selbst entscheiden, wie er es denn mit der Sklaverei halte. Aber spatestens seit Harriet Beecher-Stowe in ihrem Roman »Onkel Toms Hutte« 1852 das unmenschliche Schicksal der Sklaven angeprangert hatte, trat die gro?e Mehrheit der weitgehend christlichen Menschen des Nordens fur ein volliges Verbot der Sklaverei ein.

Es ist schon eine schone Pointe der Geschichte, die wir alle vor Kurzem im Fernsehen, vielleicht sogar mit etwas Gansehaut, miterleben konnten: Im 200. Geburtsjahr des Sklavenbefreiers Abraham Lincoln (1809 -1865) trat der erste afroamerikanische US-Prasident Barack Obama sein Amt an. Lincoln hatte seine Freude gehabt. Denn sein Vermachtnis, der 13. Verfassungszusatz vom 18. Dezember 1865, in dem es hei?t: »Weder Zwangsarbeit noch Sklaverei ... sollen in den Vereinigten Staaten von Amerika existieren«, bildete erst die Voraussetzung fur das moderne Amerika mit einem ersten »schwarzen« Prasidenten.

Abraham Lincoln, der spater von sich selbst sagte, er habe als Kind nicht einmal ein Jahr lang die Schule besucht, war ein Farmersohn aus Kentucky. An der Siedlungsgrenze zur Wildnis aufgewachsen, hatte er die Harte des Pionierlebens schon mit der Muttermilch aufgesogen. Die Liebe zu Amerika entdeckte er bei seinen Reisen als Flo?er auf dem Ohio und Mississippi. Spater bildete er sich autodidaktisch zum Anwalt aus und entwickelte eine um Ausgleich und Gerechtigkeit bemuhte Grundhaltung. Seine Ablehnung des Sklavenwesens setzte sich am Ende wohl deswegen allgemein durch, weil er seine Position hochst listig und kompromissbereit vertrat. Niemals vor Ausbruch des Burgerkriegs bestritt er das Recht der Bundesstaaten, uber die Sklavenfrage frei entscheiden zu durfen; zum anderen entsprach seine liberale Haltung letztlich dem Grundungsgedanken der USA: Ein Land, das sich auf Demokratie grunde, musse die individuelle Freiheit auch konsequent umsetzen, so formulierte er in seiner beruhmtesten Rede, der Gettysburg Address von 1863. Und: Eine Demokratie konne nur uberleben, wenn nicht eine Minderheit mit Gewalt eine Mehrheit unterdrucke.

Diese letzte Wahrheit war schlie?lich auch der Grund, warum Lincoln einer au?erst gewagten und eigentlich widerspruchlichen Ma?nahme nicht auswich: Ausgerechnet ein Krieg sollte das richtige Mittel werden, um Nord- und Sudstaaten zu versohnen. Als bald nach der Wahl Lincolns zum US-Prasidenten Anfang des Jahres 1861 sieben Sudstaaten aus der amerikanischen Union austraten und die »Konfoderierten Staaten von Amerika« grundeten, war es immer noch nicht die Sklavenfrage, die Lincoln zum Thema machte. Vielmehr sei es, so argumentierte er unangreifbar, sein Amtseid, der ihn verpflichte, die Sezession, also die Spaltung des Landes, zu verhindern.

Als die Konfoderierten dann verargert den ersten Schuss abgeben, beginnt ein vier Jahre langes, verlustreiches Gemetzel. Nicht viel hatte gefehlt, und die inzwischen elf abtrunnigen Konfoderierten hatten gewonnen. Zahlenma?ig unterlegen, aber wirtschaftlich potent, erzielten sie zahlreiche militarische Erfolge, die Lincolns Position gefahrlich ins Wanken brachten, so dass er selbst an seiner Wiederwahl als Prasident zweifeln musste. Letztlich war es, wie so oft in der Geschichte, dann eine einzige Schlacht, die die Entscheidung brachte und damit verhindert hat, dass wir die USA heute »KSA« nennen mussten, eine Konfoderation der Staaten von Amerika. Die Schlacht bei der Kleinstadt Gettysburg im Bundesstaat Pennsylvania dauerte im Juli 1863 drei furchtbare Tage. Aber es war einer der letzten, vergeblichen Versuche der Sudarmee unter General Lee, auf das Gebiet der Union vorzudringen.

Gewiss, andere Szenarien waren damals denkbar gewesen. Unsere europaischen Vorfahren etwa hatten zugunsten der Konfoderierten eingreifen konnen. Mit gutem Grund sogar, denn durch die Seeblockade der Nordstaaten kam die Ausfuhr von Baumwolle nach Europa vollstandig zum Erliegen, was eine schwere Krise in der englischen Tuchindustrie zur Folge hatte. Aber auch fur unsere Ururur-gro?vater ging die Zeit der Leibeigenschaft endgultig zu Ende. Waffenbruderschaft mit einem Regime, das fur die Sklaverei kampfte, war einfach nicht mehr zeitgema? und hatte in Europa eigene innenpolitische Krisen heraufbeschworen.

So kam es, dass der isolierte Suden am Ende des Burgerkrieges wirtschaftlich ruiniert war, die Sklaven ihre Freiheit errungen hatten und sogar das Wahlrecht erhielten, aber noch bis heute die gewaltsam unterdruckten konservativen Vorstellungen der Sudstaatler in einigen wenigen Kopfen der amerikanischen Gesellschaft herumspuken und sich gelegentlich sogar in obskuren Geheimbunden wie dem Ku-Klux-Klan Luft machen. Die geforderte und erkampfte Gleichheit von Schwarz und Wei? ist in USA auch nach 150 Jahren immer noch ein gesellschaftlicher Dauerbrenner.

Dass die Wiedereingliederung der Sudstaaten gleichwohl uberraschend problemlos gelang, ist nicht nur der sanften Versohnungspolitik Lincolns zuzurechnen (»Groll gegen niemanden!«), der ubrigens das endgultige Ende des Krieges gar nicht mehr miterlebte, weil ihn ein Attentater bei einem Theaterbesuch erschoss. Sondern es war wieder mal eine gluckliche Fugung des Schicksals, die Amerika bald uber Nacht zur wohlhabendsten Nation der Welt machte.

Sie wissen: Wohlstand ist immer ein gro?er Versohner. Und gewaltige Bodenschatze wurden gleich nach dem Ende des Burgerkriegs gefunden, darunter auch wieder gro?e Mengen Goldes. In Titusville/Pennsylvania sprudelte ab 1859 die erste Olquelle; und auch wenn dieser neue Rohstoff zunachst nur dazu geeignet erschien, das herkommliche Walol in den Lampen der Wohnstuben durch das moderne Petroleum zu ersetzen, so entdeckten die Menschen doch schon bald weitere, sensationelle Verwendungsmoglichkeiten fur das »schwarze Gold«. Auch die Fertigstellung der Pazifikbahn 1869 erfolgte zur rechten Zeit: Das Innere der USA wurde ab sofort in Dampflok- Tempo erschlossen. 1867 gelang dann noch einer der cleversten Grundstuckskaufe der Geschichte: Fur 7,2 Millionen Dollar verschenkte der russische Zar das rohstoffreiche und riesige Alaska, mit 0,0004 Cent pro Quadratmeter der wohl billigste Landkauf aller Zeiten. Ihre Vorfahren hatten mitbieten sollen.

Amerika im Gluck. Kein Wunder, dass sich in den funfzig Jahren zwischen 1860 und 1910 die US-Bevolkerung durch Masseneinwanderung verdreifacht hat - auf damals 91 Millionen Einwohner.

Und wenn Sie jetzt aus einem der kleinen Fensterchen in der Krone der Freiheitsstatue schauen, dann werden Sie verstehen, warum die Skyline von New York, die Sie jetzt erblicken, so eine Riesenportion Zukunftsoptimismus ausstrahlt.

35. Nationaler Horrortrip

Ist es nicht ebenso faszinierend wie geheimnisvoll, dass viele Entwicklungen der Weltgeschichte fast gleichzeitig oder ahnlich verlaufen, auch wenn riesige Entfernungen zwischen den Orten der Geschehnisse liegen? So wie es schon vor 5000 Jahren mit der Erfindung der Schrift war, die fast zeitgleich von Agyptern und Sumerern entwickelt wurde. Oder auch mit den ersten Stadtkulturen im Zweistromland, die der Harappa-Kultur am fernen Indus ahnelten. Oder mit den Pyramidenbauten, die in Costa Rica und Mexiko ebenso in den Himmel wuchsen wie zuvor am anderen Ende der Welt, am Nil.

Angesichts solch altehrwurdiger Kulturzeugnisse sollten wir uns eigentlich daruber freuen, dass dieses Phanomen der Parallelitat, der globalen Gleichzeitigkeit sich in der jungeren Geschichte wieder zuruckmeldet. Wenn es sich nur nicht diesmal um das genaue Gegenteil kultureller Leistungen handeln wurde, namlich um ein gemeinsames Krankheitssymptom mit fatalen Folgen: das Herrschaftsgebaren, den Expansionsdrang und die Eroberungspolitik der Gro?machte zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts.

Wenn Sie im Theater aufstehen, konnen Sie besser sehen. Wenn im Theater aber alle aufstehen, kann niemand mehr sehen. Und dann kommt es schnell zum Streit. Ganz ahnlich geht es auch am Beginn des 20. Jahrhunderts zu im gro?en europaischen Welttheater: Bei allen Volkern Europas hat sich jetzt der Nationalstaatsgedanke durchgesetzt. Das Streben nach Macht und Bedeutung auf der politischen Buhne wird zur Selbstverstandlichkeit. War es zuvor vor allem England gewesen, das als British Empire seine Flugel weltweit und ungemein erfolgreich ausspannte, so beginnen nun auch alle anderen Nationen hemmungslos ihr ubersteigertes Nationalgefuhl uber den gesamten Globus zu stulpen. In der Maske weltmissionarischer Begluckung kommt diese Politik daher, bedeutet aber in Wirklichkeit die brutale Ausbeutung der kolonialis-ierten Volker. Da werden vollmundige Satze gesprochen, die Mord und Raffgier als Gutmensch-Tat verbramen. Eine kleine Auswahl zum Erschrecken:

»Ich behaupte, dass es umso besser fur die menschliche Rasse ist, je mehr wir von der Welt bewohnen ... Gott hat offenkundig das englisch sprechende Volk zu seinem auserwahlten Werkzeug geformt .« (Cecil Rhodes, englischer Kolonialpolitiker)

»Die franzosische Ausdehnung hat zu allen Zeiten zivilisatorischen und religios-missionarischen Charakter. Es

Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату