zu wehren gewu?t. Vielleicht ist es gut, da? du mir nicht schmeichelst. Obwohl ich meine Starken ebenso kenne wie meine Schwachen, denn nur Dummkopfe beanspruchen den Respekt fur sich, der ihrem Amt gebuhrt.«
Cass blickte unsicher in Fidelmas grune Augen und schluckte.
»Einigen wir uns doch darauf«, fuhr sie fort, »da? ich dir nicht sage, wie du im Kampf dein Schwert fuhren sollst, wenn du mir keine Ratschlage gibst, wie ich die Kunst ausuben soll, fur die ich ausgebildet bin.«
Der junge Mann zog ein etwas murrisches Gesicht.
»Ich wollte nur sagen, da? mir die Aufgabe unlosbar erscheint.«
»Nach meiner Erfahrung sehen alle Aufgaben zuerst so aus. Aber wenn du ein Problem losen willst, mu?t du anfangen und darfst nicht auf der Stelle herumtreten. Verandert sich dein Ausgangspunkt, dann andert sich auch deine Sicht auf das Problem.«
»Und womit willst du anfangen?« fragte er rasch im Bemuhen, die Mi?stimmung beizulegen, die noch in Fidelmas scherzhaftem Ton mitschwang.
»Wir fangen damit an, da? wir Bruder Conghus befragen, der die Leiche gefunden hat, dann den Arzt, der sie untersuchte, und schlie?lich unseren zappeligen Verwalter, Bruder Rumann, der die erste Untersuchung leitete. Einer von ihnen oder jeder offenbart uns vielleicht ein Stuckchen des Geheimnisses. Wenn wir alle Stucke, auch die kleinsten, gesammelt haben, dann prufen wir sie sorgfaltig. Vielleicht konnen wir daraus ein Bild zusammensetzen.«
»Klingt einfach.«
»Ist es aber nicht«, widersprach sie sofort. »Denke daran, da? jede Kleinigkeit hilft. Behalte sie im Gedachtnis, bis du sie verwenden kannst. Doch jetzt, meine ich, werde ich erst einmal schlafen, bevor .«
Als sie sich erhob, zerri? ein durchdringender Schreckensschrei die Stille des Gastehauses.
Kapitel 5
Als der schrille Schrei zum zweitenmal ertonte, war Fidelma bereits auf den Gang hinausgesturmt, den sie nun mit einer Schnelligkeit entlanglief, die den jungen Krieger uberraschte, der ihr dicht auf den Fersen folgte. Der Laut war aus dem Erdgescho? gekommen, er klang wie das Schreien einer Frau in den Wehen.
Am Fu? der Treppe stie? Fidelma beinahe mit Bruder Rumann zusammen. Auch er eilte dorthin, wo der Schrei herkam, und wortlos liefen Fidelma und Cass dem korpulenten Verwalter der Abtei nach, den unteren Gang entlang an vielen Turen vorbei.
Plotzlich blieben die drei stehen, verblufft von dem leisen beruhigenden Summen, das durch die Stille drang.
Bruder Rumann stie? eine Tur auf. Fidelma und Cass spahten uber seine Schulter.
Drinnen sa? Schwester Eisten auf einem Bett und hielt einen der schwarzhaarigen Jungen aus Rae na Scrine in den Armen. Es war Cosrach, der jungere der beiden Knaben. Schwester Eisten summte ihm ein Wiegenlied vor. Der Knabe lag leise schluchzend in ihren Armen. Schwester Eisten schien die drei an der Tur nicht wahrzunehmen.
Es war der altere Bruder, der andere schwarzhaarige Junge, der hinter Schwester Eisten stand und nun aufsah und ihnen sein finsteres Gesicht zuwandte. Er drangte die drei unmerklich zur Tur hinaus, folgte ihnen und schlo? die Tur hinter sich. Trotzig reckte er das Kinn vor, offenbar verargert uber ihr Eindringen.
»Wir horten einen Schrei, Junge«, fuhr ihn Bruder Rumann an.
»Es war mein Bruder, der geschrien hat«, antwortete der Junge murrisch. »Er hatte einen Alptraum, weiter nichts. Jetzt ist alles in Ordnung. Schwester Eisten hat ihn gehort und ihn wieder beruhigt.«
Fidelma beugte sich vor, lachelte ihn an und versuchte sich an seinen Namen zu erinnern.
»Na, ein Segen ... du hei?t Cetach, nicht wahr?«
»Ja.« Sein Ton war knurrig, beinahe abweisend.
»Sehr gut, Cetach. Dein Bruder und du, ihr habt Schlimmes erlebt. Aber jetzt ist es vorbei. Ihr braucht euch keine Sorgen mehr zu machen.«
»Ich mache mir keine Sorgen«, erwiderte der Junge verachtlich. »Aber mein Bruder ist kleiner als ich. Er kann nichts fur seine Traume.«
Fidelma hatte den Eindruck, da? sie zu einem Mann sprache und nicht zu einem Jungen. Cetach wirkte sehr reif fur sein Alter.
»Naturlich nicht«, gab sie ihm recht. »Du mu?t deinem Bruder klarmachen, da? ihr nun unter Freunden seid, die fur euch sorgen.«
Der Junge wartete einen Augenblick und sagte dann: »Darf ich jetzt zu meinem Bruder zuruck?«
Die beiden Jungen wurden Zeit brauchen, um uber ihre Erlebnisse hinwegzukommen, dachte Fidelma. Sie lachelte wieder, diesmal etwas unaufrichtig, und nickte zustimmend.
Als sich die Zimmertur hinter dem Jungen schlo?, schnalzte Bruder Rumann besorgt mit der Zunge, ehe er den Korridor entlang zuruckeilte.
Fidelma ging langsam zur Treppe zuruck. Cass pa?te seinen Gang ihren kurzeren Schritten an.
»Arme Kinder«, bemerkte Cass. »Ich hoffe, Salbach findet diesen Intat bald und bestraft ihn und seine Leute.«
Fidelma nickte zerstreut.
»Wenigstens scheint die Not des Jungen bewirkt zu haben, da? Schwester Eisten wieder auf etwas reagiert. Um sie habe ich mir mehr Sorgen gemacht als um die Kinder. In ihrem Alter hat man noch die Kraft, uber so etwas hinwegzukommen. Aber Eisten nahm den Tod des Babys heute morgen sehr schwer.«
»Es gab nichts, was sie fur den Saugling hatte tun konnen«, erwiderte Cass. »Selbst wenn wir nicht gezwungen gewesen waren, die Nacht im Freien zu verbringen, ware das Kind sicher gestorben. Ich habe gesehen, da? es die Gelbe Pest hatte.«
Der Ruf der Glocke zur Vesper, der sechsten kanonischen Stunde, lie? Fidelma widerwillig aus ihrem tiefen Schlaf erwachen. Sie lauschte dem Gelaut und wu?te, da? es zu spat war, sich den Brudern und Schwestern in der Abteikirche anzuschlie?en, also zwang sie sich, aufzustehen und das ubliche Gebet zu sprechen. Meist wurden die Rituale der Kirche in den funf Konigreichen noch auf Griechisch vollzogen, der Sprache des Glaubens, in der die Heiligen Schrift abgefa?t war. Viele benutzten jetzt aber schon das Lateinische, die Sprache Roms. Latein loste Griechisch als die Sprache der Kirche ab. Fidelma bereitete es keine Muhe, von einer Sprache in die andere zu wechseln, denn sie konnte ebensogut Latein wie Griechisch und ein wenig Hebraisch. Au?erdem beherrschte sie neben ihrer Muttersprache noch die Sprachen der Briten und der Sachsen.
Nachdem sie ihrer religiosen Pflicht genugt hatte, ging Fidelma zu einer Waschschussel, die auf dem Tisch in ihrem Zimmer stand, und wusch sich rasch mit dem fast eiskalten Wasser. Sie trocknete sich kraftig ab, bevor sie sich ankleidete. Als sie fertig war, trat sie auf den Gang hinaus. Die Tur von Cass’ Zimmer stand offen, und es war leer, also ging sie den Gang entlang, der nun nach Einbruch der Dunkelheit von ein paar flackernden Kerzen erhellt wurde, die in abgeschirmten Haltern an den Steinwanden steckten.
»Ach, Schwester Fidelma.« Es war die schnaufende Gestalt von Bruder Rumann, die aus der Dunkelheit auftauchte, als sie die Treppe zur Haupthalle im Erdgescho? des Gastehauses hinabstieg. »Hast du die Vesper verpa?t?«
»Ich habe zu lange geschlafen und wurde von der Glocke geweckt. Ich habe die Anrufung des Herrn in meinem Zimmer gebetet.«
Sie bi? sich auf die Lippen. So entschuldigend hatte es nicht klingen sollen, doch glaubte sie, einen tadelnden Ton aus den Worten des Verwalters herausgehort zu haben.
Bruder Rumanns breites Gesicht verzog sich zu einem Lacheln, ob aus Geringschatzung oder aus Mitgefuhl, das wu?te sie nicht.
»Dein Begleiter war in der Abteikirche und ist wahrscheinlich jetzt auf dem Wege zum
»Ich ware dir dankbar dafur, Bruder«, antwortete Fidelma.