Die ersten seiner Nach-Denker, die das Leuchtsignal auffingen und ihrerseits weitertrugen, gingen als ionische Naturphilosophen oder auch als sogenannte Vorsokratiker in die Geschichte ein.
Allesamt waren sie keine Wolkenschieber, sondern Praktiker, Mechaniker, Techniker, Erfinder. Uber Anaximander, der den unverganglichen Urstoff hinter der Verganglichkeit, der Wandlungsfahigkeit der Natur suchte, und Anaximenes, der ihn in der Luft gefunden zu haben glaubte, spannt sich die Kette der Denker bis zu Pythagoras, der in den Zahlen die Bausteine und das eigentliche Geheimnis der Welt erkennt, zu Parmenides, der uber Schein und Sein philosophiert, und schlie?lich zu Heraklit, der aus dem Urfeuer des Logos, der Weltvernunft, die Vielfalt und den Wettstreit der Dinge hervorgehen sieht.
»Der Dunkle« wurde Heraklit aus dem ionischen Ephesus genannt, und entsprechend verratselte Zitate werden ihm zugeschrieben: »Zeit ist ein brettspielendes Kind, Konigsmacht die eines Kindes.« Dass alles flie?t
Ihnen allen wies Thales den Weg - und ermunterte sie, selber unterwegs zu sein.
So wie Jahrtausende spater auf europaischem Boden die »Grand Tour« die Bildungshungrigen aus dem Norden zu den klassischen Statten des Sudens fuhrte, so zog es die fruhen griechischen Denker in die Kulturoasen der damals bekannten Welt: nach Agypten vor allem, wo Thales die Hohe der Pyramiden nach der Lange ihres Schattens berechnet haben soll, aber mehr und mehr auch in den babylonisch-phonizischen Nahen Osten.
Reisende bringen in der Regel Souvenirs mit nach Hause. Bei den Vorsokratikern waren es sprachliche, biologische, geografische, mathematische, astronomische Kenntnisse. Die erste Karte der bewohnten Erde, die Einteilung des Sonnenjahres in 365 Tage, die Idee der Sonnenuhr und andere Kulturguter fanden auf diese Weise den Weg nach Westen. Und die erste wissenschaftliche Erklarung einer Sonnenfinsternis, der vom 28. Mai 585 v. Chr., durch Thales von Milet, woraus man spater eine »Vorhersage« machte.
Die Heimatstadt der Naturphilosophen Thales, Anaximander und Anaximenes, im Grenzbereich griechischer und persischer Einflussnahme, unterschiedlicher Rassen, Sprachen und Religionen gelegen, hatte sich seit Beginn des ersten Jahrtausends v. Chr. zu einer reichen und machtigen Handelsmetropole entwickelt. Hier endeten die gro?en Karawanenstra?en, die aus dem Innern des asiatischen Kontinents kamen, hier wurden die von dort ankommenden Waren auf Schiffe in Richtung Westen verladen. Wer zur Zeit des Thales von Hellas sprach, meinte in der Regel dessen reichste Stadt: Milet.
Athen musste noch warten, bis es geschichtstrachtig wurde. Und die Akropolis, wie Leo von Klenze sie malte, war noch gar nicht gebaut.
Dafur war inzwischen das gesamte Mittelmeer in Bewegung geraten. Es wurde zum Schauplatz einer gewaltigen friedlichen Mobilmachung. Und das Musterbeispiel Milet wurde vervielfaltigt. Im Zuge einer weitgespannten Expeditions- und Expansionswelle grundeten die Griechen zwischen dem achten und dem sechsten Jahrhundert v. Chr. an den Mittelmeerkusten und am Schwarzen Meer fast 200 neue Kolonien. Manche von ihnen wurden erfolgreicher als ihre Mutterstadte.
Zu den ersten neuen Stutzpunkten gehorte das 733 v. Chr. auf Sizilien gegrundete Syrakus, ein Ableger von Korinth. In Suditalien errichteten die Griechen ein so dichtes Netz von Neuansiedlungen, dass die Region spater
Im Osten erreichten die Siedler das Schwarze Meer, breiteten sich von Byzanz bis nach Kertsch auf der Halbinsel Krim und Trabzon, das alte
Ubervolkerung und Landnot im griechischen Kernland und auf den Inseln, aber auch handfeste Handelsinteressen waren die wesentlichen Ursachen der Kolonisation. Flucht aus der Armut, der Versuch, eine neue Existenz aufzubauen, aber auch Neugier, Abenteuerlust und andere individuelle Motive kamen hinzu. Im Ergebnis milderte die Auswanderungswelle nicht nur die sozialen Probleme im Mutterland, sie schenkte den Griechen auch einen neuen, selbstbewussteren Blick auf die mediterrane Welt und vermittelte ihnen ein starkeres Gemeinschaftsgefuhl.
Aus Zerstreuung wuchs Zusammenhalt. Aus Vielfalt Einheit. Den besten Kommentar zur neuen geografischen Lage gab spater - wer sonst? - Platon: Die Griechen in den Kustenstadten, befand er, sa?en nun wie Frosche um einen Teich, ihren Teich.
Er war eine Art Ersatz fur den fehlenden Flachenstaat, den Griechenland im Altertum nicht bilden konnte. Die zerkluftete, gebirgige Landschaft, in der gro?e Flusssysteme fehlten, war einer Reichsbildung hinderlich. Verbindend und Zusammenhang stiftend waren nur die gemeinsame Sprache und Schrift sowie Gotter- und Sagenwelt einschlie?lich der Befragung des Orakels neben sportlichen und kunstlerischen Wettbewerben. Dazu gehorten insbesondere die nach ihrem Austragungsort Olympia auf der Peloponnes benannten gesamtgriechischen Spiele, die zu Ehren des Zeus seit 776 v. Chr. im Vierjahresrhythmus stattfanden, und regelma?ige Dionysos-Feste, gewidmet dem Gott des Weins, der Fruchtbarkeit und der Ekstase.
Dieses Gefuhl einer uberregionalen Gemeinsamkeit wurde nach au?en durch die Bezeichnung »Hellenen« bekundet - in bewusster Abgrenzung zu allen Volkern, die ihre Sprache nicht beherrschten und von den Griechen »Barbaren« (Plapperer) genannt wurden.
Das spezifisch griechische Modell des Zusammenlebens, den topografischen Gegebenheiten des Landes perfekt angepasst, war die
Die mittleren bis gro?eren Poleis hatten eine durchschnittliche Ausdehnung von funfzig bis hundert Quadratkilometern und rund 2000 bis 3000 Einwohner, die in soziale Gruppen unterteilt waren. Politisches Mitspracherecht besa?en nur Vollburger (erwachsene freie Manner, die sich selbst ausrusten konnten), nicht jedoch Frauen, Sklaven und Zuwanderer
Hunderte dieser Kleinstaaten bildeten sich bis zur Mitte des ersten Jahrtausends v. Chr. in Griechenland heraus. Auch auf den Inseln und in den griechischen Kolonien rund um das Mittelmeer fasste das Erfolgsmodell Fu?. Das Nebeneinander der um ihre Selbstandigkeit ringenden Poleis war durch Rivalitaten und Machtkampfe, aber auch durch Allianzen und Zweckbundnisse gepragt.
Auch wenn ihre Ideale nur in wenigen Stadtstaaten - vor allem in Athen - verwirklicht wurden, ist das Wort Polis fast zu einem magischen Begriff geworden. Es liegt unserem Wort »Politik« zugrunde, steht fur die Urzelle der Demokratie und wurde fast zu einem Synonym fur das antike Griechenland.
Athen war nicht nur der machtigste, sondern nach Sparta auch der territorial gro?te Stadtstaat mit einer Flache von circa 2600 Quadratkilometern. Die Stadt liegt auf der Halbinsel Attika in einer Ebene, die zum Meer hin offen und von Gebirgszugen umgeben ist. Die Lage bot eine ideale Voraussetzung fur die Errichtung eines Machtzentrums: Von einem befestigten Palast auf der Akropolis aus - einer Vorstufe der spateren »klassischen« Bebauung - kontrollierten die Herrscher die Stadt und das Umland, zu dem nicht nur die gesamte Halbinsel Attika, sondern auch die Insel Salamis gehorte. Die fruchtbaren Ebenen Attikas waren Hauptanbaugebiete fur die wichtigsten landwirtschaftlichen Produkte wie Getreide, Wein und Oliven.
Kehren wir also zuruck in den Bannkreis der Athener Burg.
Im Verlauf des siebten Jahrhunderts v. Chr. gerieten die adligen Familien und Gruppierungen in Athen, die vom Sklavenhandel und von der Schuldknechtschaft profitierten und mit einer ungeheuren Machtfulle ausgestattet waren, zunehmend unter Druck. Von der politischen Mitsprache ausgeschlossen, durch Wucherzinsen geknebelt, durch bestechliche Richter (Archonten) gema?regelt und von buchstablich drakonischen Strafen bedroht (benannt nach Athens Gesetzgeber