verarmte Bauern, Handwerker, Fischer, Hirten, Tagelohner. Ein Burgerkrieg schien unvermeidlich.

Es bedurfte der Weisheit und der Sprachfahigkeit eines Solon, um den sozialen und politischen Zundstoff zu entscharfen, den Konflikt zwischen Adel und Bauernschaft zu schlichten und ein erstes Reformpaket zu schnuren. Der »Staatsweise«, wie man ihn genannt hat, verfugte 594 v. Chr. eine allgemeine Schuldentilgung und die Abschaffung der Schuldknechtschaft, die haufig direkt in die Sklaverei gefuhrt hatte.

Grunderwerb sollte nach Solons Regelwerk nur noch bis zu einem bestimmten Grade moglich sein. Au?erdem war die Vergabe von Amtern nicht mehr an die soziale Herkunft eines Bewerbers gebunden, sehr wohl aber an sein Einkommen. Um die Regelung handhabbar zu machen, wurden die Burger in vier verschiedene Vermogensklassen eingeteilt.

Die Macht des Areopags (Adelsrat) wurde durch ein Volksgericht eingeschrankt. Die sogenannte Popularklage verschaffte jedem Einzelnen das Recht, Anzeige zu erstatten und als ungerecht empfundene Urteile einer Berufungsinstanz vorzulegen. Ein verbessertes Burgerbewusstsein im Sinne einer Mitgestaltung des Staatswesens zu schaffen war das zentrale Motiv der solonischen Reform.

Der gro?e Schlichter starb 560 v. Chr. in Athen. Die Adelsherrschaft hatte er immerhin zu einer Art Timokratie, einer Dominanz der Vermogenden, abgeschwacht. Das Gleichheitsprinzip und die Vermeidung von Privilegien, essenzielle Elemente der Demokratie, waren darin noch nicht vorgesehen. Ohnehin argwohnten die Reichen, zu viel abgegeben, die Armen, zu wenig bekommen zu haben. Und - die Handhabung der neuen Gesetze erwies sich als sehr kompliziert.

Was folgte, waren Jahrzehnte einer neuen Tyrannis, versu?t durch wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung. Der adlige Alleinherrscher Peisistratos fuhrte um 560 v. Chr. das Munzwesen in Athen ein, stiftete rauschende Feste wie die Dionysien, aus denen die antike Tragodie hervorging, gab den Burgern seines Sonnenstaates ein neues Selbstgefuhl und so etwas wie eine corporate identity.

Aber wahrend in Sparta nach wie vor eine kleine Oberschicht eine Masse von Untertanen - die Heloten - ausbeutete, lie? sich in Athen das erstarkte Burgerbewusstsein nicht mehr auf Dauer zuruckdrangen. Hatte Solon noch einem idealisierten, am Allgemeinwohl orientierten Menschenbild vertraut, so war sein Nachfolger Kleisthenes pragmatischer und realistischer. Ihm kam es darauf an, die naturgema?e Verfuhrbarkeit des Burgers durch die eigenen Machtanspruche, aber auch seine Gefahrdung durch die Machtausubung anderer mit demokratischen Mitteln abzufangen.

Mit einer Territorialreform fur das attische Staatsgebiet und einer daraus abgeleiteten Neuordnung der Phylen, der Stammesverbande, wie auch der dominierenden Einflussgruppen wurde die Einwohnerschaft Athens staatsrechtlich neu gemischt. Auf diese Weise konnte sich der erweiterte Rat der Funfhundert, das wesentliche Regierungsorgan, zu einer echten Volksvertretung entwickeln.

Auf Kleisthenes geht auch die Einrichtung des sprichwortlich gewordenen Scherbengerichts, des Ostrakismos, zuruck, dessen Anwendung erstmals fur das Jahr 487 v. Chr. belegt ist. Als eine Art Verfassungsschutz erlaubte es dem Volk, einzelne Burger, von denen eine Bedrohung fur den Staat ausging, auf zehn Jahre zu verbannen. Der Name des zu Verbannenden wurde auf Tonscherben (Ostraka) geschrieben. Der letzte Ostrakismos fand 416 v. Chr. statt.

Die Verfassung des Kleisthenes war getragen vom Gedanken der Gleichheit, der Mitsprache der Burger und der Kontrolle der Regierenden. Es blieb einem anderen gro?en Athener vorbehalten, diese demokratischen Tendenzen zu einer Linie zusammenzufuhren und die Macht des Areopags endgultig zu brechen: Perikles, der uber eine lange Zeit hinweg (443 - 429 v. Chr.) immer wieder zum Strategen gewahlt wird und dessen Zeitalter als Hohepunkt der klassischen griechischen Kultur gilt, von der Baukunst eines Phidias bis zu Sokrates - der mit seinem Schuler Platon und Aristoteles zu den Gipfelsturmern der antiken Philosophie gehort.

Die Historiker sind sich allerdings nicht recht einig daruber, ob das, was da im funften Jahrhundert v. Chr. stattfand, von den Griechen zu Recht schon als Demokratie bezeichnet wurde. Unbestreitbar gab es nach heutigen Ma?staben Defizite: Niemand in Athen dachte etwa an die Abschaffung der Sklavenhaltung oder auch nur an die Einbindung der Frauen und der Metoken. Trager des Systems war letztlich nur ein kleiner Teil der attischen Bevolkerung: rund 10 000 wehrfahige Manner uber drei?ig Jahre.

Dennoch bleibt festzuhalten, dass kein anderer antiker Staat bei der konkreten Umsetzung der Werte »Freiheit« und »Gleichheit« und bei der Beteiligung der Bevolkerung an der Gestaltung der Polis, des politischen Gemeinwesens, so weit ging wie Athen.

Das alles ist Ergebnis eines komplexen Prozesses. Ausnahmepersonlichkeiten wie Solon, Kleisthenes oder Perikles trafen dabei auf Situationen und Entwicklungen, die auf den unterschiedlichsten Ebenen stattfanden.

Hinzu kam ein Faktor von entscheidender Bedeutung, nicht nur fur die attische Demokratie selbst, sondern fur die Etablierung eines ganzen Kontinents: Europas. Der Erfolgsweg des demokratischen Modells ist unverbruchlich verbunden mit dem griechischen Sieg uber die Perser bei Marathon, in den Schlachten von Salamis und Plataa und mit der Grundung des Attischen Seebundes.

  

9. Perser ante portas

Gro?es war erreicht. Die erste Weltmacht der Menschheitsgeschichte war entstanden. Nun galt es, ihr eine Hauptstadt zu bauen.

Konig Dareios I., dessen Vorganger den Vielvolkerstaat geschaffen hatten, entschied sich 518 v. Chr. fur das auf einer Hochebene gelegene Persepolis, achtzig Kilometer nordostlich von Schiras im heutigen Iran. Zunachst lie? er eine riesige festungsahnliche, etwa 125 000 Quadratmeter gro?e Plattform anlegen. Auf ihr sollte ein gewaltiger Gebaudekomplex errichtet werden, der durch ein monumentales Tor an der Nordostecke der Terrasse betreten werden konnte. Die Schatzkammer des Perserreichs gehorte dazu, aber auch die Wohnraume des Konigs und des koniglichen Harems.

Als die Hundertsaulenhalle und die anderen Audienzsale fertig waren, boten sie bis zu tausend Menschen Platz. Die Achameniden-konige liebten es, ihre Macht zu zelebrieren. Die Schlange der Untertanen aus allen Ecken des Gro?reichs, die ihren Tribut die Treppen zur Ratshalle von Persepolis hinauftragen, wurde immer langer. Damit sie die Residenz verkehrsgunstig erreichten, wurde die Hauptstadt zum Knotenpunkt eines effizienten Netzes von Konigsstra?en.

Aus provinziellen Anfangen hatte sich die Dynastie der Achameniden in Persien mit beeindruckendem Tempo zu einer Gro?macht entwickelt, deren Herrschaftsraum sich von der Mittelmeerkuste bis nach Nordwestindien erstreckte. Als Dareios I. Persepolis grundete, hatte das Reich seine gro?te Ausdehnung erzielt. Und der Gro?konig fugte der Politik seiner Vorganger einen neuen - maritimen -Akzent hinzu. Er lie? die Seewege von der Indusmundung zum Persischen Golf und weiter zum Roten Meer erkunden und brachte das alte agyptische Projekt eines Kanals vom Roten Meer zum Nil endlich zum Abschluss.

Dann richtete er den Blick nach Westen - und stie? mit dem Angriff auf Griechenland erstmals an seine Grenzen. Die sogenannten Perserkriege in der ersten Halfte des funften Jahrhunderts v. Chr. gehoren zu den dramatischsten Konfrontationen des Altertums.

Bereits im sechsten Jahrhundert v. Chr. hatten die Perser auch die griechischen Stutzpunkte in Ionien an der kleinasiatischen Westkuste unterwerfen konnen. Aufgrund der Eroberung Thrakiens, Makedoniens und der Meerenge von Bosporus und Hellespont (Dardanellen) durch Dareios I. ab 516 v. Chr. waren au?erdem die Griechenstadte rund um das Schwarze Meer vom Mutterland und von anderen griechischen Kolonien abgeschnitten. Vor allem die Handelsbeziehungen mit den lebenswichtigen Getreidelieferungen gerieten nun unter persische Beobachtung.

Die Perser waren bekannt dafur, den Unterworfenen ein verhaltnisma?ig gro?es Ma? an Autonomie zu gewahren, was den Einsatz brutaler Gewalt aber nicht ausschloss. Damit der Konig in seinem Weltreich der weiten Wege nicht den Uberblick verlor, setzte er in den Provinzen Satrapen ein. Sie waren mit hochster administrativer, richterlicher und militarischer Macht ausgestattet. Die Griechenstadte wurden haufig von Tyrannen dominiert, die ihre ganz eigene Politik machten. Ihre Typologie lasst sich aus den gro?en schiller-schen Balladen »Der Ring des Polykrates« und »Die Burgschaft« bestens ablesen, auch wenn deren Handlung nicht in Kleinasien spielt.

Die griechischen Siedlungen an der kleinasiatischen Kuste empfanden die Last der persischen Unterdruckung

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