»Warum wollen wohl samtliche Spezies, die ansonsten alle sieben Sinne einigerma?en beisammen haben, unbedingt Weltraumreisen unternehmen?« fragte Zwei- Elf zuruck und erinnerte Hewlitt daran, da? er laut nachgedacht haben mu?te. »Falls Sie sich auch noch mit den anderen Patienten auf unserer Station unterhalten wollen, dann ist das eine viel zu umfassende philosophische Frage, als da? wir sie noch vor der Jagd nach dem Mittagessen klaren konnten. Halten Sie sich bitte wieder an meiner Flosse fest…«

Die Begegnung mit den drei Chaldern hatte ihm die Angst vor diesen Unterwassermonstern ganzlich genommen, so da? er sich fortan mit den anderen Patienten auf fast freundschaftlicher Ebene unterhalten konnte, da er deren Gefuhle nun etwas besser verstand, ohne sich dabei zum Narren machen zu mussen. Bei dem schwer erkrankten Patienten, mit dem sich Lioren unterhielt, legte er zwar einen kurzen Zwischenstop ein, sagte aber keinen Ton. Die beiden waren bereits in ein Gesprach vertieft, und er hielt es fur angebrachter, sie dabei nicht zu storen. Dennoch hatte der kurze Aufenthalt neben dem Behandlungsgestell fur ihn ausgereicht, um festzustellen, da? auch dieser Chalder kein Wirt der Virenkreatur gewesenwar, was ebenso fur den Rest der Patienten und das gesamte Pflegepersonal auf dieser Station zutraf.

Als er zum Personalraum zuruckkehren wollte, entdeckte er, da? die Klappe des Essenspenders neben dem Eingang offenstand, und mehr als hundert flache, eiformige Gebilde horizontal durchs Wasser trieben, die alle knapp einen Meter Durchmesser hatten. An der Oberflache waren sie mit unregelma?igen matten Flecken bedeckt, wahrend die Unterseite bla?grau gefarbt war. Eine lange, flache Ruckenflosse verlief von vorn nach hinten, und im au?eren Rand der Schwanzflosse befanden sich drei kreisformige Locher. Als er ein Stuck darauf zuschwamm, um eins dieser Objekte genauer zu begutachten und es versehentlich beruhrte, begann es sich langsam um die eigene Achse zu drehen. Plotzlich tauchte Oberschwester Hredlichli neben ihm auf.

»Was ist das fur ein… ?« begann Hewlitt und hielt inne, als eine formlose illensanische Gliedma?e vorscho?, nach dem Objekt griff und es wieder ausrichtete.

»Sie durfen die Flugbahn nicht verandern«, ermahnte ihn Hredlichli in ihrer gewohnt ungeduldigen Art. »Zu Ihrer Information: Falls Sie es noch nicht wissen sollten, das hier ist ein Behalter mit konzentrierter Nahrung und einer genie?baren Au?enhulle, der durch verborgen angebrachte Hochdruckkapseln mit ungiftigem Gas angetrieben wird. Dadurch wird die Bewegung eines im Wasser fliehenden, nicht empfindungsfahigen Schalentiers simuliert, das im chalderischen Ozean heimisch ist. Man hat herausgefunden, da? bewegliche Nahrung den Appetit der Patienten anregt und sich generell positiv auf das korperliche Wohlbefinden auswirkt. Sollte solch ein Krusten tier-dummy gegen eine Wand oder die Decke knallen und aufspringen, dann wurde das einen ziemlichen Dreck verursachen, den mein Pflegepersonal aus dem Wasser filtern und entfernen mu?te, obgleich wir hier wirklich etwas Wichtigeres zu tun haben. Gehen Sie also bitte wieder in den Personalraum.« Damit wandte sich Hredlichli von Hewlitt ab, blickte in Richtung der Station und verkundete: »Achtung! Ich bitte alle Anwesenden um Ihre Aufmerksamkeit!«Hredlichlis Stimme war sowohl aus den Wandlautsprechern als auch uber Hewlitts Kopfhorer zu vernehmen.

»…die Hauptmahlzeit steht unmittelbar bevor«, fuhr die Oberschwester fort. »Funfzehn Minuten spater folgen die mit blauen Kreisen gekennzeichneten Behalter, in denen sich die fur die Patienten Eins-Dreiundneunzig, Zwei- Elf und Zwei-Funfzehn erforderliche Schonkost befindet. Denken Sie bitte freundlicherweise daran, da? diese Kost ausschlie?lich fur die eben genannten Patienten bestimmt ist. Den in Behandlungsgestellen befindlichen Patienten werden die Mahlzeiten vom Pflegepersonal geliefert, sobald die schwimmfahigen Patienten mit dem Essen fertig sind. Alle Klinikmitarbeiter, die sich noch auf der Station befinden, werden aufgefordert, sofort in den Personalraum zuruckzukehren. Das gilt ubrigens auch fur Sie, Padre Lioren.«

Kurz darauf traf Lioren im Personalraum ein, doch schien er keine Lust zu haben, sich zu unterhalten. Wahrscheinlich war er noch mit seinen Gedanken bei dem kranken Patienten. Hewlitt beobachtete, wie die kunstlichen Krustentiere aus den Essensfahrzeugen herauskatapultiert wurden und durch die Station trudelten und wie sich ihre Anzahl rasch verringerte, weil riesige Schatten mit zuschnappenden Maulern auf sie zuschossen. Hredlichli, die in ihrem Schutzanzug wie eine in Plastik eingewickelte Pflanze wirkte und ziemlich grotesk aussah, trieb naher zu ihm heran. Zum ersten Mal seit seinem Eintreffen auf dieser Station, schien selbst die Oberschwester nichts zu tun zu haben.

Hin und wieder gab es seiner Meinung nach Zeiten, wo man durch das Vortauschen falscher Tatsachen oder das Anbringen von Halbwissen sehr viel mehr erreichen konnte, und deshalb entschlo? er sich, eine etwas riskante Frage zu stellen.

»Die AUGL-Spezies ist au?erhalb ihres Heimatplaneten bestimmt nicht leicht zu transportieren, nicht wahr, Oberschwester Hredlichli? Wie lange wurde eigentlich eine Evakuierung samtlicher Patienten von dieser Station dauern? Und wie wurden Sie ganz personlich die Erfolgsaussichten einer solchem Ma?nahme beurteilen?«In Hredlichlis Schutzanzug zuckten einige der oliggelben, palmwedelahnlichen Blatter, als sie antwortete: »Offensichtlich wissen Sie uber den Notfall schon langst Bescheid. Das erstaunt mich, weil diese Information ausschlie?lich den ranghochsten Offizieren und medizinischen Mitarbeitern vorbehalten ist sowie einer einzigen Oberschwester, namlich mir, weil diese Station bei einer eventuellen Evakuierung spezielle Probleme mit sich bringt. Oder sind Sie etwa mehr als nur ein neugieriger Besucher, und steckt womoglich ein ganz anderer Grund dahinter, weshalb Sie sich mit samtlichen Patienten auf der Station unterhalten wollten?«

Da? die Antwort auf beide Fragen ›ja‹ lautete, war Hewlitt klar, aber das konnte er nicht zugeben, da von der Existenz der Virenkreatur ebenfalls nur einige wenige wu?ten. Eigentlich wollte er von der Oberschwester ein paar genauere Details uber den Notfall erfahren, doch traute er sich nicht mehr, irgendwelche Fragen zu stellen, zumal er so tun mu?te, als wu?te er Bescheid. Aus seiner anfanglichen Neugier wurde allmahlich wachsende Furcht.

»Tut mir leid, Schwester, aber leider ist es mir nicht erlaubt, diese Frage zu beantworten«, versuchte er sich aus der Affare zu ziehen.

Immer mehr Korperteile Hredlichlis zuckten aufgeregt. »Wenn es um meine Station geht, dann kann ich einer solchen Geheimniskramerei nicht zustimmen. Meine Chalder mogen zwar eine gewisse Ubergro?e haben, aber deswegen sind sie noch lange nicht dumm. Selbst in diesem Krankenhaus gibt es noch immer viel zu viele Leute, die korperliche Gro?e mit einem Mangel an Intelligenz gleichsetzen. Sollten meine Patienten erfahren, da? es eine Fehlfunktion im Energieversorgungssystem gibt, durch die das ganze Orbit Hospital bedroht ist, wurden sie trotzdem niemals in Panik geraten. Sie wurden nicht einmal auszubrechen versuchen, wenn man ihnen sagt, da? sie aufgrund ihrer Gro?e und den daraus folgenden Problemen mit ihrer Evakuierung zu den letzten zahlen, die das Krankenhaus verlassen konnen, und da? wegen der knapp bemessenen Zeit nicht genugend Schiffe fur ihre Unterbringung umgerustet werden konnten. Und die giftige und verdunnte Atmosphare au?erhalb dieserStation ware fur diese Wesen genauso todlich wie meine Chloratmosphare oder der Weltraum. Diejenigen Patienten, die zuruckbleiben mu?ten, wurden ihr Schicksal akzeptieren und ganz bestimmt darauf bestehen, da? sich ihr Pflegepersonal retten solle, weil diese Chalder sehr intelligente, hoch sensible und au?erst fursorgliche Monster sind.«

»Das kann ich nur bestatigen«, pflichtete ihr Hewlitt bei, schlie?lich hatte er sich erst kurz zuvor mit allen Chaldern unterhalten und selbst davon uberzeugen konnen. Au?erdem hatte er eben eine beangstigende Bestatigung des Grunds fur die Notfallubungen erhalten, die offenbar uberall stattgefunden hatten, nur nicht auf der Chalderstation. Am meisten beschaftigte ihn allerdings der Gedanke, weshalb er urplotzlich ein fur ihn unerklarliches Mitleid mit dieser optisch so abscheulichen Chloratmerin empfand. »Wahrscheinlich wird es sowieso nicht so weit kommen, Oberschwester«, fugte er hinzu. »Ich denke, da? die Wartungsingenieure dieses Problem noch rechtzeitig in den Griff bekommen.«

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