den er zuvor von der Minos-Tochter Ariadne erhalten hatte.

Mag schon diese Episode, zumal da sie denn doch - siehe Schwab - kein richtiges Happy End hat, nachdenklich stimmen, so brachten jungere Ausgrabungen die kretische Idylle endgultig ins Wanken. 1979 legten Archaologen einen Kultbau in Anemospilia bei Archanes frei, vierzig Kilometer sudlich von Knossos. Das Gebaude scheint kurz nach einem Menschenopfer durch ein Erdbeben eingesturzt zu sein.

Das Dach begrub einen auf dem Altar liegenden jungen Mann, eine Priesterin und einen Priester sowie einen Diener, der das mit dem Blut des Getoteten gefullte Gefa? trug. In Knossos fand man zudem Kerb- und Schabspuren auf den Knochen von vier Kindern, die auf rituellen Kannibalismus hindeuten.

Es gibt sie also doch - und wen konnte das wundern? -: die andere, die dunkle Seite der minoischen Kultur.

Vielleicht wird sich ja auch der Griff des griechischen Festlands nach dem immer wieder aufbluhenden minoischen Kreta einmal als nicht mehr so friedlich erweisen, wie er gern dargestellt wird. Denn dort sitzen die Achaer, die seit 2000 v. Chr. zusammen mit anderen indoeuropaischen Griechen auf die Halbinsel eingewandert waren und sich in Mykene niedergelassen haben. Sie sind Krieger, haben bereits seit Langem zur Insel hinubergeschielt. Und dass eine Kultur, die von einer anderen stark geformt und beeinflusst wurde, diese Leit- und Mutterkultur nun zu Fall bringt, hat schon a priori etwas Kannibalisches.

Vorerst aber gilt die These noch, dass es den (minoisch vorinfizierten) Mykenern nicht etwa mit einer Invasion, sondern gleichsam auf einer Art Sonntagsspaziergang gelungen sei, Kreta in Besitz zu nehmen. Kampfma?nahmen oder Zerstorungen sollen dabei keine Rolle gespielt haben. Die Vernichtung der Flotte wird einer weiteren Naturkatastrophe - einem Erdbeben mit nachfolgender Flutwelle um 1400 v. Chr. - zugeschrieben.

Seit dem 17. Jahrhundert v. Chr. hatte sich auf dem griechischen Festland, in der Argolis im Nordosten der Peloponnes, der Furstensitz Mykene als neuer Machtfaktor etabliert. Homer hat ihn als das »goldreiche Mykene« besungen. Es wurde beherrscht, was allerdings durch keinerlei Fakten beglaubigt ist, von der unheilvollen Dynastie der Atriden, deren Kapitalverbrechen die Dichter aller Zeiten zu Hochstleistungen im Fach der Tragodie angetrieben haben. Ihr mythologischer Fuhrer wei? ein Lied davon zu singen.

1841 lasst der gerade neu entstandene griechische Staat die weitgehend verschuttete Akropolis von Mykene ausgraben, und das majestatische, aus riesigen Quadern errichtete Lowentor feiert Wiederauferstehung. 1876 fordert der Troja-Triumphator Heinrich Schliemann in einem Steinkreis hinter dem Lowentor sechs Schachtgraber zutage, die bis zu vier Meter tief in den weichen Fels gegraben wurden. Er sto?t auf 19 Skelette von Mannern, Frauen und Kindern.

Die Grabbeigaben sind von atemberaubender Pracht: Goldmasken auf den Gesichtern der Manner, kostbare Halsketten und funkelnde Diademe als Zierde der Frauen, weiterer luxurioser Schmuck, zahlreiche Waffen mit kostbaren Tauschierungen, insgesamt uber 14 Kilogramm Gold.

Schliemann ist uberzeugt davon, die Graber der Atriden gefunden zu haben. In einer der aus feinem Goldblech getriebenen Totenmasken, geborgen im funften Schachtgrab, glaubt er die Zuge Agamemnons zu erkennen, der die Griechen nach Troja gefuhrt haben soll. Aber es wird sich erweisen, dass sie einem mykenischen Fursten zuzuordnen ist, der bereits um 1500 v. Chr. lebte, also deutlich vor der Belagerung Trojas und dem Fall der Stadt Ende des 13. Jahrhunderts.

Monumentale Burgen und Palaste wie in Mykene, Pylos und Tiryns, fur deren Bau eine erhebliche Anzahl an Sklaven Voraussetzung war, bildeten die Zentren der mykenischen Kultur. Ihr Wesen wird nicht nur fassbar in den golduberladenen Schachtgrabern, sondern auch in den spater angelegten Rundbauten der Kuppelgraber.

Beruhmtestes Beispiel ist das »Schatzhaus des Atreus« in Mykene. Wie das Lowentor stammt auch dieses Konigsgrab aus der Spatphase der mykenischen Kultur um 1250 v. Chr. Ein langer, aus wohlgeschichteten Quadern bestehender Gang fuhrt zu einer funf Meter hohen Pforte mit einem Sturz aus zwei gewaltigen, uber hundert Tonnen schweren Blocken. Ein 14,5 Meter hohes Kuppelgewolbe beherrscht den Innenraum der kreisformigen Begrabniskammer. Moglicherweise enthielten diese Rundbauten, sogenannte »Tholoi«, ahnliche Schatze wie die Schachtgraber, die aber bereits in der Antike geplundert wurden.

An fast 400 Fundstellen in Griechenland sind bronzezeitliche Relikte entdeckt worden, die als »mykenisch« gelten konnen. Sie verweisen auf eine uberragende Handwerkskunst, die sich auch an Materialien bewahrt, welche im eigenen Land nicht vorhanden sind: Elfenbein, Kupfer fur die Herstellung von Bronze, Gold, Glasfluss, Edelsteine und Halbedelsteine. Lapislazuli ist beliebt, Bernstein, der aus Jutland kommt, noch begehrter. Auch er findet sich in den Schachtgrabern.

Das Leben der Herrscher in den weitgehend autonomen Furstentumern des mykenischen Griechenland, die ihren Reichtum auch aus Textilmanufakturen sowie aus der Oliven- und Olproduktion bezogen, bestand aus Krieg, Jagd und hofischen Festlichkeiten. Streitwagen und Langschwert waren die bevorzugten Waffen. Ihre Sicherheit sollten gigantische Befestigungsanlagen garantieren, die in immer neuen Bauphasen nachgerustet wurden - neben den eher schlicht gehaltenen Palasten auffalligster Gegensatz zur Architektur der Insel.

Aber der Glanz der minoisch-mykenischen Kultur wird schwacher, je weiter das Jahrtausend vorruckt. Dafur beginnt weiter im Osten der Stern der Phonizier zu strahlen. Nach dem Zusammenbruch der kretisch-mykenischen Herrschaft ubernehmen sie von ihren Stadtstaaten Tyros, Sidon und Byblos aus den Mittelmeerhandel. Die wichtigsten Ausfuhrguter sind Glaswaren, purpurgefarbte Gewebe, Zedernholz und fabrikma?ig hergestellte Metallarbeiten.

Ihr folgenreichster Exportartikel ist aber eindeutig nicht materieller Art: das phonizische Alphabet, das sich im Laufe des zweiten Jahrtausends v. Chr. aus der Kommunikation mit den Schriftsystemen der benachbarten Hochkulturen herauskristallisiert und spater von den Griechen ubernommen wird. Aus dem griechischen bildet sich dann das lateinische Alphabet, die Grundlage unserer heutigen Antiqua.

Als die Assyrer im achten Jahrhundert v. Chr. die phonizischen Mutterstadte unterwerfen, wird das westliche Mittelmeer zum Kerngebiet. Unter den Kolonien der Phonizier ragt Karthago (»Neustadt«) hervor. 814 v. Chr. gegrundet, besitzt es seit 650 v. Chr. eine eigene Flotte und eigene Heere und wird Schutzmacht fur die phonizischen Neugrundungen. In Karthago gilt eine aristokratische Verfassung. Den obersten Gottern werden auch Menschen geopfert.

Mit dem Aufstieg Karthagos ist ein Grundkonflikt vorgezeichnet, der im dritten und zweiten Jahrhundert v. Chr. in den Punischen Kriegen des romischen Imperiums eskaliert.

  

6. Weltreise anno 1500 v. Chr.

Egal, ob Sie Pferde mogen oder nicht, Sie werden einige kennenlernen in diesem Buch. Die Geschichte kommt nicht an ihnen vorbei. Dieses ist aus Bronze. Es ist am Himmel unterwegs und zieht die Sonne. Inzwischen durfte es fast dreieinhalb Jahrtausende alt sein. 1902 wurde es im Moor von Trundholm in Danemark gefunden. Es ist die alteste Version der Vorstellung, dass die Reise der Sonne uber den Tages- und Nachthimmel mithilfe eines gottlichen Pferdes vonstattengeht. Und es ist eines der schonsten Beispiele fur die Religion des bronzezeitlichen Nordens, die eine Sonnenreligion war.

Eine solche Himmelsfahrt konnen wir Ihnen naturlich nicht bieten. Wir bieten Ihnen stattdessen etwas sehr Irdisches an: eine Weltreise zur Bronzezeit. Wir nehmen die runde Zahl 1500 v. Chr. als Zeitmarke und schicken Sie einmal um den Globus. Sie durfen ein echtes Kontrastprogramm erwarten. Es geht, wie gesagt, ausgesprochen irdisch zu.

Beginnen wir im Fernen Osten. Wenn Sie den Indus passieren, konnen Sie noch die letzten Lebenszeichen einer Hochkultur entdecken, die sich soeben aus der Geschichte verabschiedet hat. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts, wenn die Eisenbahnlinie von Lahore nach Karatschi gebaut wird, werden englische Ingenieure sie wiederentdecken.

Die nach dem Stadtchen Harappa benannte Zivilisation entfaltete sich im Einzugsgebiet des Indus und seiner Nebenflusse. Wie in Mesopotamien und Agypten war das Uberleben abhangig von regelma?igen Uberflutungen sowie von Brunnen, Kanalen und Bewasserungsanlagen, die das Wasser fur den taglichen Bedarf, fur die wirtschaftliche Nutzung und ein ausgeklugeltes Hygiene-System verfugbar machten. Schon in der fruhen Harappa-

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