handelt sich darum, unsere Sprache, unsere Sitten, unser Ideal inmitten der Konkurrenz der anderen Rassen zu schutzen.« (Gabriel Hanotaux, franzosischer Au?enminister und Historiker)
»Wir wollen die Finsternis durchsto?en, die ganze Volker umhullt: Das ist ein wurdiger Kreuzzug ...« (Leopold II., belgischer Konig)
»Wir denken noch an etwas Hoheres, an unsere Religion und die Verteidigung und den Schutz unserer Bruder in den Kolonien, welche zum Teil mit ihrem Leben fur ihren Heiland eingetreten sind.« (Wilhelm II., deutscher Kaiser)
»Jedes gro?e Volk, das lange leben will, glaubt und muss glauben, dass ... nur in ihm allein das Heil der Welt ruhe.« (Fjodor Dostojewski, russischer Schriftsteller).
Mit dem Wort Imperialismus hat man spater diese Politik beschrieben, durchaus mit Bezug auf das antike
Ein vorausschauender Politiker wie der deutsche Kanzler Furst Otto von Bismarck (1815 -1898) hat fruh die Gefahr erkannt, die von Kolonialbesitz ausgeht. Er ahnte, dass der machtgierige Zugriff auf uberseeische Besitztumer uber kurz oder lang das fein austarierte Machtgefuge der europaischen Staaten aus dem Lot bringen musste. Bismarck, dessen ganze Politik darauf gerichtet war, die nationalen Gewichte in Europa auf dem Stand von 1871 auszubalancieren, vermied ein allzu gro?es Engagement Deutschlands bei diesem Wettlauf der Nationen, ohne sich letztlich dem Zeitgeist vollig entziehen zu konnen. Spatestens der renommiersuchtige, prestigeliebende Kaiser Wilhelm II. entwand sich in dieser Sache ganzlich seinem ungeliebten und dann auch schnell entlassenen Kanzler.
So kam es, dass wieder einmal, wie so oft in der Weltgeschichte, eine bose Ironie am Ende einer wirtschaftlichen Erfolgsstory steht: Nach einer uber vierzig Jahre wahrenden Phase des gigantischen Aufschwungs, der nicht zuletzt durch die Ausbeutung der Kolonien befeuert wird, zerbomben unsere ziemlich nahen Vorfahren ihren Wohlstand in den Schutzengraben des Ersten Weltkriegs. Der lange europaische Frieden und die wirtschaftlichen Errungenschaften, die das Resultat nationalen Eifers sind, fallen zuletzt eben diesem ubersteigerten Eifer zum Opfer. Die machtgeile nationale Uberheblichkeit mundet in zwei furchtbaren Feuersturmen, die man auch als einen einzigen, modernen Drei?igjahrigen Krieg verstehen konnte. Denn das tiefenpsychologische Motiv fur das Grauen des Ersten wie des Zweiten Weltkriegs ist in beiden Fallen identisch: Es ist nationaler Wahn.
Dabei hatte insbesondere fur Deutschland nach dem preu?ischen Sieg uber Frankreich alles so ermutigend begonnen. Deutschland war 1871 als einheitlicher Staat gegrundet worden, sozusagen als spater Nachzugler, der nicht wie England oder Frankreich stolz auf eine bereits jahrhundertelange nationale Identitat zuruckblicken durfte, sondern im Bedurfnis nachzuholen nun kraftig auf die Pauke hauen wollte. Und das auch tat. Die militarische Erfolgsgeschichte Preu?ens, das in den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts den Sieg in Serie zunachst uber Danemark, dann Osterreich und schlie?lich 1870/71 auch uber Frankreich errang, begrundete die herausragende Stellung des preu?ischen Konigs Wilhelm I., der allerdings die Kaiserwurde des neu gegrundeten Deutschen Reiches nur zogerlich annahm, weil er seine ererbte preu?ische Konigskrone weit hoher einschatzte.
Fur die besiegten Franzosen war es ein frecher Streich, dass die deutsche Kaiserproklamation am 18. Januar 1871 noch wahrend der letzten Phase des Deutsch-Franzosischen Krieges ausgerechnet im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles stattfand, dem gefuhlten Herzen der franzosischen Nation. Diese Demutigung wog weit schwerer als die Wiederinbesitznahme des von Ludwig XIV. einst requirierten Elsass-Lothringen, weil damit die nationale Seele der Franzosen eine tiefe Krankung erfuhr. Bismarck war bis zu seinem Tode 1898 davon uberzeugt, dass Frankreich diese Schmach niemals vergessen wurde, und er lag damit nicht falsch. Zeitlebens versuchte er, ein Bundnis anderer europaischer Staaten mit Frankreich zu verhindern, um Revanchegeluste schon im Keime zu ersticken. Tatsachlich sollte im weiteren Verlauf der Geschichte aber Versailles der Name werden, an dem sich die europaischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts symbolisch festmachen lassen.
Die Kaiserproklamation im Prunksaal Ludwigs XIV. hatte den deutschen Stachel tief ins franzosische Fleisch getrieben. Aber es gab daruber hinaus noch viele andere Probleme, die aus kolonialen Begehrlichkeiten erwuchsen und Europa gefahrlich destabilisierten: Osterreich-Ungarn rang mit Russland um die Frage, wer auf dem Balkan das Sagen habe; Russland und England konkurrierten um die asiatischen Fleischtopfe; Frankreich versuchte in Ubersee und Afrika seinen schrumpfenden Einfluss gegen England zu behaupten; Italien blickte begierig auf turkische Besitztumer. Deutschland unter Wilhelm II. schlug mit der Bagdadbahn die Brucke zum Osmanis-chen Reich. Und alle zugleich wollten China.
Innenpolitisch kampfte Bismarck an zwei Fronten: gegen die immer einflussreicheren Sozialisten, die bald zur starksten Fraktion im Reich heranreiften, und gegen den politischen Katholizismus: Im protestantisch gepragten Preu?en-Deutschland sollte allein der Kaiser den Kurs angeben und sicher nicht der Papst, so Bismarcks Doktrin. Als halbwegs gescheiterter »Kulturkampf« ist in die Geschichtsbucher sein Versuch eingegangen, den katholischen Einfluss in Politik, Kultur und Lehre ganzlich auszuschalten.
Auch die Auseinandersetzung mit den Sozialisten war wenig erfolgreich, dafur aber sozialpolitisch fruchtbar und im Ergebnis gesellschaftlich wegweisend. Denn in seinem Bemuhen, die Arbeiterschaft starker an das Kaiserreich zu binden, fuhrte Bismarck das erste gro?e Sozialgesetz ein: Unfallschutz, Krankenkasse, Rente. Ein enormer Fortschritt fur Arbeiter und Angestellte.
Das Gift des ubersteigerten Nationalismus, das ubrigens auch in die Lander des Ostens als Panslawismus einsickert, wird in dieser Zeit noch in keiner Weise als gro?te Gefahr erkannt. Mit der »Alldeutschen Bewegung« kristallisiert sich aber schon jetzt ein gefahrliches Denken heraus, in dem Neuzeit und Konservatismus, Wissenschaft, Aberglaube und Nationalpathos eine verquere Beziehung eingehen. Die Anhanger nehmen Worter wie Nation, Rasse, Vererbung, Ehre, Juden, Verschworung, Blut zeitgleich in den Mund und traumen von der Wiederauferstehung des Heiligen Romischen Reiches Deutscher Nation: »Wir gehoren einem Herrenvolk an, das seinen Teil von der Welt sich selber nimmt und nicht von der Gnade eines anderen Volkes zu empfangen sucht.« Darwins Theorie von einem evolutionaren Wettbewerb unter allen Geschopfen
Von diesem Gedanken geht die monstrose Destruktion aus, die den Nationalsozialismus vorbereitet und ideologisch unterfuttert hat. Aber kaum ein Zeitgenosse ahnt damals schon die Dimension der furchtbaren Gewalt, die in diesem Gedankengut steckt. Funfzig Jahre spater wird dieses Denken sechzig Millionen Tote kosten.
Wie schon angedeutet, erweist sich der Imperialismus als ein Phanomen, das in einer bestimmten Epoche den Menschen weltumspannend »zusto?t«: Sogar das freiheitsliebende Amerika entwickelt zeitgleich mit den Europaern starke imperialistische Tendenzen und zwingt Japan, das seit Jahrhunderten vollig abgeschlossen lebt, mit Kanonenbooten zur wirtschaftlichen Offnung. Auch Amerika startet seinen Welthandel mit vorgehaltener Waffe. Japan seinerseits lernt schnell von den Imperialisten und richtet seinen erwachenden Expansions- und Machtdrang sogleich aggressiv gegen Korea und China. Die Vereinigten Staaten wiederum versuchen ihre Stellung im pazifischen Raum weiter auszubauen und requirieren Flottenstutzpunkte auf Hawaii und Kuba, Puerto Rico und den Philippinen. Mit dem Bau des Panamakanals, der ubrigens insgesamt uber 28 000 Arbeiter vor allem durch Gelbfieber und Malaria hinrafft und an dem sich zunachst franzosische Ingenieure die Zahne vergeblich ausbei?en, sichern sie sich ihre starke Stellung in Mittelamerika.
Die Welt wurde damals verteilt unter den »Starken«. Kaum hundert Jahre ist das jetzt her. Und die Tatsache, dass damals kaum ein Mensch Ansto? daran nahm, lasst erahnen, wie anders doch die Welt war vor den gro?en Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Und wie schnell sich Zeiten und Verhaltnisse andern.
Das Land, das sich heute zur neuen fuhrenden Weltmacht aufschwingt, war vor hundert Jahren noch das am meisten geschundene: China. Kaum eine imperialistische Nation, die sich nicht auf dieses appetitliche Filetstuck sturzte. Von Norden fielen die Russen ein, vom Osten sturmte Japan heran, an den Kusten landeten englische, franzosische und schlie?lich auch deutsche Kriegs- und Handelsschiffe. Dass das Reich der Mitte eine uralte Nation war und bereits im 2. Jahrtausend v. Chr. ein funktionierendes Staatswesen besa?, imponierte den europaischen Newcomern und selbsternannten »Herrenvolkern« nicht im Geringsten.
Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts hatte England China als idealen Absatzmarkt fur Opium entdeckt, im Austausch fur wertvolle Waren wie Seide und Tee, die es in gro?en Mengen von hier bezog, aber nicht mit kostbaren Silberdevisen bezahlen wollte. Viel lieber tauschte man gewinnbringend, wenn schon nicht gegen Glasperlen, so doch gegen Opium, das man aus Indien billigst bezog. Als die Chinesen die ruinose Wirkung des Rauschgifts erkannten und ihre Handelsgrenze schlie?en wollten, erzwang England im Opiumkrieg 1840 -1842 die