche Morgenlicht verdunkeln. Dann wurde es schlagartig kalter — die Ziege war aufgestanden, um sich Nahrung zu suchen. Oleg aber wurde von einem Floh gebissen; es war unerklarlich, wo er herkam. Vielleicht hatte er in der Kleidung gesteckt, vielleicht auch im Ziegenfell.

Der Schneefloh hatte einen spezifischen, unverwechselbaren Bi?. Nein, keiner konnte ihn verwechseln, und sie hatten bis jetzt auch noch kein Mittel gefunden, sich vor diesen Flohen zu schutzen, kein Gegengift entwickeln konnen. Dieser Bi? war hoffnungslos wie der Tod, man mochte weinen, schreien, Hilfe rufen “

niemand war in der Lage zu helfen.

Das Ganze dauerte nur wenige Stunden. Zuerst kam der Bi? — ein kalter Stich, als ware einem ein Eiszapfen unter die Haut gejagt worden, und dieses eisige Brennen war so scharf, da? man sofort erwachte, vor Schreck und Hilflosigkeit erstarrte. Danach war erstmal nichts, eine ganze Stunde lang. Dann jedoch begann der Mensch allmahlich den Verstand einzubu?en, egal, ob es sich um einen klugen oder dummen, um Kinder oder Greise handelte. Eine halbe Stunde oder eine Stunde lang wurde man von Alptraumen gefangengehalten. Der Alte sagte immer, wenn er ein Mikroskop hatte, wurde er dieser Krankheit mit Leichtigkeit zu Leibe rucken, wurde herausfinden, welcher Teil des Gehirns befallen sei und wie der Erreger auf das Nervensystem wirkte … Der Gestochene jedenfalls fing zu toben an, wurde zum Wilden, der niemanden erkannte, bereit, seinen Nachsten zu erschlagen, ohne sich spater daran zu erinnern.

Als es in der Siedlung den ersten Krankheitsfall dieser Art gegeben hatte, wu?te niemand, was geschehen war.

Und es waren noch einige schlimme Vorfalle notig gewesen, damit man begriff, da? mit diesem Flohfieber, diesen Anfallen nicht gekampft werden konnte. Statt dessen mu?te der Kranke gefesselt und isoliert werden.

Danach galt es abzuwarten, bis der Tobsuchtsanfall voruber und der Betreffende wieder bei Bewu?tsein war.

Das war alles. Spater einmal, wenn man gelernt haben wurde, gegen das Fieber anzukommen, ware das vielleicht anders, jetzt aber gab es nur diesen Ausweg. Und wenn es geschah, da? jemand im Dorf vom

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