finden? Andreas wollte bereits wieder gehen, als etwas Glei?endes seine Aufmerksamkeit gefangen nahm.

Es lag vor dem Tor des Lagerhauses. Er ging darauf zu, buckte sich und hob es auf. Es war ein in Silber gefasstes Amulett, das eine Hand darstellte. Der Daumen steckte zwischen Zeigefinger und Mittelfinger. Ein Amulett gegen den bosen Blick.

Ein Amulett, wie Dulcken derer viele an seiner Kleidung trug.

SECHSUNDZWANZIG

»Das bedeutet nichts Gutes«, sagte Elisabeth leise, nachdem sie Andreas’ Geschichte gehort hatte. Sie unterhielten sich gedampft in der Sakristei von Sankt Kolumba, denn sie wollten Pfarrer Hulshout aus dem Weg gehen. Der alte Priester hatte die beiden Frauen empfangen, als Grete sie gerade nach oben fuhren wollte, und ihnen nahe gelegt, endlich das Pastorat zu verlassen. Ihre Anwesenheit sei unziemlich und lenke Andreas Bergheim von seinen Pflichten ab. Elisabeth und Anne hatten daraufhin vor der Tur auf Andreas gewartet. Zur Besprechung des weiteren Vorgehens hatten sie sich in die Sakristei zuruckgezogen.

Der beinahe quadratische Raum wurde von einem Kreuzrippengewolbe getragen, das auf einer einzigen stammigen Saule ruhte. Er war in Dunkelheit getaucht; nur eine Kerze auf dem Tisch, auf dem einige der Paramente ausgelegt waren, spendete etwas Licht. Golden glanzten Kelche und Ziborien, Beschlage von Messbuchern und die Stickereien der Gewander. Der Kerzenschein flackerte uber ein kleines Altarbild auf dem Tisch, das vor einem ruhigen Goldgrund die zart gemalte Begegnung von Maria und Elisabeth darstellte.

Elisabeth warf einen Blick auf das Bild, das von unirdischem Glanz erhellt schien, und dachte daran, wie das Kind im Leib der alten Frau gehupft war, als es die Nahe des Erlosers spurte. Sie schluckte. Nie wurde sie ein solches Gefuhl erfahren. Andreas’ Worte rissen sie aus ihren Gedanken.

»Es war bestimmt eines von Dulckens Amuletten. Ich glaube mich an es zu erinnern. Ich fand es obszon«, sagte der junge Geistliche. »Es ist schlimm, dass dieses Zauberwerk immer noch so sehr unter den Leuten verbreitet ist.«

»Alle Spuren scheinen im Leyendecker’schen Haus zusammenzulaufen«, sagte Anne.

»Ja«, pflichtete Elisabeth ihr bei. »Wir mussen…«

»Gar nichts musst du!«, donnerte eine Stimme hinter ihr. Niemand hatte den Eindringling kommen sehen. Alle drei drehten sich gleichzeitig um.

In der geoffneten Tur stand, rund und gro?, eine Gestalt, die eine Laterne in der Hand hielt. Deren Licht machte die Person zu einem ungeschlachten Schatten. Doch Elisabeth musste sie nicht erkennen, um zu wissen, wer sie war.

»Heinrich!«, entfuhr es ihr.

»Ja, ich bin es, dein Gemahl, du untreue Hure!« Er machte einen schnellen Schritt auf Elisabeth zu, doch Andreas stellte sich ihm sofort in den Weg.

»Was willst du, Pfaffe? Geh fort, du hast hier nichts zu suchen«, polterte Heinrich Bonenberg. Nun stand Andreas so nahe vor ihm, dass er das Wams deutlich sehen konnte, das sich uber den enormen Bauch spannte, und das Antlitz, das zu einer Maske des Hasses geworden war. Das Licht aus der Laterne warf Schatten auf sein breites Gesicht.

»Im Gegenteil«, erwiderte Andreas ruhig. »Ihr seid es, der hier nichts zu suchen hat. Das hier ist das Haus Gottes.«

»Es ist das Haus des Teufels, denn es beherbergt einen Teufel – oder besser gesagt, eine Teufelin!«, schrie Bonenberg und versuchte, Andreas beiseite zu schieben. Dieser wehrte sich und streckte abwehrend die Arme aus.

»Beherrscht Euch!«, sagte er mit kalter, schneidender Stimme. Tatsachlich blieb Heinrich Bonenberg stehen und schaute den jungen Geistlichen an, als sei dieser ein seltenes, moglicherweise gefahrliches Tier. Andreas fuhr fort: »Ich habe gehort, was Ihr Elisabeth angetan habt. Wenn Ihr nicht wollt, dass Ihr in arge Schwierigkeiten kommt, solltet Ihr diesen geweihten Boden jetzt verlassen.«

Bonenberg trat einen Schritt zuruck, und die Schatten umschlossen ihn wieder. »Ich gehe nicht ohne meine Frau.«

»Dann wirst du wohl fur ewig hier bleiben mussen«, meinte Elisabeth ungeruhrt und stemmte die Hande in die Huften. Sie war stolz auf das mutige Verhalten des Priesters. Sie hatte sich nicht in ihm getauscht.

Bonenberg lachte auf, aber es klang gepresst. »Ich werde dich bis zu meinem Haus prugeln, wenn es sein muss. Ich werde dir jeden Knochen im Leib einzeln brechen, wenn es sein muss. Ich werde dich an den Haaren durch die Gosse ziehen, wenn es sein muss.« Er ruhrte sich jedoch nicht. »Du bist immer noch meine Frau. Du gehorst mir.«

»Sie gehort niemandem au?er Gott und sich selbst«, warf Andreas kuhl ein. »Geht jetzt. Eure Frau wird zu gegebener Zeit zu Euch zuruckkehren, doch jetzt haben wir Wichtigeres zu tun.«

»Wichtigeres?«, polterte Heinrich Bonenberg. »Worum geht es hier uberhaupt? Wer ist diese andere Frau?« Er zeigte auf Anne. »Und was soll die ganze Heimlichtuerei?«

»Ich glaube, es ist an der Zeit, dass Ihr eingeweiht werdet«, uberlegte Andreas laut. Als Heinrich darauf nichts antwortete, warf der Priester einen raschen Blick auf Elisabeth. Sie nickte ihm zu. Er berichtete ihrem Mann von den gemeinsamen Nachforschungen und schloss mit dem Verdacht, Dulcken sei der Schlussel zu der ganzen Angelegenheit.

»Dulcken? Johannes Dulcken?«, fragte Heinrich verblufft. Er hatte die ganze Zeit schweigend zugehort und die Stirn in Falten gelegt. Es war deutlich zu sehen, wie er nachdachte. Alle Wut schien ihn fur den Augenblick verlassen zu haben. »Dulcken habe ich heute noch gesehen.«

»Im Leyendecker’schen Haus?«, platzte Elisabeth heraus.

Ihr Mann sah sie scharf an und zog die Brauen zusammen. Es schien, als habe er eine bose Bemerkung auf der Zunge, doch er sagte nur: »Nein, weit drau?en im Westen, in der Gegend von Sankt Severin.«

»Wann war das?«, wollte Andreas wissen.

»Oh, vor vielleicht einer Stunde. Es war ganz seltsam.«

Nun sahen ihn drei Augenpaare in gespannter Erwartung an. Heinrich holte tief Luft und strich sich uber den gro?en Bauch.

Er machte noch einen Schritt in die Sakristei hinein, stellte seine Laterne auf dem Boden ab und hielt sich an der Saule fest, als musse er zuerst seinen Korper stutzen, um dadurch seine Gedanken zu festigen. Er fuhr sich mit der Hand uber die Augen. »Ich kam aus Richtung Bonn durch das Severinstor und ritt die Severinstra?e entlang. Am Wirtshaus bei der Eiche habe ich mir einen Schoppen Bier genehmigt. Da kam Dulcken mit seinem Bauchladen herein. Die Amulette klirrten an seinem Korper wie ein kleines Glockenspiel. Er wirkte irgendwie verzweifelt und versuchte, dem Wirt Nesselkraut und Wacholderholz zu verkaufen, damit ihm der bereits angestochene Wein nicht umgehe. Der Wirt wollte davon aber nichts wissen und hat Dulcken hinausgeworfen. Da ich kurz danach aufgebrochen bin, konnte ich noch sehen, wie er in Richtung der Weingarten hinter Sankt Severin humpelte. Er ruderte mit den Armen wie ein Schwachsinniger und verschwand zwischen den Hecken.«

»Und das war erst vor einer Stunde?«, fragte Andreas. Heinrich nickte.

Elisabeth sah ihren Gatten misstrauisch an. »Seit wann bist du wieder in Koln?«, fragte sie.

Er bedachte sie mit einem abschatzigen Blick. »Ich bin von London geradewegs nach Bonn gereist und habe die Stadt erst heute wieder betreten. Ich war noch nicht einmal in der Rheingasse.«

»Woher hast du gewusst, dass ich hier bin?«, fragte Elisabeth und kniff die Augen zusammen.

Heinrich rausperte sich. »Im Wirtshaus bei der Eiche habe ich Ansgar Dorst getroffen.«

»Deinen Schreiber?«, wunderte sich Elisabeth. »Was hat der denn so weit drau?en gemacht?«

»Ganz recht, meinen Schreiber. Ich freue mich, dass du dich noch an ihn und an unser gemeinsames Zuhause erinnerst«, brummte Heinrich. »Er hat mir verraten, dass du und deine Freundin bei diesem Pfaffen Unterschlupf gefunden habt. Er scheint es von der Magd deines geistlichen Freundes zu wissen, die mit Lise, unserer Hauptmagd, verwandt ist. Du siehst, auch Koln ist nur ein Dorf. Hast du wirklich geglaubt, du konntest mir entkommen?« Er lachelte Elisabeth kalt an und sah von ihr zu Anne. Elisabeth bemerkte, wie ihre Freundin erblasste.

»Was ist mit Dulcken?«, fragte Andreas und naherte sich Heinrich langsam.

»Vielleicht hat er sich irgendwo zwischen den Reben einen Schlafplatz gesucht. Es scheint ihm ja nicht sehr

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