vorwarts, um aus dieser Enge erlost zu werden.

Eine Viertelstunde verging und noch eine; da — unwillkurlich blieben alle halten — gab es einen Krach, als ob zehn Kanonen zugleich abgeschossen worden seien.

«Um Gottes willen, was war das?«fragte Butler, der Ingenieur.»Sturzen vielleicht die Felsen ein?«

«Ein Flintenschu?, «antwortete Old Firehand.»Der Augenblick ist da. Je ein Mann fur drei Pferde bleibt zuruck; die andern vor. Absteigen!«

Im Nu waren uber drei?ig Mann, jeder die Buchse in der Hand, auf den Fu?en, um ihm zu folgen. Schon nach wenigen Schritten sahen sie Winnetou stehen, den Rucken ihnen zugekehrt und die Silberbuchse nach vorwarts zum Schusse angelegt.

«Die Waffen nieder, sonst spricht meine Zauberbuchse!«ertonte eine gewaltige Stimme; man wu?te nicht, woher, ob von oben hernieder oder aus dem Erdboden heraus.

«Nieder die Waffen!«donnerte es abermals in der Sprache der Utahs, da? in dem engen Spalte aus den wenigen Silben ein ganzes Gewittergrollen wurde. Dann fielen schnell aufeinander drei Schusse. Man horte, da? sie aus einem und demselben Laufe kamen. Das mu?te der Henrystutzen Old Shatterhands sein, dessen Knall hier allerdings die Starke eines Kanonenschusses hatte. Gleich darauf blitzte auch die Silberbuchse Winnetous auf. Die Getroffenen schrieen, und dann folgte ein Geheul, als ob alle Scharen der Holle losgelassen seien.

Old Firehand hatte den Apachen erreicht und konnte nun sehen, was und wen er vor sich hatte. Der Spalt erweiterte sich auf eine kurze Strecke und bildete einen Raum, welchen man am besten ein Felsengemach nennen konnte. Es war von rundlicher Gestalt und so gro?, da? vielleicht hundert Reiter in demselben Platz finden konnten. Das Wasser lief am linken Rande desselben hin. Auch hier herrschte Dammerung; doch konnte man die Schar der Utahs sehen.

Die funf vorausgesandten Krieger hatten einen gro?en Fehler begangen. Sie waren hier halten geblieben, um die Ihrigen zu erwarten. Hatten sie das nicht gethan, so waren die jenseits postierten vier Wei?en gezwungen gewesen, sie anzureden, und sie hatten wohl ruckwarts fliehen konnen, um die Ihrigen zu warnen. Da sie aber so lange gewartet hatten, bis diese nachkamen, so waren sie nun alle eingeschlossen. Druben stand Old Shatterhand mit dem erhobenen Henrystutzen, und neben ihm kniete der Hobble-Frank, damit Davy und Jemmy uber ihn hinwegschie?en konnten. Die Roten hatten ihre Waffen auf die Aufforderung des ersteren nicht sofort gesenkt, und darum waren die Schusse gefallen. Funf tote Utahs lagen am Boden. Die andern konnten kaum an Gegenwehr denken; sie hatten genug zu thun, ihre Pferde zu bandigen, welche durch den au?erordentlichen Wiederhall der Schusse scheu geworden waren.

«Werft die Waffen weg, sonst schie?e ich wieder!«ertonte Old Shatterhands Stimme abermals.

Und von der andern Seite her erschallte es:»Hier steht Old Firehand. Ergebt euch, wenn ihr euer Leben retten wollt!«

Und neben diesem rief der Apache:»Wer kennt Winnetou, den Hauptling der Apachen? Wer sein Gewehr gegen ihn erhebt, der verliert seinen Skalp. Howgh!«

Waren die Utahs der Meinung gewesen, den Feind nur vor sich zu haben, so sahen sie jetzt, da? ihnen der Ruckweg auch verschlossen war. Dort stand die machtige Gestalt Old Firehands und die stolz-schlanke des beruhmten Apachenhauptlings. Neben ihnen hielt, da sonst kein Raum vorhanden war, die Tante Droll mit angeschlagenem Gewehr im Wasser, und zwischen diesen dreien sah man verschiedene Gewehrlaufe ragen.

Kein einziger der Utahs wagte, sein Gewehr wieder zu erheben. Sie starrten nach vorn und nach hinten und wu?ten nicht, was sie thun sollten.

Widerstand leisten ware ihr Verderben gewesen, das sahen sie ein; aber sich so schnell und ohne alle Verhandlung ergeben, das widerstrebte ihnen. Da sprang Droll aus dem Wasser, schritt bis zum Hauptling vor, hielt ihm den Lauf des Gewehres an die Brust und rief ihm zu:»Wirf das Gewehr weg, sonst drucke ich los!«

Der» gro?e Wolf «hielt den Blick starr auf die dicke, fremdartige Gestalt geheftet, als ob er ein Gespenst vor sich sehe; die Finger seiner Rechten offneten sich und lie?en das Gewehr fallen.

«Den Tomahawk auch und das Messer!«

Der Hauptling griff in den Gurtel, nahm die beiden genannten Waffen heraus und warf sie fort.

«Binde deinen Lasso los!«

Auch diesem Befehle gehorchte der» gro?e Wolf«. Droll nahm den Lasso und band mit demselben die Fu?e des Hauptlings unter dem Bauche seines Pferdes zusammen. Dann nahm er dieses letztere beim Zugel, fuhrte es auf die Seite und rief dem Gunstick-Uncle, welcher hinter Old Firehand stand, zu:»Komm her, Onkel, und fessele ihm die Hande!«

Der Uncle kam steif und gravitatisch herbeigeschritten und antwortete:»An den Gurtel will ich hinten — ihm die beiden Hande binden.«

Er schwang sich hinter dem» gro?en Wolf «auf das Pferd, machte seine Worte zur That und sprang dann wieder ab. Es war, als habe der Hauptling gar nicht gewu?t, was mit ihm vorging; er befand sich wie im Traume. Sei Beispiel wirkte. Die Seinen ergaben sich nun auch in ihr Schicksal; sie wurden ebenso entwaffnet und gebunden wie er, und das ging au?erordentlich schnell von statten, da alle Wei?en nur darauf bedacht waren, zu thun, was der Augenblick erforderte.

Gern hatte der Hobble-Frank Winnetou begru?t; Davy und Jemmy hatten ganz dasselbe Verlangen; aber man durfte jetzt nicht an solche Herzensangelegenheiten denken, sondern mu?te die Erledigung derselben fur spater aufheben. Es galt vor allen Dingen aus dem Canon zu kommen. Darum wurde, als der letzte Rote gebunden war und man die erbeuteten Waffen aufgelesen hatte, sofort der Weiterritt angetreten. Voran ritten die Jager, dann kamen die Roten, und den Beschlu? bildeten die Rafters. Winnetou und Old Firehand ritten mit Old Shatterhand voran. Sie hatten ihm still die Hand gegeben, die einzige Begru?ungsart, welche sie einstweilen fur notig hielten. Gerade vor den Gefangenen ritten zwei, welche sich viel naher standen, als sie dachten, namlich die Tante Droll und der Hobble-Frank. Keiner sagte ein Wort zu dem andern. Nach einiger Zeit nahm Droll die Fu?e aus den Steigbugeln, stieg im Reiten auf den Rucken des Pferdes und setzte sich verkehrt in den Sattel.

«Heavens! Was soll das hei?en?«fragte Frank.»Wollt Ihr Komodie spielen, Sir? Vielleicht seid Ihr in einem Cirkus als Clown angestellt gewesen?«

«Nein, Master, «antwortete der Dicke.»Ich habe nur die Gewohnheit, die Festtage so zu feiern, wie sie fallen.«

«Wie meint Ihr das?«

«Ich setze mich verkehrt, weil es uns sonst verkehrt gehen kann. Denkt doch daran, da? hinter uns funfzig Rote reiten; da kann leicht etwas geschehen, woran man nicht gedacht hat. Ich behalte sie in dieser Stellung im Auge und habe den Revolver in der Hand, um ihnen, wenn's notig ist, eine Pille zu geben. Wenn Ihr gescheit seid, so macht es auch so!«

«Hm! Was Ihr sagt, ist sehr richtig. Mein Pferd wird es nicht ubelnehmen; ich drehe mich auch um.«

Einige Sekunden spater sa? auch er verkehrt im Sattel, um die Roten beaufsichtigen zu konnen. Es ging nun gar nicht anders, als da? diese beiden possierlichen Reiter einander oft ansehen mu?ten; dabei wurden ihre Blicke immer freundlicher; sie gefielen einander offenbar. Das ging so eine Weile, ohne da? dabei ein Wort fiel, bis endlich der Hobble-Frank nicht langer zu schweigen vermochte. Er begann:»Nehmt mir's nicht ubel, wenn ich Euch nach Eurem Namen frage. So wie Ihr da neben mir sitzet, habe ich Euch schon gesehen.«

«Wo denn?«

«In meiner Einbildung.«

«Alle Wetter! Wer hatte geahnt, da? ich in Eurer Einbildung lebe! Wieviel Mietzins habe ich da zu bezahlen, und wie steht es mit der Kundigung?«

«Ganz nach Belieben; aber heute ist es mit der Einbildung alle, da ich Euch nun in Person sehe. Wenn Ihr der seid, fur den ich Euch halte, so habe ich viel Spa?haftes von Euch gehort.«

«Nun, fur wen haltet Ihr mich denn?«

«Fur die Tante Droll.«

«Und wo habt Ihr von dieser gehort?«

«An verschiedenen Orten, an denen ich mit Old Shatterhand und Winnetou gewesen bin.«

«Was! Mit diesen beiden beruhmten Mannern seid Ihr geritten?«

«Ja. Wir waren oben im Nationalpark und dann auch in den Estacato.«

«Donner und Doria! Da seid Ihr wohl gar der Hobble-Frank?«

«Ja. Kennt Ihr mich?«

«Naturlich! Der Apache hat oft von Euch gesprochen und Euch noch heute, als wir vor dem Lager der Utahs

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