Verschworung verstrickt war, deren Zeuge Ludwig Leyendecker in London geworden war. Und nun hatte sich Andreas unwissend in seine Gewalt begeben.

»Das geht mich nichts an«, brummte Palmer, der offenbar unsicher geworden war und nicht mehr wusste, was er tun sollte.

»Wohin sind sie gegangen?«, fragte Hulshout mit deutlichem Zweifel in der Stimme.

»In den Leyendecker’schen Weingarten bei Sankt Severin«, antwortete Elisabeth und sah den Geistlichen scharf an. »Wir mussen sofort etwas unternehmen.«

»Anne, komm!«, herrschte Palmer seine Frau an.

»Nur, wenn du uns hilfst«, entgegnete seine Frau und stemmte mutig die Fauste in die Huften. »Wie bist du uberhaupt aus dem Kerker herausgekommen?«

»Ich bin Englander. Der Richter hat bekommen Angst, denn man hat ihm gesagt, er darf mich nicht verurteilen. Er hat es endlich verstanden wohl. Ich bin frei.«

Anne ging auf ihn zu und schlang ihm die Arme um den Hals. Elisabeth traute ihren Augen nicht. Dann kusste sie ihren Mann. Er entspannte sich. Nun erlaubte sich Elisabeth ein leises Lacheln. Die Waffen einer Frau waren immer noch die wirksamsten. Anne flotete: »Ich gehe mit dir, wohin du willst, wenn du uns jetzt hilfst.«

Edwyn sah sie an; sein Mund verzog sich zu einem Lacheln. Er packte sie und druckte sie grob an sich. »Mein Madchen! Was soll ich tun?«

Ob sie wirklich bei ihm bleiben wird?, dachte Elisabeth. Sie wurde darauf keine Wette eingehen. »Kommt mit uns in den Weingarten. Sofort!«, befahl sie.

Hulshout entschuldigte sich mit seinem Alter und seinem angeblich schlechten Gesundheitszustand; die ubrigen drei machten sich auf den Weg. Anne hatte sich bei Palmer eingehangt und kusste ihn immer wieder. Ihr Mann gab die Gunstbezeugungen gern zuruck. Es wirkt so echt, dachte Elisabeth. Hatte Edwyns Nahe etwa tatsachlich ausgereicht, um Anne umzustimmen? Wenn dem so war, dann verstand Elisabeth ihre Geschlechtsgenossinnen wirklich nicht mehr. Die Hauptsache aber war, dass sie zu Andreas unterwegs waren. Ihn wurde man sicherlich nicht so leicht hinters Licht fuhren konnen. Er war so geradlinig und freundlich, so zuvorkommend und lieb. Elisabeth machte sich schreckliche Sorgen um ihn. In Gedanken sah sie ihn schon enthauptet, erstochen oder erwurgt zwischen den Rebstocken liegen. Das Herz schlug ihr bei jedem Schritt bis zum Hals.

Sie hatten keine Laterne dabei, doch inzwischen schien der Mond immer haufiger zwischen den Wolken hindurch. Elisabeth kannte den Weg und fuhrte die beiden anderen an. Hinter sich horte sie immer wieder das Schmatzen von Kussen.

Sie kannte die Schleichwege, auf denen man die in der Nacht gesperrte Severinstra?e umgehen konnte. Die Nacht war unheimlich still. Alles schien Schweigen und Weltenferne auszuatmen: die kleinen, schiefen Hauser, der Lehm in den Gassen, die Baume, durch deren Laub nicht der geringste Luftzug fuhr, ja sogar die fernen Sterne, die wie die Augen unzahliger Engel oder Damonen auf die Erde hinabblickten.

Bald hatten sie die Weingarten erreicht. Elisabeth fiel der Handkarren in der Nahe des alten Bildstocks auf, nicht weit davon war scheinbar jemand durch die Hecke gebrochen. Sie blieb vor dem Durchgang stehen und drehte sich nach ihren Gefahrten um. Annes Kleid war ein wenig verrutscht, und ihre Wangen waren im kalten Mondlicht rot wie Apfel im Spatherbst. Palmer sah glucklich und kraftstrotzend aus. Elisabeth schuttelte verstandnislos den Kopf. Wieso machten sich Manner so leicht zum Narren?

Ist es bei Frauen anders?, dachte sie, als sie Anne ansah. Sie wurde das Gefuhl nicht los, dass Anne nicht nur aus Berechnung gehandelt hatte.

Elisabeth legte den Finger auf die Lippen und schlupfte durch das Loch in der Hecke. Die beiden folgten ihr. Der Mond verschwand hinter einer dicken Wolke, und Schwarze legte sich uber den nachtlichen Weingarten. Da sah Elisabeth das Licht. Es dammerte durch die Reben und schien irgendwo rechts vor ihr seinen Ursprung zu haben. Sie erstarrte und lauschte. Waren das nicht menschliche Stimmen? Sie warf Anne und Edwyn einen fragenden Blick zu. Der Englander nickte und krempelte sich die Armel hoch. Leise und behutsam schlichen sie sich an die Stimmen heran. Bald erkannte Elisabeth die hohe Stimme Barbara Leyendeckers und die dumpfe von Heinrich Bonenberg. Ihr blieb beinahe das Herz stehen, als sie daneben auch Andreas’ leise Worte horte. Er lebte! Doch dann schien ein Kampf einzusetzen. Elisabeth lief geduckt an den Reben vorbei, Edwyn und Anne folgten ihr. Von hinten schlichen sie sich an die Gruppe an, die viel zu sehr mit sich selbst beschaftigt war, um die Neuankommlinge zu bemerken. Verdutzt sah Elisabeth, wie Bonenberg uber Barbara herfiel und sie wurgte. Palmer schoss an ihr vorbei und umfasste den uberraschten Kaufmann von hinten. Er riss ihm die Arme zur Seite, und Elisabeth sturzte auf den am Boden hockenden, gefesselten jungen Geistlichen zu. In seinen Augen strahlte die Freude, als er sah, wer da zu seiner Rettung gekommen war. Mit dem kleinen Messer an ihrem Gurtel schnitt Elisabeth rasch Andreas’ Fesseln durch. Anne hingegen lief hinter der fliehenden Leyendeckerin her. »Haltet sie auf!«, rief Andreas. »Sie gehort zu der Verschworung!«

Elisabeth wollte sich um ihn kummern, doch er stie? sie von sich und sagte schnell: »Verfolgt sie. Sie darf uns nicht entwischen.«

Palmer kampfte mit Heinrich Bonenberg. Dem stammigen Englander fiel es nicht schwer, den massigen, unbeweglichen Kaufmann zu uberwaltigen. Mit den Seilstucken, die Andreas gebunden hatten, fesselte er nun seinen Widersacher und zwang ihn auf die Knie. Das Licht aus der Laterne, die noch immer auf dem Boden unweit des Kampfplatzes zwischen den Reben stand, malte tiefe Schatten auf die hohnverzerrte Fratze des Kaufmanns. Andreas wollte einfach nicht glauben, was er da sah. Dieser rothaarige, grobe Mann hatte ihn zusammen mit Dulcken uberfallen; er war der Folter unterworfen worden, hatte sich offensichtlich aus dem Gefangnis befreien konnen und stand nun ihm sowie Elisabeth zur Seite. Au?erdem schien sich seine Frau mit ihm versohnt zu haben. Er verstand die Welt nicht mehr. Was war richtig, was falsch? Wer stand auf wessen Seite? Gab es noch ein Gut und ein Schlecht? Zumindest schien Palmer ihm nichts mehr antun zu wollen. Andreas rappelte sich auf und stellte sich vor Bonenberg. Die Beine zitterten ihm gehorig, und er atmete schwer. »Welche teuflischen Plane habt Ihr verfolgt?«, fragte er keuchend.

Bonenberg grinste ihn nur an. Er sagte nichts. Der Englander versetzte ihm einen harten Schlag gegen das rechte Auge. Bonenberg fiel nach hinten. Palmer zerrte ihn an den Fesseln wieder auf die Knie und knurrte: »Rede!«

Das rechte Auge des Kaufmanns schwoll an; er konnte es kaum mehr offnen. Aus einer Platzwunde floss Blut an der Wange herunter bis zum Mund. Er streckte die Zunge heraus und kostete von seinem eigenen Lebenssaft. Er grinste. Andreas erschauerte. Das war der Teufel selbst. Niemals hatte er hinter Heinrich Bonenberg ein so entsetzliches Wesen vermutet. Die Schmerzen schienen ihm gar nichts zu bedeuten.

Palmer war ein ungeduldiger Mensch. Als der Kaufmann auf seinen Befehl nicht reagierte, versetzte er ihm einen weiteren Schlag, diesmal in die Magengrube. Bonenberg stie? pfeifend die Luft aus und krummte sich. Palmer riss ihm den Kopf an den Haaren hoch. »Rede!« Gerade als er erneut ausholen wollte, kamen Elisabeth und Anne mit Barbara Leyendecker zuruck, die sie eng zwischen sich genommen hatten. Die Witwe wand sich wie eine Schlange. Als sie vor Andreas stand, spuckte sie ihm ins Gesicht. »Euer feiner Freund, mein Mann, war ein gemeines Scheusal!«, kreischte sie. »Er kannte nichts anderes als seinen eigenen Gewinn und hat mich damit in die Arme eines anderen getrieben.«

Andreas wischte die Spucke weg und trat zuruck. Die beiden Frauen fuhrten Barbara zu dem Englander; sie konnten ihre Gefangene kaum mehr bandigen. Palmer versetzte ihr eine kraftige Ohrfeige, dann riss er ihr ein langes Stuck Stoff aus dem Mantel. Damit band er ihre Hande hinter dem Rucken zusammen. Er hatte nicht bemerkt, wie nahe sie dabei vor dem knienden Bonenberg stand. Die Leyendeckerin holte mit dem Fu? weit aus und trat dem Kaufmann mit ihrem spitzen Schuh in den Schritt. Bonenberg jaulte auf. Als sie erneut zutreten wollte, wurde sie von Andreas gehindert. »Dieses Schwein!«, schrie sie. »Auch er hat mich missbraucht! Er hat nichts anderes als Ludwig verdient!«

»Es ist nicht an Euch, ihn zu richten«, wies Andreas sie zurecht. Anne und Elisabeth setzten sie ziemlich unsanft in einiger Entfernung ihres ehemaligen Geliebten auf den Boden und lehnten sie gegen einen besonders dicken, knorrigen Rebenstamm.

Bonenberg war stumm zusammengesackt. Palmer riss ihn wieder hoch. »Rede endlich!« Er hob die Faust.

Andreas beruhrte ihn sanft am Arm und schuttelte den Kopf. Dann kniete er sich vor Bonenberg. »Ihr habt gesagt, dass Ludwig und Dulcken aus einem Grund sterben mussten, den wir nie erraten wurden. Euch bleibt nun

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