Erfolg. Animiert vom Erfolg zahlloser Gitarrenhelden grundet Reto eine Band. Wird er es je schaffen? Die Wahrscheinlichkeit liegt eine Haaresbreite uber null. Wie so viele wird er vermutlich auf dem Friedhof der gescheiterten Musiker landen. Diese Begrabnisstatte zahlt 10.000-mal mehr Musiker als die Showbuhne, doch kein Journalist interessiert sich fur die Gescheiterten – mit Ausnahme der heruntergefallenen Stars. Dies macht den Friedhof fur Au?enstehende unsichtbar.

Survivorship Bias (deutsch etwa: Uberlebensirrtum) bedeutet: Weil Erfolge gro?ere Sichtbarkeit im Alltag erzeugen als Misserfolge, uberschatzen Sie systematisch die Aussicht auf Erfolg. Als Au?enstehender erliegen Sie (wie Reto) einer Illusion. Sie verkennen, wie verschwindend gering die Erfolgswahrscheinlichkeit ist. Hinter jedem erfolgreichen Schriftsteller verbergen sich 100 andere, deren Bucher sich nicht verkaufen. Und hinter jedem dieser wiederum 100, die keinen Verlag gefunden haben. Und hinter jedem dieser wiederum Hunderte mit einem angefangenen Manuskript in der Schublade. Wir aber horen nur von den Erfolgreichen und verkennen, wie unwahrscheinlich schriftstellerischer Erfolg ist. Dasselbe gilt fur Fotografen, Unternehmer, Kunstler, Sportler, Architekten, Nobelpreistrager, Fernsehmoderatoren und Schonheitskoniginnen. Die Medien haben kein Interesse, auf den Friedhofen der Gescheiterten zu graben. Dafur sind sie auch nicht zustandig. Bedeutet: Diese Denkarbeit mussen Sie ubernehmen, wenn Sie den Survivorship Bias entscharfen wollen.

Der Survivorship Bias wird Sie spatestens beim Thema Geld erwischen: Ein Freund grundet ein Start-up. Zum Kreis der potenziellen Investoren gehoren auch Sie. Sie wittern die Chance: Das konnte die nachste Microsoft werden. Vielleicht haben Sie Gluck. Wie sieht die Realitat aus? Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass die Firma gar nicht erst aus den Startlochern kommt. Das Nachstwahrscheinliche ist der Bankrott nach drei Jahren. Von den Firmen, die die ersten drei Jahre uberleben, schrumpfen die meisten zu einem KMU mit weniger als zehn Angestellten. Fazit: Sie haben sich von der Medienprasenz der erfolgreichen Firmen blenden lassen. Also keine Risiken eingehen? Nein. Aber tun Sie es mit dem Bewusstsein, dass der kleine Teufel Survivorship Bias die Wahrscheinlichkeiten wie ein geschliffenes Glas verzerrt.

Nehmen wir den Dow Jones. Er besteht aus lauter Uberlebenden (Survivors). Nicht in einem Aktienindex vertreten sind namlich die fehlgeschlagenen und klein gebliebenen Firmen – also die Mehrzahl. Ein Aktienindex ist nicht reprasentativ fur die Wirtschaft eines Landes. So wie die Presse nicht reprasentativ uber die Gesamtmenge der Musiker berichtet. Auch die Unmenge an Erfolgsbuchern und Erfolgstrainern sollte Sie skeptisch machen: Gescheiterte schreiben keine Bucher und geben keine Vortrage uber ihr Scheitern.

Ganz heikel wird der Survivorship Bias, wenn Sie selbst Teil der »uberlebenden« Menge sind. Selbst wenn Ihr Erfolg auf purem Zufall basiert, werden Sie Gemeinsamkeiten mit anderen Erfolgreichen entdecken und diese zu »Erfolgsfaktoren« erklaren. Beim Besuch des Friedhofs der Gescheiterten (Personen, Firmen etc.) wurden Sie allerdings feststellen, dass die vermeintlichen »Erfolgsfaktoren« oft auch von diesen angewendet wurden.

Wenn genugend Wissenschaftler ein bestimmtes Phanomen untersuchen, wird es vorkommen, dass ein paar dieser Studien aus reinem Zufall heraus statistisch relevante Ergebnisse liefern – zum Beispiel uber den Zusammenhang zwischen Rotweinkonsum und hoher Lebenserwartung. So erzielen diese (falschen) Studien sofort einen hohen Bekanntheitsgrad. Ein Survivorship Bias.

Doch genug Philosophie. Survivorship Bias bedeutet: Sie uberschatzen systematisch die Erfolgswahrscheinlichkeit. Zur Gegensteuerung: Besuchen Sie moglichst oft die Grabstatten der einst vielversprechenden Projekte, Investments und Karrieren. Ein trauriger Spaziergang, aber ein gesunder.

THE SWIMMER’S BODY ILLUSION

Ist Harvard eine gute oder schlechte Universitat? Wir wissen es nicht

Als der Essayist und Borsenhandler Nassim Taleb den Entschluss fasste, etwas gegen seine hartnackigen Kilos zu unternehmen, schaute er sich bei den verschiedensten Sportarten um. Die Jogger machten ihm einen durren und unglucklichen Eindruck. Die Bodybuilder sahen breit und dummlich aus. Die Tennisspieler, ach, so gehobene Mittelklasse! Doch die Schwimmer gefielen ihm. Sie hatten diese gut gebauten, eleganten Korper. Also entschloss er sich, zweimal die Woche in das chlorhaltige Wasser des lokalen Schwimmbades zu steigen und richtig hart zu trainieren. Es dauerte eine ganze Weile, bis er merkte, dass er einer Illusion auf den Leim gekrochen war. Die professionellen Schwimmer haben diesen perfekten Korperbau nicht, weil sie ausgiebig trainieren. Es ist andersherum: Sie sind gute Schwimmer, weil sie so gebaut sind. Ihr Korperbau ist ein Selektionskriterium, nicht das Resultat ihrer Aktivitaten.

Weibliche Models machen Werbung fur Kosmetika. So kommt manche Konsumentin auf den Gedanken, die Kosmetika wurden einen verschonern. Doch es sind nicht die Kosmetika, die diese Frauen zu Models machen. Die Models sind zufalligerweise als schone Menschen geboren, und nur deshalb kommen sie fur die Kosmetikawerbung uberhaupt erst infrage. Wie bei den Schimmern ist hier die Schonheit ein Selektionskriterium, nicht ein Ergebnis.

Wann immer wir Selektionskriterium und Ergebnis vertauschen, sitzen wir der Swimmer’s Body (»Korper des Schwimmers«) Illusion auf. Ohne diese Illusion wurde die Halfte der Werbung nicht funktionieren.

Aber es geht nicht nur um sexy Korper. Harvard hat den Ruf, eine Topuniversitat zu sein. Viele hochst erfolgreiche Personen haben in Harvard studiert. Hei?t das, dass Harvard eine gute Schule ist? Das wissen wir nicht. Vielleicht ist die Schule miserabel, aber sie rekrutiert die gescheitesten Studenten der ganzen Welt. Die Universitat St. Gallen habe ich so erlebt. Ihr Ruf ist ausgezeichnet, aber der Unterricht (vor 20 Jahren) war medioker. Aus irgendwelchen Grunden – gute Selektion der Studenten, das Klima in dem engen Tal, das Kantinenessen? – ist trotz allem aus vielen Absolventen etwas geworden.

MBA-Kurse in aller Welt locken mit Einkommensstatistiken. Dem Interessenten wird vorgerechnet, dass ein MBA das Einkommen um durchschnittlich soundso viel Prozent steigert. Die einfache Rechnung soll aufzeigen, dass sich die horrenden Schulgebuhren schon in kurzer Zeit bezahlt machen. Viele fallen darauf herein. Ich will den Schulen nicht unterstellen, dass sie die Statistiken geturkt haben. Und doch sind ihre Aussagen wertlos. Menschen, die keinen MBA anstreben, sind ganz anders gestrickt als Menschen, die einen MBA anstreben. Der spatere Einkommensunterschied hat tausend andere Grunde als das MBA-Diplom. Hier also wiederum die Swimmer’s Body Illusion: Auswahlkriterium wird mit Ergebnis verwechselt. Wenn Sie sich uberlegen, eine Weiterbildung zu machen, suchen Sie sich bitte andere Grunde als Einkommenssteigerung.

Wenn ich gluckliche Menschen frage, worin das Geheimnis ihres Glucks bestehe, hore ich oft Satze wie: »Man muss das Glas halb voll statt halb leer sehen.« Als konnten diese Menschen nicht akzeptieren, dass sie als gluckliche Menschen geboren sind, und nun halt die Neigung haben, in allem das Positive zu sehen. Dass Gluckseligkeit zum gro?en Teil angeboren ist und im Verlauf des Lebens konstant bleibt, wollen die Glucklichen nicht einsehen. Die Swimmer’s Body Illusion gibt es also auch als Selbstillusion. Wenn die Glucklichen dann noch Bucher schreiben, wird die Tauschung perfid.

Darum: Machen Sie von jetzt an einen weiten Bogen um Selbsthilfeliteratur. Sie ist zu 100 % von Menschen geschrieben, die eine naturliche Tendenz zum Gluck besitzen. Nun verschleudern sie auf jeder Buchseite Tipps. Dass es Milliarden von Menschen gibt, bei denen diese Tipps nicht funktionieren, bleibt unbekannt – weil Ungluckspilze keine Selbsthilfebucher schreiben.

Fazit: Uberall, wo etwas Erstrebenswertes – stahlerne Muskeln, Schonheit, hoheres Einkommen, langes Leben, Aura, Gluck – angepriesen wird, schauen Sie genau hin. Bevor Sie ins Schwimmbecken steigen, werfen Sie einen Blick in den Spiegel. Und seien Sie ehrlich mit sich.

DER OVERCONFIDENCE-EFFEKT

Warum Sie systematisch Ihr Wissen und Ihre Fahigkeiten uberschatzen

Zarin Katharina II. von Russland war nicht fur ihre Keuschheit bekannt. Zahlreiche Liebhaber wuhlten sich durch ihr Bett. Wie viele es waren, verrate ich Ihnen im nachsten Kapitel, hier geht es vorerst um etwas anderes: Wie viel Vertrauen sollen wir in unser Wissen haben? Dazu eine kleine Aufgabe: »Definieren Sie die Spanne der Anzahl Liebhaber der Zarin so, dass Sie mit Ihrer Schatzung zu 98 % richtig- und nur zu 2 % falschliegen.« Eine

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