Gruppe war uberlebensnotwendig. Ausgesto?en zu werden, bedeutete den sicheren Tod. Fortpflanzung, Verteidigung und der gro?te Teil der Jagd waren fur einen Einzelnen unmoglich. Wir brauchten die andern dazu. Einzelgangerische Irrlaufer – und von denen gab es sicher welche – sind aus dem Genpool verschwunden. Darum sind wir so ubertrieben auf Leute fixiert. Darum denken wir etwa zu 90 % unserer Zeit an Leute und verwenden nur 10 % auf situative Zusammenhange.

Fazit: So sehr uns das Schauspiel des Lebens fasziniert, die Menschen auf der Buhne sind keine vollendeten, selbstbestimmten Personlichkeiten, sondern taumeln von Situation zu Situation. Wenn Sie das Stuck, das gerade gespielt wird, wirklich verstehen wollen, dann achten Sie nicht auf die Darsteller. Achten Sie vielmehr auf den Tanz der Einflusse, dem die Schauspieler unterworfen sind.

DIE FALSCHE KAUSALITAT

Warum Sie nicht an den Storch glauben sollten

Fur die Bewohner der Hebriden, einer Inselkette im Norden Schottlands, gehorten Lause im Haar zum Leben. Verlie?en die Lause ihren Wirt, wurde er krank und bekam Fieber. Um das Fieber zu vertreiben, wurden kranken Menschen deshalb absichtlich Lause ins Haar gesetzt. Der Erfolg gab den Hebridianern augenscheinlich recht: Sobald die Lause sich wieder eingenistet hatten, ging es dem Patienten besser.

Eine Untersuchung der Feuerwehreinsatze in einer Stadt ergab, dass der Brandschaden mit der Anzahl der jeweils eingesetzten Feuerwehrleute korrelierte: Je mehr Feuerwehrleute im Einsatz standen, desto gro?er der Brandschaden. Der Burgermeister verhangte sofort einen Einstellungsstopp und kurzte den Etat.

Beide Geschichten sind aus dem Buch Der Hund, der Eier legt, und sie zeigen die Verwechslung von Ursache und Wirkung. Die Lause verlassen den Kranken, weil er Fieber hat – sie bekommen ganz einfach hei?e Fu?e. Wenn das Fieber abgeklungen ist, kommen sie gerne wieder. Und je gro?er der Brand, desto mehr Feuerwehrleute werden eingesetzt – selbstverstandlich nicht umgekehrt.

Wir mogen uber diese Geschichten schmunzeln, doch die falsche Kausalitat fuhrt uns fast taglich in die Irre. Nehmen wir die Schlagzeile: »Gute Mitarbeitermotivation fuhrt zu hoherem Unternehmensgewinn.« Tatsachlich? Oder sind die Mitarbeiter vielleicht motivierter, weil es der Firma so gut geht? Wirtschaftsbuchautoren und Berater operieren oft mit falschen – oder zumindest ungesicherten – Kausalitaten.

Es gab in den 90er-Jahren niemand, der heiliger war als der damalige Chef der US-Notenbank, Alan Greenspan. Seine obskuren Au?erungen verliehen der Geldpolitik den Nimbus einer Geheimwissenschaft, die das Land auf dem sicheren Pfad der Prosperitat hielt. Politiker, Journalisten und Wirtschaftsfuhrer vergotterten Greenspan. Heute wissen wir, dass die Kommentatoren einer falschen Kausalitat zum Opfer gefallen waren. Amerikas Symbiose mit China – dem globalen Billigproduzenten und Glaubiger der amerikanischen Schulden – spielte eine viel wichtigere Rolle. Uberspitzt ausgedruckt: Greenspan hatte einfach Gluck, dass die Wirtschaft zu seiner Zeit so gut funktionierte.

Ein weiteres Beispiel: Wissenschaftler haben festgestellt, dass lange Verweilzeiten im Krankenhaus fur den Patienten nachteilig sind. Eine gute Nachricht fur alle Krankenkassen, denen es daran gelegen ist, die Aufenthaltsdauer ihrer Versicherten moglichst kurz zu halten. Aber naturlich sind Patienten, die gleich wieder entlassen werden, gesunder als solche, die lange bleiben mussen. Das liegt aber nicht daran, dass der lange Aufenthalt ungesund ware.

Oder nehmen Sie diese Headline: »Wissenschaftlich erwiesen: Frauen, die taglich das Shampoo XYZ verwenden, haben kraftigeres Haar.« Der Zusammenhang kann wissenschaftlich erhartet sein, besagt aber trotzdem nichts. Schon gar nicht, dass Shampoo Ihr Haar kraftiger macht. Genauso gut kann es namlich sein, dass Frauen mit kraftigem Haar tendenziell das Shampoo XYZ verwenden (vielleicht weil dort draufsteht: »speziell fur kraftiges Haar«).

Letzthin habe ich gelesen, dass Schuler, die aus bucherreichen Haushalten stammen, bessere Schulnoten erzielen. Diese Studie habe dazu gefuhrt, dass Eltern wie wild Bucher gekauft hatten. Ein schones Beispiel fur falsche Kausalitat. Wahr ist: Gebildeten Eltern ist die Ausbildung ihrer Kinder tendenziell wichtiger als ungebildeten. Und gebildete Eltern haben tendenziell mehr Bucher zu Hause stehen als ungebildete. Nicht die Bucher geben den Ausschlag, sondern der Bildungsgrad der Eltern – und deren Gene.

Das schonste Beispiel einer falschen Kausalitat ist der Zusammenhang zwischen dem Geburtenruckgang und der sinkenden Zahl von Storchenpaaren in Deutschland. Wenn man die beiden Entwicklungslinien zwischen 1965 bis 1987 aufzeichnet, liegen sie fast perfekt aufeinander. Stimmt es also doch, dass der Storch die Kinder bringt? Wohl nicht, denn das ist eine rein zufallige Korrelation und sicher keine Kausalitat.

Fazit: Zusammenhang ist nicht Kausalitat. Schauen Sie genau hin. Manchmal verlauft der Pfeil des Einflusses just in die Gegenrichtung. Und manchmal gibt es uberhaupt keinen Pfeil – wie bei den Storchen und den Babys.

THE HALO EFFECT

Warum schone Menschen leichter Karriere machen

Das Unternehmen Cisco aus dem Silicon Valley war der Liebling der New-Economy-Ara. Nach Auffassung der Wirtschaftsjournalisten machte es einfach alles richtig: die beste Kundenorientierung, eine perfekte Strategie, gro?es Geschick bei Akquisitionen, eine einzigartige Unternehmenskultur, ein charismatischer CEO. Im Marz 2000 war Cisco das wertvollste Unternehmen der Welt.

Als die Cisco-Aktie im folgenden Jahr 80 % verlor, warfen dieselben Journalisten dem Unternehmen nun genau das Gegenteil vor: schlechte Kundenorientierung, eine unklare Strategie, Ungeschick bei Akquisitionen, eine lahme Unternehmenskultur, ein blasser CEO. Und das, obwohl weder die Strategie noch der CEO gewechselt hatten. Die Nachfrage war eingebrochen – aber das hatte nichts mit Cisco zu tun.

Der Halo Effect besagt: Wir lassen uns von einem Aspekt blenden und schlie?en von ihm auf das Gesamtbild. Das Wort »Halo« hat nichts mit Begru?ung zu tun, sondern ist das englische Wort fur »Heiligenschein«. Im Fall von Cisco leuchtete er besonders hell: Die Journalisten lie?en sich von den Aktienkursen blenden und schlossen auf die internen Qualitaten der Firma, ohne ihnen genauer nachzugehen.

Der Halo Effect funktioniert immer gleich: Aus einfach zu beschaffenden oder besonders plakativen Fakten, zum Beispiel der finanziellen Situation eines Unternehmens, schlie?en wir automatisch auf schwieriger zu eruierende Eigenschaften wie die Gute des Managements oder die Brillanz einer Strategie. So tendieren wir dazu, Produkte eines Herstellers, der einen guten Ruf besitzt, als qualitativ wertvoll wahrzunehmen, selbst wenn es dafur keine objektiven Grunde gibt. Oder: Von CEOs, die in einer Branche erfolgreich sind, wird angenommen, dass sie in allen Branchen erfolgreich sein werden, ja selbst im Privatleben Helden sein mussen.

Der Psychologe Edward Lee Thorndike hat den Halo Effect vor fast 100 Jahren entdeckt. Eine einzelne Qualitat einer Person (zum Beispiel Schonheit, sozialer Status, Alter) erzeugt einen positiven oder negativen Eindruck, der alles andere »uberstrahlt« und so den Gesamteindruck unverhaltnisma?ig beeinflusst. Schonheit ist das am besten erforschte Beispiel. Dutzende von Studien haben nachgewiesen, dass wir schone Menschen automatisch als netter, ehrlicher und intelligenter betrachten. Auch machen attraktive Menschen nachweislich leichter Karriere – und das hat nichts mit dem Mythos (bei Frauen) des »Hochschlafens« zu tun. Der Effekt lasst sich schon in der Schule nachweisen, wo die Lehrer einem gut aussehenden Schuler unbewusst bessere Noten erteilen.

Die Werbung kennt den Halo Effect gut: Entsprechend viele Prominente lacheln von den Plakatwanden. Warum ein Tennisprofi ein Kaffeemaschinenexperte sein soll, ist rational nicht nachvollziehbar, tut aber dem Werbeerfolg keinen Abbruch. Das Perfide am Halo Effect ist gerade, dass er unbewusst bleibt.

Das gro?te Unheil richtet der Effekt an, wenn Herkunft, Geschlecht oder Rasse zum dominierenden Merkmal wird, das alle anderen Eigenschaften einer Person uberstrahlt. Dann sprechen wir von Stereotypisierung. Man muss kein Rassist oder Sexist sein, um ihr zum Opfer zu fallen. Der Halo Effect trubt unsere Sicht, so wie er Journalisten, Lehrer und Konsumenten benebelt.

Gelegentlich hat der Halo Effect auch schone Folgen – zumindest kurzfristig. Waren

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