keine Wahl mehr. Ihr seid am Ende Eures Weges angelangt. Also konnt Ihr es uns endlich sagen. Ihr durft sogar beichten. Ich werde das, was Ihr mir in der Beichte anvertraut, niemandem erzahlen.«

Bonenberg sah Andreas mit seinem einen Auge bose an; das andere war inzwischen zugeschwollen. »Nichts werde ich dir sagen. Gar nichts.«

Andreas zuckte die Achseln und stand auf. Seine Geduld war am Ende. Dieses Scheusal hatte es nicht besser verdient. Er nickte dem Englander zu. Seine Faust traf das gesunde Auge. Er schlug immer wieder zu, bis Bonenbergs Gesicht eine Masse aus Blut und geschwollenem Fleisch war. Andreas bemerkte entsetzt, dass er diesem schrecklichen Schauspiel mit einigem Behagen zusah. Doch der Kaufmann grinste immer noch und sagte kein Wort. Das Licht in der Laterne verlosch, die Kerze war ausgebrannt, und der Mond hatte sich inzwischen hinter Sankt Severin versteckt. Die Kirche lauerte wie ein riesiges, sprungbereites Tier jenseits der Weingarten. Man sah kaum mehr etwas und horte nur das rochelnde, schwere Atmen des geschundenen Kaufmanns. Die Zeit schien stillzustehen. Andreas wusste nicht mehr, was man noch tun konnte. Auch Elisabeth schien ratlos zu sein. Es war, als habe sich ein Tuch aus Blei uber die sechs Personen gelegt. Niemand ruhrte sich. Dann schlug die Glocke von Sankt Severin.

Die klaren Tone perlten durch die Luft und schienen den Himmel weit im Osten in ein zartes Rosa zu tauchen. Immer deutlicher dammerte nun der Morgen herauf. Vogel sangen und begru?ten das neue Licht. Andreas setzte sich in das taufeuchte Gras zwischen die Reben und stutzte den Kopf in die Hande. Palmer stand reglos da und schaute nach Osten. Barbara schluchzte leise; Elisabeth und Anne sa?en neben ihr. Es war nicht mehr zu erkennen, ob sie die Witwe bewachten oder ihr Trost spendeten. Dann schalten sich die unzahligen Giebel und Kirchturme der Stadt aus der Dunkelheit; schwarz standen sie vor dem roten Morgen. Ferne Glocken begru?ten den neuen Tag. Heinrich Bonenberg begann zu lachen.

»Warum lacht Ihr?«, fragte Andreas mude.

»Ihr wollt erfahren, warum Euer bester Freund sterben musste?«, erwiderte Bonenberg. Das Sprechen schien ihm schwer zu fallen.

Andreas bewegte sich nicht. »Ja«, sagte er nur leise und matt.

»Jetzt kann ich es Euch sagen. Bald wird eine schreckliche Explosion diese schone Stadt erschuttern. Es wird viele Tote geben, und Ihr konnt nichts mehr dagegen tun. Der Klang des Todes wird Musik in den Ohren all jener sein, die so heldenhaft gegen die Verhansung Kolns gekampft haben.«

Andreas begriff nicht, was er da horte. »Was hat die Verhansung mit alldem zu tun?«, fragte er und schaute in die Ferne hinter der neuen Sonne und der wiedergeborenen Stadt.

»Wir haben es vor allem dem Einfluss von Ludwig Leyendecker zu verdanken, dass sich die Befurworter des Englandhandels im Rat der Stadt durchgesetzt haben. Es war allen Beteiligten klar, dass damit die Entfernung aus dem Bund der Hanse eine beschlossene Sache war«, erklarte Bonenberg langsam und muhselig. »Und fur alle, die fur ihren Handel auf die Hanse angewiesen waren, bedeutete das den Ruin – zum Beispiel fur mich. Und auch fur Johannes Dulcken. Ludwig hingegen hatte traditionsgema? immer das gro?te Geschaft mit dem Stalhof gemacht und versprach sich durch den Hinauswurf der Stadt aus dem Hansebund noch bessere Geschafte. Vielleicht hatte er sogar uberlebt, wenn er nicht zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen ware.«

»Was willst du damit sagen?«, schaltete sich Elisabeth in das Gesprach ein. »Spielst du auf diese ratselhafte Zusammenkunft im Waterstone Inn in London an, an der du teilgenommen hast?«

»In der Tat«, meinte Bonenberg langsam. »Er hat uns durch Zufall belauscht und dabei erfahren, dass wir planen, das Rathaus der Stadt zu sprengen. Er hat aber nicht bemerkt, dass er uns aufgefallen war. Sofort nach seiner – und meiner – Ruckkehr nach Koln haben wir ihm die Schlinge um den Hals gelegt – im ubertragenen und im wortlichen Sinne.« Er kicherte. »Das Rathaus wird in dem Augenblick in die Luft fliegen, in dem der Rat zusammentritt. Wir haben uns den heutigen Tag ausgesucht, denn heute findet eine wichtige Sitzung statt, bei der alle Ratsherren anwesend sein werden – au?er den Verschworern naturlich. Selbst wenn ihr sofort zum Alten Markt und zum Rathaus eilen wurdet, kamet ihr zu spat.« Er lachte noch einmal glucksend. »Dann werden wir einen neuen Rat einsetzen, der den Englandhandel sofort einstellt und damit erreicht, dass die Verhansung ruckgangig gemacht wird.«

»Aber warum musste Dulcken sterben?«, fragte Andreas. Er hatte das Gefuhl, als sei er gelahmt. Ein solches Ma? an Damonie hatte er niemandem zugetraut. Er strich sich mit dem Finger uber die Unterlippe. Nicht einmal die Beruhrung vertrieb das Gefuhl der Unwirklichkeit.

»Dulcken war einer der Verschworer. Als sein Geschaft mit der Leyendeckerin wegen der Verhaftung seines Burgen geplatzt war, wollte er mich erpressen und drohte, den Plan aufzudecken, wenn ich ihm nicht eine gewaltige Summe Geldes gabe. Barbara hatte ich gesagt, er sei uns beiden auf die Schliche gekommen. Und dieses dumme Madchen hat es geglaubt – wie alles, was ich ihr gesagt habe.« Bonenberg spuckte aus. »Ich habe sie nie geliebt. Sie war willig und ein gutes Werkzeug zur Durchfuhrung meiner Plane.« Andreas horte lautes Schluchzen aus Richtung der drei Frauen. Beinahe tat ihm Barbara Leyendecker Leid.

»Hast du mich auf meiner Ruckreise von London verfolgen und uberfallen lassen? Haben wir auch diese Teufelei dir zu verdanken?«, fragte Elisabeth mit leiser, aber stahlharter Stimme.

Bonenbergs verwustetes Gesicht verzog sich wieder zu einem Grinsen. »Hast du etwa geglaubt, ich wurde dir dein Verhalten einfach so durchgehen lassen? Du bist wie ein Muhlstein an meinem Hals. Ich wollte dich tot sehen. Leider ist mir das nicht gelungen. Ich wollte dich hier in Koln totschlagen, als ich horte, dass du den Angriff uberlebt hast, aber es war wichtiger, zuerst diesen Pfaffen zum Schweigen zu bringen und erst dann an dir Rache zu nehmen. Er ahnte zu viel. Das war wohl eine falsche Entscheidung.«

Bonenberg setzte hinzu: »Dennoch ist mein Plan aufgegangen. Der gro?e Plan ist wichtiger als meine eigene Rache. Hort! Bald wird sich der Gesang der Vogel in die Todesschreie der Verdammten verwandeln. Und ihr konnt nichts mehr dagegen unternehmen.« Er lachte. Unzahlige Damonen lachten aus ihm.

NEUNUNDZWANZIG

Andreas und Elisabeth rannten durch die erwachende Stadt. Die Ketten wurden gerade wieder in ihre kleinen Hauschen gelegt, die Stra?en waren frei, erste Schweineherden wurden umhergetrieben, Kuhe auf ihre Weiden innerhalb der Stadtmauern gebracht, Karren standen im Weg, Kaufleute und Edelmanner ritten auf teuren Rossen, und allesamt behinderten sie den Weg der beiden. Fragende und missbilligende Blicke trafen sie uberall; man war es nicht gewohnt, einen Priester und eine vornehme Frau in irrer Hast durch die Pfutzen und uber das holperige Pflaster eilen zu sehen.

Palmer und seine Frau waren im Weingarten zuruckgeblieben und hatten versprochen, sich um Bonenberg und die Witwe Leyendecker zu kummern. Andreas horte die Glocken von Sankt Severin, Sankt Katharina, Sankt Johannes und des Karmeliterklosters und erwartete jeden Augenblick, die gewaltige Detonation zu horen. Bestimmt kamen sie zu spat. So viele Menschenleben wurden vernichtet werden, und das alles nur wegen Gewinnstreben und Machtgier.

Als das Seitenstechen zu stark wurde, musste Andreas stehen bleiben. Elisabeth hielt neben ihm an; sie schien ausdauernder zu sein als er. »Wir mussen… weiter«, keuchte er und krummte sich.

»Ihr schafft es«, munterte Elisabeth ihn auf, die selbst schon ein wenig atemlos war. »Wir schaffen es.« Sie gingen weiter, so schnell sie konnten, uberquerten den Waidmarkt, auf dem die Handler ihre Farberpflanzen auslegten und schon die ersten Kunden aus den umliegenden Farbereien die Waren begutachteten, eilten die Hohe Pforte entlang, wo fruher das Romertor gestanden hatte, bogen vor dem Augustinerkloster, dessen Glocken inzwischen schwiegen, nach rechts ab und tauchten in das Gewirr der Gassen ein, die das Rathaus mit seinem weithin sichtbaren Turm umgaben. Andreas hatte sich verkrampft, weil er auf die Explosion wartete. Doch sie kam nicht.

Als sie den Alten Markt mit seinem gro?en Brunnen erreicht hatten, an dem sich die Magde bereits zum morgendlichen Schwatz eingefunden hatten, sagte Andreas: »Wir sollten uns im Rathaus trennen. Wenn die Explosion ihre volle Sprengkraft entfalten soll, wird das Schwarzpulver wahrscheinlich in den Kellergewolben versteckt sein. Bestimmt ist der Rat schon zusammengekommen. Ihr musst die Versammlung warnen.« Elisabeth nickte.

Als sie den Platz vor dem Rathaus erreicht hatten, sahen sie den Ratsherrn Krantz in seinem schwarzen Tabbard und dem hohen spanischen Hut in einiger Entfernung vom Portal auf und ab gehen. Hoffnung durchstromte

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