Dreiundneunzig. »Woruber mochte er sich denn mit uns unterhalten? Uber den idiotischen Grund, weshalb wir immer noch hier sind?«

Bevor Hewlitt antworten oder die geschlechtliche Frage klarstellen konnte, meldete sich Zwei-Einundzwanzig zu Wort: »Bitte entschuldigen Sie das Verhalten unseres Freundes, kleine Sauerstoffatmerin. Seine Manieren lassen aufgrund einer Mischung aus Ungeduld, Langeweile und Heimweh in letzter Zeit etwas zu wunschen ubrig. Normalerweise ist sein Benehmen viel besser… na ja… zumindest etwas besser, als es jetzt der Fall ist. Dennoch bleibt seine Frage bestehen, namlich warum Sie hier sind und was Sie uns zu sagen haben.«

Hewlitt wartete solange, bis die drei die Position gewechselt hatten undnebeneinander im Wasser schwebten, so da? sie ihn direkt ansehen konnten. Der Anblick eines aufgerissenen Rachens mit drei Zahnreihen war ihm schon etwas nahe gegangen, aber die drei ubergro?en, aufgesperrten Mauler, die nur wenige Meter von seinem Kopf entfernt waren, hatten nun eine eher lacherliche als furchterregende Wirkung auf ihn, so da? er sich langsam zu entspannen begann. Nach kurzer Uberlegung fa?te er den Entschlu?, da? es sich wieder einmal um einen jener Augenblicke handelte, in dem man lieber sparsam und vielleicht sogar etwas erfinderisch mit der Wahrheit umgehen sollte.

»Ich wei? selbst nicht so genau, woruber ich reden mochte«, antwortete er. »Das Thema ist mir eigentlich egal. Ich mochte mich lediglich ein bi?chen unterhalten. Ich bin weder Mediziner noch Psychologe, sondern nur ein ehemaliger Patient, der bei einigen Nachforschungen behilflich ist. Da es noch eine Weile dauern kann, bis man mir genehmigen wird, das Krankenhaus zu verlassen, und es nichts Interessantes fur mich zu tun gibt, hat man mir auf meine Bitte hin die Erlaubnis erteilt, die Zeit dafur zu nutzen, so viele Patienten und Klinikmitarbeiter wie moglich kennenzulernen und mich mit ihnen zu unterhalten.

Hier im Orbit Hospital bietet sich einem die fast einmalige Chance, praktisch jede Spezies der Foderation hautnah zu erleben, wahrend ich mich auf der Erde schon glucklich schatzen konnte, zu meinen Lebzeiten uberhaupt nur funf verschiedenen Fremdweltlern zu begegnen. Eine solch gunstige Gelegenheit wollte ich mir einfach nicht entgehen lassen.«

»Aber es gibt uber hundert Chalder auf der Erde«, wandte Zwei-Elf ein. »Sie kummern sich um die Fortbildung der intelligenten Meeressaugetiere, die von Ihren Vorfahren fast ausgerottet worden waren.«

»Sicher, aber die meisten davon sind chalderische Wissenschaftler und deren Familien«, sagte Hewlitt. »Nur einigen wenigen terrestrischen Meeresbiologen ist es erlaubt, sich mit ihnen zu treffen oder zusammenzuarbeiten. Leuten, die wie ich nicht vom Fach sind, ist es aus Grunden des Umweltschutzes strikt verboten, mit ihnen in Kontakt zu treten, wohingegen sich die Patienten hier im Orbit Hospital gegenseitigbesuchen durfen.«

»Dennoch glaube ich, da? ein korperlich so schwaches Wesen wie Sie ein ernsthaftes Risiko eingeht, wenn es sich hier im Hospital uberall umsieht, nur um die Zeit bis zur Entlassung totzuschlagen«, meinte Eins- Dreiundneunzig. »Im Vergleich zu einigen anderen Stationen sind die Umweltbedingungen hier auf der Chalderstation namlich noch ausgesprochen freundlich. Aber mal was anderes: Spielte bei ihrer uberwundenen Krankheit eigentlich auch eine psychologische Komponente eine Rolle?«

»Auf der Erde hielten das die meisten Mediziner sogar fur sehr wahrscheinlich«, entgegnete Hewlitt, dem klar war, da? eine ironische Antwort keinen Sinn gehabt hatte. »Im Orbit Hospital wurde aber die wahre Ursache entdeckt, und es stellte sich heraus, da? sich die terrestrischen Arzte allesamt geirrt hatten. Und was Ihre Befurchtungen angeht, da? ich ein zu gro?es Risiko eingehen wurde, wenn ich mich hier im Hospital umsehe, so kann ich Sie beruhigen, da sich Padre Lioren bereiterklart hat, mir sozusagen als Fremdenfuhrer und Beschutzer in einem zur Seite zu stehen.«

»Das Krankenhaus mu? sich Ihnen gegenuber ziemlich verpflichtet fuhlen, wenn es Ihnen einen solch ungewohnlichen Wunsch erfullt«, merkte Eins-Dreiundneunzig an. »Was fehlte Ihnen denn?«

Hewlitt versuchte immer noch, sich eine angemessene, nicht offenkundige Antwort einfallen zu lassen, als Eins-Dreiundneunzig sagte: »Wahrscheinlich handelte es sich um eins dieser ekligen Fortpflanzungsprobleme, die diese Wesen haben, die keine Eier legen konnen. Ihr seht doch, da? die Terrestrierin es uns nicht sagen will, und au?erdem glaube ich nicht, da? ich es uberhaupt wissen will.«

Eigentlich wollte sich Hewlitt spontan gegen die Vermutung wehren, ein weibliches Wesen zu sein, das keine Eier legen konnte. Da er aber ebensowenig wu?te, ob er es mit weiblichen oder mannlichen Chaldern zu tun hatte, konnte er es ihnen umgekehrt nicht vorwerfen, wenn sie mit ihm denselben Fehler begingen. Also besann er sich eines Besseren undantwortete diplomatisch:

»Meistens ist der ubliche Klatsch und Tratsch hier im Orbit Hospital mit irgendeinem korperlichen oder emotionalen Aspekt des Fortpflanzungsprozesses verbunden. Wenn ich Ihnen die peinlichen Erlebnisse anderer Wesen erzahlen sollte, dann ware ich naturlich weniger zuruckhaltend, als wenn es sich um die eigene Person dreht.«

»Aha, ich furchte, wir verstehen, was Sie uns damit sagen wollen«, meinte Eins-Dreiundneunzig. »Aber jetzt wurden wir lieber erst einmal wissen, wann wir voraussichtlich nach Hause geschickt werden. Haben Sie diesbezuglich irgend etwas vernommen?«

»Nein, leider nicht«, antwortete Hewlitt. »Aber ich werde versuchen, das herauszufinden.«

Das stimmt zumindest, dachte er, wobei er sich an die von der Rhabwar empfangene Warnung erinnerte und an die Notfallubung, die auf seiner ehemaligen Station stattgefunden hatte. Ob es ihm uberhaupt erlaubt war, etwas von seinen Erkenntnissen preiszugeben, stand auf einem ganz anderen Blatt, denn allmahlich befurchtete er, da? es weder einfach noch angenehm sein wurde, die ganze Angelegenheit zu erklaren. Doch stellte sich schon bald heraus, da? die drei Chalder im Grunde nur uber ihre alles geliebte Heimat sprechen wollten.

Zuerst hatte er damit gerechnet, da? der Versuch, ihm die Wasserwelt von Chalderescol zu beschreiben, dasselbe ware, als wurde man einem Farbenblinden einen Sonnenuntergang beschreiben, doch hatte er sich diesbezuglich geirrt. Innerhalb weniger Minuten erfuhr er etwas uber die Freiheit eines Meeres, das, abgesehen von zwei kleinen Gegenden an den Polen, die gesamte Planetenoberflache bedeckte und uber hundertfunfzig Kilometer tief war. Nachdem sich die Chalder auf die oberste Sprosse der evolutionaren Unterwasserleiter ihres Heimatplaneten Chalderescol II hochgekampft und etabliert hatten, war es ihnen gelungen, die Energie der Unterwasservulkane in den Griff zu bekommen und zu nutzen und gleichzeitig mit den naturlichen Ressourcen des vielleicht schonsten Planeten der Foderation hauszuhalten; wenngleich die meisten au?erplanetarischenWesen spezielle druckbestandige Unterwasserfahrzeuge und Sehhilfen benotigten, um diese Welt vor Ort bewundern zu konnen. Schon lange vor der Entdeckung des Feuers waren die Chalder eine hoch zivilisierte Spezies und konnten schon nach den ersten technischen Errungenschaften durch die fast vakuumdichte Atmosphare uber ihren Ozean fliegen und schon bald darauf Weltraumfluge unternehmen. Doch egal wie weit oder haufig diese Wesen auch reisten und aus welchen Beweggrunden sie dies auch immer taten, sie blieben doch stets ein Teil des chalderischen Heimatozeans und mu?ten regelma?ig auf ihren geliebten Planeten zuruckkehren.

Angesichts ihrer gewaltigen Gro?e und des enormen Aufwands an erforderlichen Lebenserhaltungssystemen sowie der extremen Gefahren und Unannehmlichkeiten, denen sich diese Wesen bei Weltraumreisen aussetzten, fragte sich Hewlitt, warum sie nicht einfach zu Hause auf Chalderescol II blieben.

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