die steile Felswand in den Strom hineinragte. Auf den ersten hundertfunfzig oder zweihundert Kilometern mundeten zahlreiche Bache in den Flu?, und einige Besatzungsmitglieder behaupteten steif und fest, an diesen Stellen kleine Tiere zwischen den Felsen am Ufer gesehen zu haben. Der Kommandant hatte fast der Versuchung nachgegeben, seine Leute auf die Jagd zu schicken, entschied sich aber aus zwei Grunden dagegen. Er wollte den Wind ausnutzen, der stetig in die gewunschte Richtung blies, und konnte es kaum noch erwarten, die wunderbare Maschine zu sehen, die er am Ende der Reise zu finden hoffte.

Je langer die Fahrt dauerte, desto mehr staunte Barlennan uber den Wand, der seit mehreren hundert Tagen vollig gleichma?ig wehte. Er veranderte sogar seine Richtung und blies stets an der Felswand entlang, so da? die Segel der Bree standig gefullt waren. Der Kommandant konnte sich schlie?lich kaum noch daran erinnern, wann es zum letzten Mal erforderlich gewesen war, die Segelstellung zu verandern.

Der Flu? wurde nur wenig schmaler, wie es die Flieger vorausgesagt hatten, wahrend seine Tiefe im gleichen Verhaltnis abnahm; seltsamerweise blies der Wind allmahlich heftiger, und die Bree kam trotz starkerer Stromung fast gleichschnell voran.

Endlich kam die Gerollhalde in Sicht, von der Lackland gesprochen hatte. Der Flu? beschrieb an dieser Stelle einen weiten Bogen, so da? sie den Abhang zunachst nur von der Seite sahen – eine gleichformig ansteigende Flache, die im Winkel von etwa zwanzig Grad funfzehn Meter uber dem Flu? begann. Als die Bree naher herankam, stellte der Kommandant fest, da? die Gerollhalde sich unterhalb eines Felseinschnitts facherformig ausbreitete, der kaum funfzig Meter breit sein kannte.

Der Boden des Einschnitts war starker geneigt, schien aber trotzdem besteigbar zu sein; das war erst zu entscheiden, wenn die Besatzung ihn erreichte. Der erste Anschein war ermutigend, denn die Steine im untersten Teil der Gerollhalde waren im Verhaltnis zur Korpergro?e der Meskliniten winzig; falls das Geroll nicht allzu locker lag, konnte der Aufstieg nicht weiter schwierig sein.

Als die Bree nun einen Punkt genau unterhalb des Einschnitts erreichte, schlug der Wind plotzlich um und wehte uberraschend heftig von der Felswand her uber den Strom. Das leise Sauseln, das in den letzten Tagen horbar gewesen war, steigerte sich zu einem donnernden Tosen, und als die Bree unter dem Einschnitt segelte, wurde die Ursache dieses Gerauschs deutlich.

Ein Windsto? traf das Schiff, drohte die Segel von den Masten zu rei?en und hatte die Bree ans gegenuberliegende Ufer geworfen, wenn die Stromung an dieser Stelle schwacher gewesen ware. Gleichzeitig wuchs das Tosen zu einem Orkan an, und das Schiff hatte innerhalb einer Minute mit einem Sturm zu kampfen, der alles ubertraf, was es seit Beginn der Fahrt vom Rand der Welt aus mitgemacht hatte. Zum Gluck dauerte dieser Ansturm nur kurze Zeit; die Segelstellung war bereits zuvor verandert und der neuen Windrichtung angepa?t worden, so da? die Bree rasch aus der Gefahrenzone getrieben wurde, bevor sie auf Grund laufen konnte. Barlennan lie? sofort anlegen, setzte sich mit Lackland in Verbindung und fragte ihn nach einer Erklarung fur dieses Phanomen, denn er hatte es sich in letzter Zeit angewohnt, in schwierigen Fragen auf das uberlegene Wissen der Menschen zu vertrauen. Lackland antwortete prompt und ubergab das Mikrophon einem der Meteorologen, der begeistert ausrief: »Jetzt ist alles klar, Barl! Daran ist nur die schusselformige Vertiefung des Plateaus schuld! Wahrscheinlich stellt sich der Aufstieg doch als leichter heraus, als wir bisher angenommen haben Daran hatten wir schon fruher denken konnen!«

»Woran?« erkundigte der Mesklinit sich einigerma?en verblufft.

»Uns hatte einfallen mussen, wie sich diese Naturerscheinung unter Berucksichtigung von Schwerkraft, Klima und Atmosphare auswirken kann und sogar mu?. Hor gut zu: Auf der sudlichen Halbkugel des Planeten, die du kennst, fallt der Winter mit dem Zeitpunkt zusammen, an dem Mesklin seiner Sonne am nachsten ist. Im Norden ist es dann Sommer, und das Polareis schmilzt – deshalb kommt es in dieser Jahreszeit standig zu heftigen Sturmen. Das wu?ten wir bereits. Die verdampfende Flussigkeit… Methan oder wie du es nennen willst… gibt Warme ab und erwarmt die Luft auf der sudlichen Halbkugel, obwohl ihr dort die Sonne drei oder vier Monate lang nicht seht.

Die Temperatur erreicht vermutlich fast den Siedepunkt von Methan – bei dem dort herrschenden Luftdruck ungefahr minus einhundertfunfundvierzig Grad. Habe ich recht? Wird es im Winter nicht spurbar warmer?«

»Ja«, antwortete Barlennan nur.

»Ausgezeichnet! Die hohere Temperatur bedeutet, da? die Luft mit zunehmender Hohe doch nicht so schnell dunner wird, wie wir bisher angenommen haben. Sie dehnt sich aus, die gesamte Atmosphare dehnt sich aus und fullt dabei die Vertiefung der Hochebene. Dann bewegt der Planet sich weiter, die Entfernung von der Sonne nimmt zu, und die Sturme horen allmahlich auf. Es wird kalter – richtig? – und die Atmosphare zieht sich zusammen; aber in dieser Vertiefung fangt sich eine Menge Luft, deren Druck hoher ist als der in unmittelbarer Umgebung au?erhalb des Massivs. Selbstverstandlich dringt ein Teil davon nach drau?en und stromt von der Felswand weg, wobei er durch die Rotation des Planeten nach links abgelenkt wird – das ist der Wind, der euch so gut geholfen hat. Der Rest stromt an der einzig moglichen Stelle aus und e rzeugt dabei unterhalb des Einschnitts ein teilweises Vakuum, so da? der Wind von beiden Seiten kommen mu?, um es auszufullen. So einfach ist das alles!«

»Ist es dir tatsachlich eingefallen, wahrend wir die Sturmzone durchquert haben?« erkundigte der Kommandant sich trocken.

»Selbstverstandlich – ich habe eben einen Geistesblitz gehabt. Deswegen bin ich davon uberzeugt, da? die Luft dort oben wesentlich dichter als bisher angenommen ist. Siehst du das ein?«

»Nein«, antwortete Barlennan offen. »Aber wenn du es behauptest, glaube ich es sogar. Mich interessieren nur die praktischen Auswirkungen. Eine Kletterei bei diesem Sturm ist bestimmt kein reines Vergnugen.«

»Ihr mu?t es trotzdem versuchen, furchte ich.

Wahrscheinlich nimmt der Wind allmahlich ab, aber es dauert schatzungsweise mehrere Monate, bis die Vertiefung geleert ist. Wenn es sich irgendwie machen la?t, Barl, solltest du gleich aufbrechen.«

Der Kommandant uberlegte. Am Rand wurde ein Sturm dieser Art einen Meskliniten innerhalb weniger Sekunden mit sich fortrei?en; aber am Rand hatte der Sturm nie entstehen konnen, weil die Luft in der Vertiefung nur einen Bruchteil ihres jetzigen Gewichts besessen hatte. Diesen Teil der Erklarung hatte Barlennan inzwischen verstanden.

»Wir beginnen jetzt d en Aufstieg«, sagte er entschlossen und wandte sich ab, um die notigen Anweisungen zu geben.

Die Bree kreuzte den Strom und erreichte das untere Ende der Gerollhalde; dort wurde sie an Land gezogen und sorgfaltig an Pflocken festgemacht.

Funf Besatzungsmitglieder blieben an Bord zuruck; die ubrigen luden ihre Traglasten auf, uberpruften die Verschnurungen und machten sich sofort an den Aufstieg.

Zunachst spurten sie den Wind kaum, denn Barlennan fuhrte seine Gruppe am au?ersten Rand der Sturmzone entlang. Wenige Tage spater erreichten sie den Einschnitt. Der Wind frischte hier etwas auf, und als sie weitere funf Meter zuruckgelegt hatten, begann wieder das donnernde Tosen, das jede Verstandigung unmoglich machte. Barlennan hielt einen Augenblick an, uberzeugte sich davon, da? seine Traglast nicht verrutscht war, und kroch dann in den Sturm hinaus. Die anderen folgten ihm ohne zu zogern. Ihre schlimmsten Befurchtungen bewahrheiteten sich zum Gluck nicht; sie brauchten nicht uber gro?ere Felsbrocken hinwegzuklettern. Der Weg nach oben war zwar ofters versperrt, aber Barlennan und seine Leute konnten diese Hindernisse jedes Mal umgehen. Auf diese Weise kamen sie langsam, aber einigerma?en sicher voran.

Der Sturm erwies sich allerdings als gefahrlicher, als sie ursprunglich gedacht hatten. Einer von Barlennans Leuten bekam Hunger, blieb im Windschatten eines Felsens stehen und wollte seine Traglast aufbinden. Ein Luftwirbel erfa?te in diesem Augenblick den geoffneten Behalter, der wie ein Fallschirm wirkte – der Mesklinit wurde bergab gerissen. Seine Kameraden sahen ihm entsetzt nach; sie wu?ten nur zu gut, da? ein Fall aus zwanzig Zentimeter Hohe in diesen Breiten todlich war, und der Ungluckliche wurde unzahlige Male aus gro?erer Hohe absturzen, bevor er irgendwo liegenblieb. Die Uberlebenden klammerten sich noch starker fest und huteten sich davor, dem Beispiel des Hungrigen zu folgen.

Die Sonne kreuzte immer wieder ihren Pfad und schien durch den Einschnitt, bis sie ihn zur Halfte, zu drei Vierteln und schlie?lich ganz hinter sich gebracht hatten. Der Wind lie? allmahlich nach, und als sie lange Zeit spater die Stelle erreichten, an der die eigentliche Hochebene begann, war die gro?te Gefahr voruber. Barlennan fuhrte seine Gruppe jetzt nach links, bis der Wind so weit abgeflaut war, da? sie unbesorgt anhalten und essen konnten – zum erstenmal seit dreihundert Tagen.

Nach dieser Mahlzeit sah Barlennan sich auf dem Plateau um und stellte fest, da? der Weitermarsch kaum weniger schwierig als der Aufstieg sein wurde, denn uberall lagen riesige Felsbrocken, die umgangen werden mu?ten. Unter diesen Umstanden war es fast unmoglich, eine bestimmte Richtung einzuhalten, da auch die Sonne nicht als Wegweiser dienen konnte; Barlennan wu?te, da? sie sich an den Rand der Klippe wurden halten mussen, aber allein der Gedanke an die Hohe der Felswand e rschreckte ihn. Er konnte sich nicht vorstellen, wie sie die Rakete finden sollten, sobald sie ungefahr die richtige Stelle erreicht hatten, aber dieses Problem wollte er den Fliegern uberlassen – ihnen wurde hoffentlich etwas einfallen.

Nahrung war das nachste Problem. Die mitgebrachten Vorrate wurden lange reichen – vermutlich sogar zwolfhundert Kilometer weit bis zu der Stelle oberhalb des ursprunglichen Landeplatzes der Bree; aber s ie mu?ten irgendwie erganzt werden, sonst wurde die Gruppe verhungern, bevor sie den Ruckweg antreten konnte. Barlennan dachte lange daruber nach, fand schlie?lich eine brauchbare Losung und rief Dondragmer zu sich, um ihm entsprechende Anweisungen zu erteilen.

Der Maat nahm seine Befehle ausdruckslos entgegen, obwohl er bestimmt enttauscht war; dann sammelte er seine Wachen, lie? sie ihre Verpflegung an

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