Kaplan an der Kolner Pfarrkirche Sankt Kolumba. Vor kurzem aus Italien von einem Studienaufenthalt zuruckgekehrt. Jung, voller Forscherdrang, aufgeschlossen fur alles Neue. Muss bei seiner Ruckkehr eine schreckliche Entdeckung machen.
EINS
Ruhe und Freude waren nur von kurzer Dauer. Andreas Bergheim seufzte, als Grete, die Magd, ihm Besuch ankundigte. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zuruck, bis dieser unwillig knarrte, und schaute durch das kleine Fenster seiner Schlafstube. Hinter den runden Butzenglasscheiben sah er hinaus auf den nur undeutlich zu erkennenden Friedhof und die machtige Silhouette von Sankt Kolumba, die durch Baugeruste und einen Kran verunstaltet wurde. Aus der Ferne wirkte die Kirche auf Andreas wie ein verwachsener, am Boden liegender Riese.
Er hatte sich auf ein paar Stunden des Friedens gefreut. Einen Tag fruher als geplant war er aus Bologna zuruckgekehrt, wo er theologische Studien betrieben hatte. Der italienische Himmel war so viel blauer, heller, von Licht und Freude durchwehter gewesen als der kolnische. Und doch war Andreas Bergheim froh, wieder zu Hause zu sein. Er liebte seine Stelle als Kaplan an Sankt Kolumba, und er liebte Koln – trotz des schlechten Wetters, der engen Gassen und des manchmal recht starken Geruchs in ihnen. Und er liebte seine Pfarrkinder, die bisweilen etwas Italienisches an sich hatten, etwas Larmendes, Heiteres, das ihm in anderen deutschen Stadten nur selten begegnet war. Nein, er war zufrieden, und er hoffte, irgendwann einmal selbst Pastor zu werden. Johannes Hulshout, Rector ecclesiae von Sankt Kolumba, war schon alt, Gott bewahre ihm seine Rustigkeit, aber vielleicht wurde Andreas einmal sein Nachfolger sein. Das theologische Rustzeug hatte er wahrend seines zweijahrigen Studiums in Bologna erworben, glaubte er.
Er mochte Johannes Hulshout, den die Glaubigen sehr verehrten und der, wie viele Pastoren von Sankt Kolumba vor ihm, auch Professor an der Kolner Universitat war. Gegen Mittag noch hatte Andreas ihn in dessen Studierstube kurz begru?t, bevor er rasch zu einer Fakultatssitzung aufbrechen musste. Seitdem hatte sich Andreas darauf gefreut, im jungst erschienenen »Fortalitium fidei« des Alphonsus de Spina zu lesen, das Hulshout aus eigenen Mitteln wahrend Andreas’ Abwesenheit angeschafft hatte, wie der Pastor ihm kurz nach der Begru?ung stolz mitgeteilt hatte. Gern hatte sich Andreas noch heute mit den Kapiteln uber die Umtriebe des Teufels beschaftigt, uber die er in Bologna so viel gehort hatte und denen er so wenig Glauben zu schenken vermochte. Doch das musste warten.
Der Besucher wartete im Wohnraum des ersten Stockes auf ihn.
Nachdem sich Andreas Bergheim gereckt und gestreckt und einen weiteren kleinen Seufzer ausgesto?en hatte, stand er auf, verlie? seine Schlafstube und ging uber die knarrenden Holzdielen nach nebenan.
Als er die Tur zum Wohnraum offnete, stutzte er. Er hatte eines seiner Pfarrkinder erwartet, nicht aber diese Frau, die auf einem Dreifu? neben dem Fenster sa?, das nach hinten hinauswies.
»Was verschafft mir die Ehre Eures Besuches, Elisabeth Bonenberg?«, fragte Andreas.
Die Bonenbergerin erhob sich. Uber ihr zartes, junges Gesicht flog ein Lacheln. Die grunen Augen glitzerten im Licht der schrag durch die Butzenscheiben einfallenden Sonnenstrahlen. Das sanfte Gesicht mit dem kleinen, aber vollen Mund druckte zugleich Freude und Wehmut aus. Es war, als lachele das Gespenst eines lieben Freundes.