dass im amerikanischen Freiheitskampf ihr Erzfeind England empfindlich geschwacht werden wurde.

Insgeheim spielte dabei wohl auch das schlechte Gewissen eine gewichtige Rolle, denn es war noch nicht lange her, dass Kaiser Napoleon III. seine Soldaten nach Mexiko geschickt hatte, um dort eine Monarchie zu installieren. Der Ubergriff war letztlich mit dem Ziel erfolgt, die monarchische Herrschaftsform auf dem amerikanischen Kontinent wieder hoffahig zu machen und Frankreich in Amerika wieder Fu? fassen zu lassen.

Das Unternehmen widersprach gleichwohl ganz und gar der sogenannten »Monroe-Doktrin« von 1823, in der US-Prasident James Monroe ein fur alle Mal festgeschrieben hatte, dass jeder Einmischungsversuch der »Alten Welt«, wie Europa seit damals genannt wird, in gesamtamerikanische Belange abgewehrt werden wurde.

Napoleons mexikanischer Statthalter Kaiser Maximilian I. blieb denn auch nur deswegen zunachst ungeschoren, weil die Franzosen geschickt die Gunst der Stunde genutzt hatten: Bis Mitte der Sechzigerjahre befand sich US-Amerika namlich im Burgerkrieg und konnte sich um das »Problem Mexiko« gar nicht kummern. Doch mit Ende des Krieges 1865 forderten die USA sofort den Abzug der franzosischen Truppen, was unter diesem Druck dann auch geschah. Mit der Entmachtung und Hinrichtung Maximilians 1867 endete dieses Kapitel missgluckter franzosischer Intervention reichlich dramatisch und bescherte Napoleon III. einen betrachtlichen Imageverlust. Als ihn dann vier Jahre spater auch noch die Preu?en im Verlauf des Deutsch-Franzosischen Krieges bei Sedan gefangen nahmen, war es mit seiner Kaiserherrlichkeit endgultig vorbei, und Frankreich entschied sich im September 1870, wieder Republik zu werden.

Insofern mag die Freiheitsstatue hauptsachlich eine Art Selbstvergewisserung der noch taufrischen Dritten Franzosischen Republik gewesen sein. Deren republikanische Liberte, Egalite und Fraternite standen in dieser unruhigen Zeit auf weit unsichereren Beinen als die gefestigte Republik der USA, zumal damals auf dem europaischen Kontinent au?er San Marino und der Schweiz kein Staatswesen auf eine republikanische Verfassung setzte.

Der Krieg mit Preu?en hatte nationale Leidenschaften geweckt, die in der Folge dazu fuhrten, dass der schwelende Konflikt zwischen Burgertum und Arbeiterschaft erneut mit gro?er Heftigkeit aufbrach. Der Aufstand der Kommune, einer von sozialistischen Arbeitern gewahlten Pariser Gemeindevertretung, wurde von franzosischen Regierungstruppen blutig niedergerungen, wobei es mehr Tote gegeben haben soll als wahrend der ganzen Franzosischen Revolution. In einer so chaotischen und unsicheren Situation war die Umarmungsgeste Frankreichs in Richtung Amerika doch eher so etwas wie der Versuch, durch Anbandelung mit gestandenen Republikanern sich selbst zu starken.

Wenn Sie das bedenken, wahrend Sie die enge Wendeltreppe im Inneren der Statue bis zur Sonnenkrone hinaufklimmen, verstehen Sie vielleicht die latente Skepsis der Amerikaner gegenuber europaischen Freundschaftsgesten aller Art. Und diese Skepsis war denn wohl schon damals der eigentliche Grund dafur, warum es den amerikanischen Politikern nur unter gro?en Muhen gelang, bei ihren Burgern die Spenden lockerzumachen, die notwendig waren, um den Funfzig-Meter-Sockel der Statue aus 8000 Tonnen Wiesbadener Portlandzement zu finanzieren. Denn den sollten die Amerikaner auch noch selbst bezahlen.

Wenn Sie daruber hinaus bedenken, dass Bartholdis Entwurf bereits zu Zeiten des franzosischen Kaiserreichs entstand, namlich schon 1869, und sein Werk ursprunglich fur den Eingang des neu eroffneten Suez-Kanals gedacht war, dann mussen Sie es wirklich einer freundlichen Geschichtsvergessenheit zurechnen, wenn diese franzosische Statue heute als eines der starksten Symbole Amerikas gilt und beinahe auf gleicher ideologischer Hohe wie das amerikanische Sternenbanner rangiert.

Dabei haben die Franzosen den Amerikanern doch ein viel wichtigeres Geschenk gemacht, von dem Sie wahrscheinlich kaum einmal gehort haben! Und dieser sogenannte Louisiana Purchase hat sich auf die Entwicklung der USA viel entscheidender ausgewirkt als alles andere. Im Lichte der Historie betrachtet war es aber auch hier das Eigeninteresse Frankreichs, das diesen gro?ten Grundstuckskauf aller Zeiten ermoglicht hat. Im Ergebnis kam dieser Handel fur Amerika einem Lotto-Sechser gleich. Kein Geringerer als Napoleon I. war es, der im Jahr 1803 durch den billigen Verkauf Louisianas die Sympathie der Amerikaner im Kampf gegen England zu erwerben hoffte. Daruber hinaus hoffte er naturlich mit dem schnellen Deal seine Kriegskasse zu fullen. Denn die Zeit drangte: Napoleons Attacke auf ganz Europa stand unmittelbar bevor. Fur den Schleuderpreis von nur 15 Millionen Dollar, was heute in etwa der Kaufkraft von 300 Millionen entspricht, konnten die US-Amerikaner die Gro?e ihres Territoriums mit einer einzigen Vertragsunterschrift verdoppeln. Denn damals umfasste das franzosische Louisiana die gesamte Mitte der heutigen USA, vom Golf von Mexiko bis nach Kanada, vom Mississippi-Fluss bis zu den Rocky Mountains. Der Suden und Westen, zu Mexiko gehorig, wurden 1845 okkupiert.

Dieses gunstigste Schnappchen der Weltgeschichte zeigt, wie relativ unbedeutend noch vor 200 Jahren uns Europaern Amerika erschien. Dass sich hier der Keim zu einer neuen weltbeherrschenden Supermacht entfaltete, hatte noch keiner unserer Vorfahren auf der Rechnung. Napoleon setzte auf seinen Russlandfeldzug. Dass ein »Go West« moglicherweise zukunftstrachtiger gewesen ware als sein »Go East«, ware ihm nicht im Traum eingefallen.

Wie wenig wusste man seinerzeit uber dieses Land. Und wie wenig wissen wir selbst heute uber die Fruhzeit Amerikas, bevor die ersten wei?en Siedler amerikanischen Boden betraten. Wahrend altere Geschichtsbucher die Zahl der indianischen Ureinwohner auf wenige Hunderttausend schatzen, haben Historiker diese Zahl inzwischen deutlich nach oben korrigiert. Dennoch gehen die Schatzungen absurd weit auseinander und belegen die Geschichtsvergessenheit einer Kultur, die von Anbeginn auf Gegenwart und Zukunft setzte: Von drei bis zwolf Millionen Indianern, die dem Druck der Siedler weichen mussten, ist heute vage die Rede.

Gegenwartsorientierung war von Anfang an ein charakteristisches Merkmal der Besiedlungspolitik Amerikas. Blicke nie zuruck; Go on!

-    das ist das Wort, das Sie vielleicht am haufigsten in Amerika horen. Das Land selbst war es, das den Pionieren des Westens seinen Stempel aufdruckte und sie zwang, den Blick stets auf das Nachstliegende zu richten. Zahigkeit, die Fahigkeit anzupacken, die Bereitschaft, Fehlschlage abzuschutteln und immer wieder aufzustehen, trotz Lebensgefahr es gleich noch einmal zu versuchen - diese Tugenden drangten zunachst jedes Hierarchiedenken, jedes althergebrachte Kulturinteresse und jede philosophische Reflexion, wie wir Europaer sie so gewohnt sind, in den Hintergrund. Angesichts der Herausforderungen war pragmatisches Handeln und Denken gefragt. Die Menschen, die hier anlandeten, hatten bewusst mit ihrem alten Leben gebrochen, waren politisch Enttauschte, religios Verfolgte, wirtschaftlich Notleidende. Ihrer alten Heimat weinten sie kaum eine Trane nach. Im volligen Neubeginn sahen sie ihre gro?te und vielleicht letzte Chance. Oder es waren Abenteurer, windige Geschaftemacher, die ganz bewusst die alten Bindungen gekappt hatten. Nicht selten auch Glucksritter, die zuhauf dem Lockruf des Goldes folgten, nachdem der Bauarbeiter James Marshall 1848 in einem Seitenarm des American River ein paar Goldnuggets gefunden hatte. Im Zuge des Kalifornischen Goldrauschs zogen Hunderttausende Richtung Westkuste. Die Bevolkerung von San Francisco wuchs allein 1849 um das 25-fache. Alles war hier Gegenwart.

Entsprechend pragmatisch war auch die Politik. Bereits 1829 wurde mit Andrew Jackson ein einfacher Kleinburger US-Prasident, der nur eine durftige Erziehung genossen hatte, von dem aber der wichtige Impuls zur Grundung der Demokratischen Partei ausging. 1854 dann schufen die Republikaner mit ihrer Parteigrundung ein Gegengewicht, das bis heute die politische Zwei-Parteien-Land-schaft der USA pragt.

Der gro?te Konflikt, den dieses Land zu bewaltigen hatte, entstand dort, wo Landschaft und Klima ein gewichtiges Wortchen mitzureden hatten: der Konflikt zwischen Nord- und Sudstaaten. Der Lebensstil, der sich in diesen beiden Welten ganz unterschiedlich auspragte, war kein Ergebnis importierter Traditionen, sondern eine Folge der Naturgesetze: Wahrend im hei?en Suden riesige Plantagen fur Tabak und Baumwolle entstanden, die von hitzeempfindlichen Europaern zwar zu verwalten, aber kaum in eigener Feldarbeit zu bewirtschaften waren, entstand im viermal so dicht besiedelten Norden das Land der kleinen Farmer, der Kaufleute, des Handels und der Industrie. Die Wirtschaftsinteressen waren hochst unterschiedlich: War man im Norden darauf aus, mit Schutzzollen das zarte Pflanzchen der eigenen Warenproduktion gegen die europaische Konkurrenz abzuschirmen, so pladierte der Suden im Gegenteil fur totalen Freihandel. Denn die reichen Gro?grundbesitzer waren auf billige Importe von Arbeitsmaterialien ebenso angewiesen wie auf billige Arbeitskrafte, die unter der glei?enden Sonne harte Feldarbeit zu leisten imstande waren. Sie kennen die typischen Szenen sicher aus einem der ersten Farbfilme, mit dem Hollywood diesen wichtigsten Teil seiner Geschichte dramatisch aufarbeitete: »Vom Winde verweht«.

Die gut 3,5 Millionen afrikanischen Negersklaven, durch deren Import im 18. und 19. Jahrhundert vor allem portugiesische Menschenhandler mit ihren Segelschiffen riesige Profite einfuhren, mussten eher fruher als spater zum Stein des Ansto?es werden in einer Gesellschaft, deren Mitglieder oft selbst noch unter dem Joch der Leibeigenschaft gelitten hatten. Zwar durfte bis in die 1860er-Jahre hinein jeder Bundesstaat die Gretchen-Frage

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