zischte: »Diese Hure hat meinen Bruder auf dem Gewissen – auf die eine oder andere Art.«

»Wie meint Ihr das?« Andreas wandte den Blick von der Frau neben ihm ab. Sie war ihm mit ihrer tiefen Empfindungsfahigkeit, ihrer verwirrenden Schonheit und ihrer harten Entschlossenheit so unheimlich wie keine andere Frau, der er je begegnet war.

»Ich kann es mir nur so erklaren, dass sie die Finger im Spiel hatte. Wie ich Euch schon sagte, hat Ludwig einen Abschiedsbrief hinterlassen. Ihr werdet nie darauf kommen, welchen Grund er fur seinen Freitod angibt.«

Andreas sah Elisabeth fragend von der Seite an. Sie war beinahe so gro? wie er und stellte sich noch aufrechter hin und holte seufzend Luft, als musse sie sich sammeln. Dann sagte sie:

»Er schrieb, er habe sich umgebracht, weil er mit dem Teufel im Bunde stehe.«

Der Rabe kehrte in den Apfelbaum zuruck. Sein Krachzen hallte von den alten, aufgebrochenen Kirchenmauern wider.

ZWEI

Andreas traute seinen Ohren nicht. »Ein Pakt mit dem Teufel? Ludwig?«

»In seinem Abschiedsbrief hat er davon berichtet. Zumindest hat das seine Frau gesagt.«

Andreas wandte sich vom Grab ab und warf einen Blick auf das Pfarrhaus, dessen Fenster wie leere Augenhohlen auf die beiden einsamen Menschen im Kirchhof starrten. »Warum hat er dann uberhaupt ein Begrabnis erhalten?«, fragte er verwundert. »Warum wurde er nicht auf den Scheiterhaufen geworfen und seine Asche in alle Winde verstreut, wie es bei Teufelsanhangern ublich ist?«

»Nun, er war Ratsmitglied, und seine Frau hat alles getan, damit er bestattet wird – um der Ehre der Familie willen.«

»Gibt es eine Untersuchung dieses Falles?«

Elisabeth drehte dem Grab nun ebenfalls den Rucken zu und zuckte die Schultern. »Ich wei? es nicht.«

»Wo befindet sich der Abschiedsbrief?«, wollte Andreas wissen.

»Ich habe keine Ahnung. Ludwigs Frau hat mir nur gesagt, dass ein Geistlicher ihn an sich genommen hat.«

Oben, im ersten Stock des Pfarrhauses, sah Andreas plotzlich einen Schemen hinter dem Fenster des Wohnraumes stehen. Pfarrer Hulshout musste aus der Universitat zuruckgekehrt sein. Vielleicht wusste er mehr als Elisabeth.

»Werdet Ihr mir helfen?«, fragte sie und sah ihn an. In der heraufziehenden Dammerung leuchteten ihre grunen Augen wie zwei Kerzen, wahrend ihr schmales, schones Gesicht allmahlich von den Schatten verzehrt wurde.

»Wie sollte ich Euch helfen konnen?«, fragte Andreas zuruck, doch in seinen Gedanken schmiedete er bereits Plane, wie er an den Abschiedsbrief seines Freundes heranzukommen vermochte.

»Ludwigs Tod war nie und nimmer ein Selbstmord«, sagte Elisabeth mit einer stahlernen Kraft in der Stimme, die Andreas durch Mark und Bein fuhr. »Es ist Eure Pflicht als sein bester Freund, die Umstande dieses Todes zu klaren. Ihr habt die besten Moglichkeiten dazu.«

Er ergriff ihren Arm und zog sie sanft auf den Hauseingang zu. Der Kirchhof war nach Einbruch der Dammerung kein guter Ort. Andreas geleitete seine Besucherin durch die schattenverhangene Diele zur Vordertur und verabschiedete sie. Dann stieg er nach oben.

Pastor Hulshout war nicht mehr im Wohnzimmer; hier war alles dunkel. Vorsichtig klopfte Andreas an der Tur zur Studierstube des Geistlichen. Als er von drinnen ein gebrummtes »Herein« horte, druckte er die Tur langsam auf.

Hulshout sa? an einem langen Eichentisch, auf dem einige Pergamente und zwei Bucher lagen. Er schaute auf, erhob sich und ging langsam auf den jungen Kaplan zu. Sein sonst so melancholisches, ein wenig strenges Gesicht hellte sich bei jedem Schritt auf. Dann aber runzelte er die Stirn. »Ich habe dich vorhin drau?en auf dem Kirchhof gesehen«, sagte er. »Mit dieser Frau.«

»Ludwigs Schwester hat mir berichtet, was geschehen ist«, sagte Andreas langsam. Er konnte den alteren Geistlichen kaum mehr erkennen; das Zwielicht des Abends breitete sich im Zimmer aus. Hulshout ging zuruck zu seinem Tisch, auf dem eine kostbare Wachskerze stand, und zundete sie an. Das warme Licht lie? die Schatten tanzen. Der Pastor wies Andreas einen Stuhl neben dem Fenster an und setzte sich selbst wieder an den Tisch. »Ja, das ist eine furchtbare Geschichte«, sagte Hulshout leise. »Ich hatte nie vermutet, dass Ludwig Leyendecker ein Teufelsbundner sein konnte. Aber nun ist es bewiesen.«

»Gleichwohl hat er auf Eurem Kirchhof ein Begrabnis erhalten«, meinte Andreas und sah interessiert die beiden Bucher an, die auf dem blank gescheuerten Tisch lagen.

»Seine Frau glaubt zwar ebenfalls an Leyendeckers Pakt mit dem Erzfeind, aber wegen seiner Stellung im Rat hat sie erreicht, dass er wenigstens wie ein gewohnlicher Selbstmorder bestattet wurde. Der Kuster hat ihn unter die Erde gebracht; nur Ludwigs Frau und seine Schwester waren dabei. Vom Rat hat sich niemand gezeigt. Sie hatten wohl Angst, ihrem Ruf zu schaden.«

Andreas warf einen Blick durch das Fenster auf die dunkle Bursgasse. »Hat es eine Untersuchung wegen der angeblichen Teufelsbundnerschaft gegeben?«, fragte er.

Der Pastor stutzte das Kinn in beide Hande und sah Andreas mit sorgenvoller Miene an. »Ja. Ludwig Leyendecker wurde exkommuniziert, aber seine Witwe hat es erreicht, dass sein Vermogen nicht eingezogen worden ist.«

»Ach?« Andreas richtete sich auf seinem Stuhl auf. »Wem gehort denn jetzt das Leyendecker’sche Weinhandelskontor?«

»Seiner Frau, soweit ich wei?. In Koln ist es Frauen erlaubt, Handel zu treiben und ein Kontor zu leiten. Sie hat mir gesagt, dass sie das Lebenswerk ihres Mannes weiterfuhren will.«

»Was haltet Ihr von diesem Teufelspakt?«, fragte Andreas unvermittelt.

Hulshout runzelte die Stirn. »Nun, ich habe keine Einzelheiten uber ihn gehort, aber es ist bekannt, dass es so etwas gibt.« Er schlug mit der flachen Hand auf einen der beiden Folianten vor sich. »Im Fortalitium Fidei dieses getauften Juden, im funften Buch uber den Krieg der Damonen gegen die Feste des Glaubens, werden solche Dinge eingehend beschrieben. Ich glaube, es war gut, dass du mich uberredet hast, dieses Buch zu erwerben.« Er hielt inne und bedachte den Band mit einem Blick, in dem ein Quantchen Abscheu lag. »Auch wenn ich gestehen muss, dass ich diese moderne Druckerkunst nicht schatze. Der Text sieht aus, als ware er von Hand geschrieben, doch dabei hat ihn eine seelenlose Vorrichtung hervorgebracht.

Das jagt mir manchmal einen Schauer uber den Rucken. Vielleicht ist diese neue Kunst, die man auch die schwarze nennt, ebenfalls Teufelswerk.«

»Diese schwarze Kunst, wie Ihr sie nennt, wird einmal dazu beitragen, das Wissen erschwinglicher zu machen«, gab Andreas zu bedenken.

»Wozu?«, hielt Hulshout entgegen. »Es wird immer nur wenige geben, die Wissen schatzen und nutzen. Da reicht es, ein Buch abzuschreiben und es so mit Leben zu fullen. Au?erdem sind die Handschriften auch nicht viel teurer. Allerdings muss ich gestehen, dass mir bislang keine Handschrift dieses Werkes begegnet ist.« Er rausperte sich. »Was uns fehlt, ist ein umfassendes Kompendium der teuflischen Kunste, damit man sofort die Spreu vom Weizen trennen kann.«

»Mir erscheinen die teuflischen Kunste durchweg als sehr menschlich. Auch wenn die Doctores und Professores etwas anderes behaupten, ist mir noch kein Beweis des Damonischen in der Welt untergekommen«, sagte Andreas und setzte sich aufrecht auf den unbequemen Stuhl.

»Vielleicht gibt es im Fall deines Freundes einen solchen Beweis«, erwiderte Hulshout und schlug das schwere Buch auf. »Ich habe von einem schriftlichen Teufelspakt gehort, den Ludwig Leyendecker eingegangen sein soll.«

Andreas hob erstaunt die Brauen. Ein schriftlicher Pakt? Also das gro?e Gerucht, das sich noch nie bestatigt hatte? Ungeheuerlich! Dieses Schriftstuck musste er sehen. Unbedingt! Aber wie sollte er an es herankommen? »Existiert dieser Pakt noch?«, fragte er und bemuhte sich, seine Stimme nicht allzu aufgeregt klingen zu lassen.

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