Gurus? Wie viele Prognosen hat er in den letzten funf Jahren abgegeben? Wie viele davon haben sich bewahrheitet, wie viele nicht? Mein Wunsch an die Medien: Bitte veroffentlicht keine Prognosen mehr, ohne den Leistungsausweis des vermeintlichen Auguren anzugeben.

Zum Schluss, weil so treffend, ein Zitat von Tony Blair: »Ich mache keine Vorhersagen. Ich habe nie, und ich werde nie.«

THE CONJUNCTION FALLACY

Warum plausible Geschichten verfuhren konnen

Klaus ist 35. Er hat Philosophie studiert und sich seit dem Gymnasium mit Dritte-Welt-Themen auseinandergesetzt. Nach dem Studium arbeitete er zwei Jahre lang beim Roten Kreuz in Westafrika und dann drei Jahre im Genfer Hauptsitz, wo er zum Abteilungsleiter aufstieg. Anschlie?end machte er den MBA und schrieb seine Diplomarbeit uber »Unternehmerische Gesellschaftsverantwortung«. Frage: Was ist wahrscheinlicher? A) »Klaus arbeitet fur eine Gro?bank.« B) »Klaus arbeitet fur eine Gro?bank und ist dort zustandig fur die bankeigene Dritte-Welt-Stiftung.« A oder B?

Wenn Sie so ticken wie die meisten Menschen, werden Sie auf B tippen. Leider die falsche Antwort, denn Antwort B beinhaltet nicht nur, dass Klaus bei einer Gro?bank arbeitet, sondern dass eine zusatzliche Bedingung erfullt ist. Nun ist aber die Anzahl Menschen, die Banker sind und fur eine bankeigene Dritte-Welt-Stiftung arbeiten, eine winzige Teilmenge jener Menschen, die bei einer Bank arbeiten. Darum ist Antwort A viel wahrscheinlicher. Dass Ihnen vielleicht trotzdem B wahrscheinlicher schien, liegt an der Conjunction Fallacy. Dieser Denkfehler, fur den es bislang kein deutsches Pendant gibt, wurde vom Nobelpreistrager Daniel Kahneman und Amos Tversky erforscht.

Warum fallen wir auf die Conjunction Fallacy herein? Weil wir ein intuitives Verstandnis fur »stimmige« oder »plausible« Geschichten haben. Je uberzeugender, eindrucklicher, plastischer uns der Entwicklungshelfer Klaus geschildert wird, desto gro?er die Gefahr des Denkfehlers. Wenn ich Sie so gefragt hatte: »Klaus ist 35. Was ist wahrscheinlicher? A) Klaus arbeitet fur eine Bank. B) Klaus arbeitet fur eine Bank in Frankfurt auf der 24. Etage im Buro Nummer 57«, dann waren Sie nicht hereingefallen.

Hier ein weiteres Beispiel: Was ist wahrscheinlicher? A) »Der Flughafen Frankfurt ist geschlossen. Die Fluge wurden annulliert.« B) »Der Flughafen Frankfurt wurde wegen schlechten Wetters geschlossen. Die Fluge wurden annulliert.« A oder B? Diesmal liegen Sie bestimmt richtig: A ist wahrscheinlicher, denn B beinhaltet, dass eine zusatzliche Bedingung erfullt ist, namlich schlechtes Wetter. Es konnte ja auch sein, dass der Flughafen wegen Bombendrohung, Unfall oder Streik geschlossen wurde. Nur kommen uns diese Dinge angesichts einer »plausiblen« Geschichte nicht in den Sinn, zumindest, wenn wir nicht – wie Sie jetzt – dafur sensibilisiert sind. Machen Sie diesen Test mit Ihren Freunden. Sie werden sehen, die meisten tippen auf B.

Selbst Experten sind vor der Conjunction Fallacy nicht gefeit. An einem internationalen Kongress fur Zukunftsforschung im Jahr 1982 wurden die Fachleute – allesamt Akademiker – in zwei Gruppen aufgeteilt. Der Gruppe A tischte Daniel Kahneman folgendes Szenario fur das Jahr 1983 auf: »Der Olverbrauch sinkt um 30 %.« Der Gruppe B legte er dieses Szenario vor: »Der dramatische Anstieg des Olpreises fuhrt zu einer Reduktion des Olverbrauchs um 30 %.« Die Teilnehmer hatten anzugeben, wie wahrscheinlich sie »ihr« Szenario einschatzten. Das Ergebnis war eindeutig: Gruppe B glaubte viel starker an die ihr vorgelegte Prognose als Gruppe A.

Kahneman geht davon aus, dass es zwei Arten des Denkens gibt: zum einen das intuitive, automatische, unmittelbare Denken. Zum anderen das bewusste, rationale, langsame, muhsame, logische Denken. Leider zieht das intuitive Denken Schlusse, lange bevor das bewusste Denken in Fahrt kommt. So ging es mir zum Beispiel nach dem Attentat auf das World Trade Center vom 11. September 2001, als ich eine Reiseversicherung abschlie?en wollte. Eine clevere Firma machte sich die Conjunction Fallacy zunutze und bot eine spezielle »Terrorismusversicherung« an. Obwohl die anderen Versicherungen damals gegen alle moglichen Grunde von Reiseausfallen schutzten (Terrorismus inbegriffen), fiel ich auf das Angebot herein. Der Gipfel meiner Idiotie war, dass ich sogar bereit war, mehr fur die spezialisierte Versicherung zu bezahlen als fur eine ganz normale Reiseversicherung, die den Fall auch abgedeckt hatte.

Fazit: Vergessen Sie das Modethema »linke und rechte Gehirnhalfte«. Viel wichtiger ist der Unterschied zwischen dem intuitiven und dem bewussten Denken. Das intuitive Denken hat ein Faible fur plausible Geschichten. Bei wichtigen Entscheidungen tun Sie gut daran, ihnen nicht zu folgen.

FRAMING

C’est le ton qui fait la musique

»He, der Abfalleimer ist voll!« Oder: »Schatz, es ware furchtbar lieb, wenn du noch schnell den Abfalleimer leeren konntest.« C’est le ton qui fait la musique – der Ton macht die Musik. Der gleiche Sachverhalt, so oder so dargestellt, kommt ganz unterschiedlich an. Im Psychologenjargon spricht man von Framing.

Framing (deutsch: einrahmen, man spricht auch vom Rahmeneffekt) bedeutet: Auf die genau gleiche Sachlage reagieren wir unterschiedlich, je nachdem, wie sie dargestellt wird. Daniel Kahneman, der 2002 den Wirtschaftsnobelpreis erhielt, und sein Kollege Amos Tversky fuhrten in den 1980er-Jahren eine Befragung durch, bei der sie zwei Optionen einer Seuchenbekampfungsstrategie prasentierten. Das Leben von 600 Personen stand auf dem Spiel. »Option A rettet 200 Personen das Leben.« »Option B bewirkt mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Drittel, dass alle 600 Personen gerettet werden, und mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln, dass niemand gerettet wird.« Obwohl die Optionen A und B gleichwertig sind (der Erwartungswert liegt bei 200 Geretteten), wahlte die Mehrheit aller Befragten Option A – frei nach dem Motto: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. So richtig interessant wurde es, als genau dieselben Optionen einfach anderes formuliert wurden: »Option A totet 400 Personen.« »Option B bewirkt mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Drittel, dass niemand stirbt, und mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln, dass alle 600 Personen sterben.« Jetzt wahlte nur noch eine kleine Minderheit der Befragten A und die Mehrheit B. Also gerade umgekehrt als bei der ersten Befragung. Je nach sprachlicher Darstellung – retten vs. sterben – trafen die Befragten ganz andere Entscheidungen fur den identischen Sachverhalt.

Ein anderes Beispiel: Forscher prasentierten zwei Arten von Fleisch: »99 % fettfrei« und »1 % fetthaltig«. Die Befragten stuften das erste Stuck Fleisch als gesunder ein, obwohl die beiden Fleischarten identisch waren. Selbst bei der Auswahl zwischen »98 % fettfrei« und »1 % fetthaltig« entschieden sich die meisten Befragten fur die erste Variante – die doppelt so viel Fett enthielt.

Schonfarberei ist eine besonders gangige Spielart des Framing. Sinkende Aktienkurse werden als »Korrektur« bezeichnet. Ein uberzahlter Akquisitionspreis als »Goodwill«. In jedem Managementkurs lernen wir, dass ein Problem kein »Problem«, sondern eine »Chance« ist. Ein gefeuerter Manager ist jemand, der sein Leben »neu ausrichtet«. Ein gefallener Soldat – egal wie viel Pech oder Dummheit zu seinem Tod fuhrten – ist ein »Kriegsheld«. Volkermord ist »ethnische Sauberung«. Die gegluckte Notlandung, zum Beispiel auf dem Hudson in New York, wird als »Triumph der Aviatik« gefeiert. (Ware nicht keine Notlandung ein Triumph gewesen?)

Haben Sie schon einmal den Prospekt fur ein Finanzprodukt – zum Beispiel fur einen ETF, einen borsengehandelten Fonds – genauer angeschaut? Oft ist darauf die Performance der letzten Jahre abgebildet. Wie viele Jahre zuruck? So viele, dass eine moglichst schon ansteigende Kurve entsteht. Auch das ist Framing. Oder: Dasselbe Stuck Brot, entweder als »symbolischer« oder »wahrer« Leib Christi geframed, kann eine Glaubensrichtung spalten. So geschehen im 16. Jahrhundert.

Den Regeln des Framing gehorchen wir auch, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf nur einen oder wenige Aspekte des Ganzen lenken. Beim Kauf eines Gebrauchtwagens konzentrieren wir uns zum Beispiel auf den Kilometerstand, aber nicht auf den Zustand des Motors, der Bremsen, des Interieurs. Die Kaufentscheidung wird also durch den Kilometerstand beeinflusst. Das ist nur naturlich, denn wir konnen nie restlos alle Aspekte betrachten. Mit einem anderen Frame hatten wir vielleicht anders entschieden.

Schriftsteller setzen Framing ganz bewusst ein. Ein Krimi ware langweilig, wenn der

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